„Demokratischer Stillstand“Funktioniert Kölner Bezirkspolitik in der Corona-Krise?

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Bezirksbürgermeisterin Helga Blömer-Frerker vor dem Lindenthaler Rathaus

Köln-Lindenthal – Manchmal reicht auch einfach nur ein Brief, beispielsweise in Zeiten der Corona-Krise. Das Virus hat das öffentliche Leben stillgelegt. Die März-Sitzung der Bezirksvertretung Lindenthal ist ausgefallen. Ob im Mai eine stattfinden kann, steht noch nicht fest. Beschlüsse kann das Stadtteilparlament derzeit nicht fassen. Wie verwirklicht man als Bezirkspolitiker also eine Idee, deren Umsetzung keinen Aufschub duldet?

Bezirksbürgermeisterin Helga Blömer-Frerker und ihr Stellvertreter Roland Schüler haben eine formlose Methode gefunden und Verkehrsdezernentin Andrea Blome einfach schriftlich wissen lassen, dass die Lindenthaler Bezirkspolitik eine dringende Bitte hat: die Kitschburger Straße nicht nur an den Feiertagen, sondern während der gesamten Osterferien für den Autoverkehr zu sperren.

Sondersitzung soll in Lindenthal helfen

Fast feengleich erfüllte Andrea Blome ihnen den Wunsch, ohne zu zögern. Die Straßensperrung – der „Kölner Stadt-Anzeiger“ berichtete – soll den vielen Besuchern des Stadtwalds ermöglichen, den Mindestabstand von 1,50 Meter einzuhalten, denn die Gehwege sind schmal, der Park ist in den Ferien voll. Blömer-Frerker und Schüler hatten das Vorhaben per Mail mit allen Bezirksvertretern abgestimmt. „Sonst hätten wir einen Dringlichkeitsantrag verabschieden müssen“, schildert Blömer-Frerker. Das sei zwar einfacher, weil dafür die Zustimmung der Bezirksbürgermeisterin und eines Mitglieds einer anderen Fraktion ausreiche. Doch diese Art der Entscheidung sei nicht von so viel Zustimmung getragen, wie man es sich in einer Demokratie wünsche.

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Für weitere Entscheidungen könnte eine Sondersitzung helfen. SPD-Fraktionschef Friedhelm Hilgers nennt eine mögliche Behelfslösung: Es treffen sich nur die Fraktionsvorsitzenden, die die Stimmen ihrer Fraktionsmitglieder abgeben. „Das müssten aber wohl alle Bezirksvertreter akzeptieren“, meint er, „sonst ist es sicherlich ein kommunalrechtliches Problem.“

Kaum Veranstaltungen

Wichtige Anträge warten jedenfalls beschlussreif auf der Tagesordnung, etwa der zum Ausbau der künftigen „Westtrasse“ des Öffentlichen Personennahverkehrs auf den Schienen der Häfen und Güterverkehr Köln AG (HGK), die von Frechen über Braunsfeld bis nach Ossendorf verlaufen. Wegen des Kohleausstiegs werden künftig keine Kohlebriketts mehr über die Schienen transportiert. Somit ist Platz für Straßenbahnen der KVB. Die Bezirksvertretung möchte die Verwaltung auffordern, endlich eine Machbarkeitsstudie vorzulegen, womit sie eigentlich bereits 2004 beauftragt wurde. Die Zeit drängt, selbst bei optimistischer Rechnung dauert die Umsetzung des Vorhabens fünf Jahre.

Wichtige Veranstaltungen fallen derzeit ebenfalls aus, etwa zur Umgestaltung der Berrenrather Straße. „Es ist unsere Aufgabe, die Bürger vorher über die Pläne zu informieren“, betont der stellvertretende Bezirksbürgermeister Schüler, der die Grünen vertritt. „Wir können sie aber jetzt nicht mehr zu einem Treffen einladen.“ Wird mangels einer Infoveranstaltung nicht im Mai darüber entschieden, ist das für die Verwaltung von Nachteil, weil sie die Arbeiten wieder nicht ausschreiben kann und der Umbau sich weiter verzögert.

Kölner Politikerin: „Es passiert sowieso nichts“

Kritisch sieht Schüler auch, dass Bürgerinitiativen, die sich mit wichtigen Themen in der Stadt befassen, sich derzeit nicht treffen und keine Demonstrationen stattfinden können. Schülers Fazit zur Krise: „Im Moment haben wir politischen und demokratischen Stillstand.“

Für Claudia Pinl, Fraktionsvorsitzende der Grünen, ist das Anlass für ein wenig Sarkasmus: „Dass in Köln Dinge liegen bleiben, liegt nicht am Corona-, sondern am altbekannten Colonia-Virus, unter dem die Stadt leidet.“ Das sorge für das Schneckentempo der Verwaltung bei der Umsetzung von Beschlüssen der Bezirksvertretung. „Bringt man es böse auf den Punkt, ist es egal, ob wir etwas beschließen oder nicht. Es passiert sowieso nichts.“ Ein Punkt auf der Tagesordnung der abgesagten BV-Sitzung ist der Sachstandsbericht der Verwaltung. Dort sind die Beschlüsse der Bezirksvertretung von 2006 bis 2018 aufgelistet, und der Stand ihrer Umsetzung. Es sind 50 Seiten. Hinter den meisten Beschlüssen steht folgender Kommentar der Verwaltung: „Kein neuer Sachstand.“

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Für Pinl bedeutet das vor allem eines: „Der Bericht zeigt doch, dass die Verwaltung sich damit nicht beschäftigt. Personalmangel ist vielleicht ein Grund. Ich habe aber das Gefühl, dass wir die Verwaltung überfordern, dass wir lästig sind. Dabei ist es unsere Aufgabe, an der Basis zu schauen, was verändert werden muss.“

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