Liebesbrief aus IndienWarum Deutschland schön, aber Köln immer noch am schönsten ist

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Nicht nur den Kölner Dom fand die indische Journalistin Priti Salian beeindruckend an der Stadt.

  • Priti Salian lebt als Journalistin im indischen Bangalore. Sie schreibt u.a. für den „Guardian”, die BBC und National Geographic.
  • Als Stipendiatin der Robert-Bosch-Stiftung war sie im Sommer 2019 sechs Wochen lang in Köln und hat beim „Kölner Stadt-Anzeiger” hospitiert.
  • Hier schreibt sie darüber, was sie an der Stadt begeistert hat – und was für sie erstaunlich war.

Köln – Am Anfang dieses Jahres, als ich ein dreimonatiges Stipendium der Robert-Bosch-Stiftung in Deutschland gewonnen habe, stand ich vor der Wahl, mir die Stadt aussuchen, in der ich am liebsten arbeiten wollte.

Während die meisten meiner Mitstipendiaten sich die deutsche Hauptstadt aussuchten, sorgte meine Wahl – Köln – für großes Erstaunen bei vielen Menschen (nicht zuletzt auch Deutschen).

Warum hast du dir nicht Hamburg oder Berlin ausgesucht?, fragte mich jemand.

München wäre die bessere Wahl gewesen, sagt ein anderer.

Und noch jemand erwähnte, dass Köln hässlich und langweilig sei.

Das absolute Gegenteil war der Fall, wie ich herausfinden sollte.

Die Zwillingstürme des Kölner Doms hießen mich willkommen, als ich zum ersten Mal in meinem Leben am Kölner Hauptbahnhof in der Stadt ankam. Dort wurde ich von einer früheren Stipendiatin aus Köln begrüßt, die im Jahr zuvor drei Monate lang in Indien als Journalistin recherchiert hatte. Beide, der Kölner Dom und die Kollegin aus Deutschland, sollten mir schnell ans Herz wachsen. Viele meiner abendlichen Spaziergänge nach der Arbeit in der Redaktion des „Kölner Stadt-Anzeiger“ widmete ich dem Dom. Ich ging hinein oder spazierte um sie herum, saugte die Atmosphäre in mich auf und freute mich über die frische Luft, die meine Lungen selbst an einem der zentralsten Plätze der Stadt füllte. In Indien ist gute Luft alles andere als selbstverständlich.

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Priti Salian

Der Kölner Dom ist offiziell der drittgrößte religiöse Bau der Welt. Das ist beeindruckend, aber für mich stand und steht er vor allem für die das freundliche, familiäre Gefühl, die mir diese Stadt für sechs Wochen gegeben haben. Und dieses Gefühl wurde mir vor allem von den Kölnerinnen und Kölnern gegeben, die ich während meines Aufenthalts getroffen habe. Nicht nur die beiden Stipendium-Alumnis, die mich betreut haben, sondern auch meine Kollegen beim „Kölner Stadt-Anzeiger“ und meine Airbnb-Gastgeberin waren stets bemüht, mir zu helfen und mich in ihr Leben zu integrieren, als ob ich schon immer in Köln gewesen wäre.

Füße hoch im Residenz-Kino

Meine Kollegen luden mich ein, sie bei ihren Recherchen in Köln und der Region zu begleiten: Der wohl beeindruckendste Termin war an Bord des Schiffs MS Mainz auf dem Rhein, den wir beinah verpasst hätten. An einem anderen erinnerungswürdigen Tag konnte ich meine Füße hochlegen und ein Getränk in dem plüschigen Residenz-Kino zu mir nehmen, während der Pressevorführung eines britischen Films.

Die entspannte Umgebung im Newsroom des „Kölner Stadt-Anzeiger“, in dem ich das Wort „genau“ kurioserweise am häufigsten gehört habe, machte es mir leicht, mit den neuen Kollegen in Kontakt zu kommen.

