Lauterbach im Interview„Köln spielt in der Pandemiebekämpfung eine große Rolle“

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Karl Lauterbach, SPD-Gesundheitsexperte und Epidemiologe

Herr Prof. Lauterbach, in Indien breitet sich derzeit die Corona-Variante B.1.617 aus. Auch in Köln wurde schon bei zwei Indien-Rückkehrern diese indische Variante nachgewiesen. Für wie gefährlich halten Sie B.1.617? Karl Lauterbach: Ich halte sie für deutlich gefährlicher als die Ursprungsvariante und auch für gefährlicher als die britische Variante B.1.1.7. Es gibt Hinweise darauf, dass es für Variante durch eine Veränderung eines Genes einfacher ist, in die Zellen zu kommen – so ähnlich wie bei B.1.1.7. Gleichzeitig wehrt die Variante Antikörper ab. Die indische Variante ist mit Blick auf das Escape-Verhalten am ehesten mit der südafrikanischen vergleichbar, mit Blick auf die Verbreitung mit der britischen. (Anmerkung d. Red.: Corona-Varianten mit Escape-Mutation, auf deutsch Fluchtmutation, können Teilen der Immunantwort entkommen. Dadurch können sie auch für bereits Geimpfte und Genesene gefährlich werden.)  Das ist keine erfreuliche Kombination. Es gibt allerdings Hinweise darauf, dass der Escape-Charakter von B.1.617 weniger ausgeprägt ist als bei der südafrikanischen Variante. 

Ist die indische Mutation die gefährlichste Variante, die wir derzeit kennen?

Soweit würde ich nicht gehen. Sie ist aber eine der gefährlicheren Varianten. In New York gibt es eine ähnliche Variante, in Kalifornien ebenfalls. Es gibt an ganz verschiedenen Orten der Welt Varianten, die beide Eigenschaften der indischen Variante haben. Auf der anderen Seite scheint sich das Veränderungspotenzial von SARS-CoV-2 zumindest auf bestimmte Bereiche des Virus zu beschränken.

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In einer indischen Studie untersuchten Forscher die Wirkung des Impfstoffes Covaxin und der Antikörpern von Genesenen auf die Variante - mit erfreulichen Ergebnissen. Sind Sie optimistisch, dass auch die hier zugelassenen Impfstoffe gegen B.1.617 wirken?

Covaxin ist kein besonders starker Impfstoff. Da er jedoch gegen die indische Variante wirkt, ist es wahrscheinlich, dass Biontech, Moderna oder Astrazeneca es auch tun. Wenn auch das Serum von Genesenen wirkt, dann bin ich optimistisch, dass auch die Impfungen wirken werden. Die Größenordnung, in der die Neutralisierung der Antikörper sank, war nicht besorgniserregend.

Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass sich die indische Variante in ganz Deutschland verbreitet?

Das halte ich für wahrscheinlich. Die Frage ist nur, wie stark sie sich verbreitet. Wir haben auch schon sporadisch Fälle von der brasilianischen und der südafrikanischen Variante in Deutschland gehabt, einen großen Selektionsvorteil hat momentan vor allem B.1.1.7. Wenn die Fallzahlen Ende Mai sinken – womit ich rechne – dann wäre B.1.617 zu dem Zeitpunkt kaum verbreitet. Wäre die Variante früher nach Deutschland gekommen und wir hätten noch Monate sehr hoher Fallzahlen vor uns, dann wäre die Situation schwieriger. Dass die indische Variante erst jetzt hier ankommt, einige Menschen schon geimpft sind und die Fallzahlen voraussichtlich ab Ende Mai sinken, sind klare Vorteile.

Wir müssen wir Ihrer Ansicht nach also weitermachen wie bisher, um uns vor der neuen Mutation zu schützen?

Ja. Weitere Verschärfungen werden zum jetzigen Zeitpunkt nicht diskutiert, das hat Herr Spahn am Donnerstag nochmal klargestellt. Entscheidend ist, dass wir keine Lockerungen beschließen, die Notbremse so durchführen wie geplant und die Impfungen noch beschleunigen. Mit dieser Strategie sollte es klappen.

Deutschland hat die Einreise aus Indien gestoppt. Halten Sie Einreiseverbote aus Indien für sinnvoll?

Aus epidemiologischer Sicht können Einreiseverbote gegen Corona-Mutationen durchaus helfen. Ich fände eine Strategie klug, mit der man die Neuinfektionen mit B.1617 effektiv niedrig hält bis zu dem Zeitpunkt, an dem die breite Bevölkerung geimpft ist und die Fallzahlen durch die Notbremse deutlich reduziert sind.

Die Gefahr der Escape-Mutationen besteht ja gerade darin, dass sie auch für geimpfte Personen gefährlich werden können. Welche Mutation stellt bei einer höheren Impfquote ab Sommer die größte Gefahr dar?

Das weiß man nicht genau. Ich persönlich gehe davon aus, dass die südafrikanische Variante sehr gefährlich für die Ausbreitung ist, weil sie ein sehr starkes Escape-Potenzial hat. Wir haben aber auch eine neue britische Variante entdeckt, die ebenfalls besonders gefährlich ist und eine kalifornische Variante. Sie alle könnten uns in diesem Jahr noch sehr beschäftigen.

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Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass im Laufe des Jahres eine Variante auftauchen wird, gegen die Impfungen komplett wirkungslos sind?

Man kann im Labor die Evolution des Virus nachbauen – daher wissen wir, dass das möglich ist. Es gibt aber Faktoren, die hier entgegenwirken. Zum einen: Die Impfstoffe, die wir haben, greifen ein breites Spektrum der Immunantwort ab. Ein kompletter Escape ist daher eher unwahrscheinlich, das Virus müsste dafür mehr machen als den Antikörpern auszuweichen – Es müsste auch die T-Zellen abwehren. Je niedriger die Fallzahlen sind, desto unwahrscheinlich wird das. Aber: Viele denken derzeit, im Sommer sei alles vorbei. Dann hätten wir eine Herdenimmunität und könnten öffnen. Wenn wir sehr schnell vieles öffnen, dann haben wir auch sehr schnell steigende Fallzahlen. Wir müssen davon ausgehen, dass im Herbst zum Beispiel die Schutzwirkungen der früh Geimpften oder Genesenen keinesfalls perfekt sind. Dazu kommen diejenigen, die noch nicht geimpft wurden oder keine Impfung wollen.

Köln hat bei der Entdeckung von Corona-Varianten einen Vorteil: Alle Corona-positiven werden auf Mutationen untersucht, in weiten Teilen Deutschlands ist es nur ein Bruchteil.

Köln geht an dieser Stelle voran. Wir haben das vorgegebene Ziel, dass wir 20 Prozent der Proben sequenziert werden sollen. Damit entdeckt man nicht viel. Es kann sein, dass sporadisch B.1.617 schon häufiger aufgetreten ist und wir es einfach übersehen haben. Aber das weiß niemand so genau.

Wie bewerten Sie die Pandemie-Bekämpfung in Köln?

Köln spielt da eine große Rolle. Ich begrüße auch die Überlegung, in die Brennpunkte der Stadt hineinzugehen und dort auch ohne Priorisierung zu impfen – das sind genau die Maßnahmen, die man braucht, um schnell erfolgreich die dritte Welle zu brechen.

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