Kölsch ohne Alkohol

Zusammen recherchierten wir an Geschichten, man half mir dabei, deutsche Texte ins Englische zu übersetzen – und natürlich tranken wir Kölsch, wobei ich mich für die nicht-alkoholische Variante entschied.

Während meiner Recherchen in Köln und der Region wurde ich sehr häufig überrascht. Zum Beispiel war ich erstaunt, wie viele Kinder ihre Eltern bei der Parade anlässlich der Feierlichkeiten zum 50. Christopher Street Day begleiteten. Eine der insgesamt 1,2 Millionen Besucherinnen dieser lebhaften Kölner Parade erklärt mir, dass ihre zehnjährige Tochter bereits genau über das Konzept einer Regenbogen-Familie Bescheid wüsste, da sie eine Freundin mit zwei Müttern hätte und darum auch unbedingt die Parade hätte sehen wollen. Das ist ein ziemlicher Kontrast zu Indien, wo moderne Gender-Konzepte noch ein ziemliches Tabu sind und Pride-Paraden definitiv nichts sind, woran Kinder teilnehmen dürften.

Die Parade ist der traditionelle Höhepunkt des Cologne Pride.

Die Parade ist der traditionelle Höhepunkt des Cologne Pride.

Dass die Bevölkerung in Deutschland immer älter wird, dürfte der Regierung vielleicht schlaflose Nächte bereiten. Aber viele Künstler, vor allem in Köln und NRW, haben das zum Anlass genommen, Senioren in kreative Projekte, die das Altern thematisieren, zu integrieren. Ich habe sogar Theater-Performances, Orchester und Film-Festivals erlebt, an denen Senioren und Demente teilgenommen haben sowie Kindergärten, die stolz darauf sind, Kinder über das Altern aufzuklären. Das war beeindruckend.

Köln und die Bier- und Bratwurst-Republik

Manches war für mich aber auch schwer zu verstehen – zum Beispiel habe ich mich gefragt, warum Köln, aber auch die gesamte Bier- und Bratwurst-Republik, immer noch Barzahlungen bevorzugt, warum es kein Tempo-Limit auf den Autobahnen gibt und warum öffentliche Toiletten immer Geld kosten – und zwar vergleichsweise viel.

Ich frage mich, ob meine Zeit in Köln so schön gewesen wäre, wenn die Einwohner dieser Stadt nicht so offen und herzlich wären. Vermutlich nicht. Ich fühle mich jedenfalls jetzt in meiner Meinung betätigt, wonach es die Einwohner sind, die eine Stadt großartig machen.

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Einer meiner neuen Freunde, ein Kölner, den ich auf einem Wochenend-Trip nach Amsterdam kennenlernte (erwähnte ich bereits, dass ich eine Vorliebe für Kölner habe?) hat mir vom kölschen Grundgesetz erzählt. Eines dieser Gesetze, „Et bliev nix wie et wor“, bedeutet, offen für neue Dinge zu sein. Ein anderes Gesetz, „Jeder Jeck ist anders“, besagt, dass man die Menschen so nehmen soll wie sie sind. Auf einmal wusste ich, warum die Menschen in Köln so einladend sind.

Ich liebe auch den Klang des Namens: Köln

Ich muss gestehen, es ist nicht nur die Stadt, die ich lieben gelernt habe, sondern auch der Klang ihres Namens: Köln. Bei diesem Wort verdreht sich meine Zunge förmlich. Obwohl ich häufig versucht habe, es korrekt auszusprechen, gut und gerne mehr als 100 mal, kann ich das Wort immer noch nicht aussprechen wie ein Kölner.

Aber ich verspreche, dass ich das Wort bis zu meinem nächsten Köln-Besuch üben werde. Vielleicht bringe ich es dann auch über mich, ein Dutzend Gläser Kölsch zu trinken. Bitte hol mich also zurück, Köln!

Übersetzt aus dem Englischen von Sarah Brasack.

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