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50 Meter KölnWo sich Leben und Tod begegnen

Lesezeit 6 Minuten
Das St. Elisabeth Krankenhaus in Köln.

Das St. Elisabeth Krankenhaus in Köln.

Lindenthal – Langsam und gleichmäßig hebt und senkt sich der kleine Brustkorb. Alba Sofia ist erst wenige Tage alt. Sie schläft. Die Strapazen der Geburt sind noch nicht überwunden. Sanft streicht ihr Sandra Schwarzhaupt über den Rücken. „Sie ist ein absolutes Wunschkind“, sagt die 36-Jährige.

Auf der Geburtsstation im St.-Elisabeth-Krankenhaus in Hohenlind geht es an diesem Frühlingsmorgen ruhig zu. In Kreißsaal 4 stehen die Fenster weit offen. Es riecht nach Desinfektionsmittel, die letzte Geburt liegt erst wenige Stunden zurück. Hebamme Monique Nentwich ist schon lange auf den Beinen, die Frühschicht beginnt um 5.48 Uhr.

Die Türen zur Geburtsstation gleiten auf. Renoviert wurde hier in großem Stil zuletzt im Jahr 2000. Babyfotos und bunte Glaskunst zieren die Wände. Mehr als 40 Menschen arbeiten im Schichtbetrieb, rund um die Uhr sind mindestens zwei Hebammen und ein Arzt da. „Die Kinder kommen ja wann und wie sie wollen“, sagt Nentwich.

Ihre braunen Haare hat die 42-Jährige zurückgesteckt, die glitzernden Ohrringe passen farblich zu ihrer lachsfarbenen Arbeitskleidung. Seit 1999 ist Monique Nentwich leitende Hebamme in Hohenlind. Für die Frauen da zu sein, sie medizinisch und psychologisch zu betreuen, das sei ihr besonders wichtig. Monique Nentwich betont es immer wieder. Genau deswegen sei sie Hebamme geworden. „Wir geben hier alles“, sagt sie.

Raum für Menschlichkeit

Hier, wo kein Tag ist wie der andere ist und doch jeder auf seine Art so besonders. Routine gibt es nicht, weder für die werdenden Eltern, noch für die Hebammen und Ärzte. 1573 Geburten hat das Krankenhaus im vergangenen Jahr verzeichnet. Der Druck von außen – „die Politik drängt auf Wirtschaftlichkeit“, sagt Nentwich – ist für den Besucher in diesem Teil der 1932 eröffneten Klinik nicht gegenwärtig. „Auf einer Geburtsstation geht es nicht zu wie am Fließband“, sagt Nentwich. Auch deswegen arbeite sie gern in einem christlichen Haus: Hier sei der Optimierungsdruck noch nicht ganz so gewaltig.

Auf der Geburtsstation erhält die Menschlichkeit einen besonderen Raum. Dunkelblaue Kinderwagen stehen im Gang. Babygeschrei hallt durch eine geschlossene Zimmertür. Kann man sich auf eine Geburt vorbereiten? Nein, sagt Sandra Schwarzhaupt. Sie streicht sich das Haar hinter die Ohren. „Darauf, wie es ist, das eigene Kind zum ersten Mal in den Armen zu halten, kann einen niemand vorbereiten.“

Schwarzhaupt und ihr Mann Lázaro Calderón (41) sind Opernsänger, im Januar 2013 sind sie von New York zurück nach Köln gezogen. Sandra Schwarzhaupt ist hier geboren. Kennen und lieben gelernt haben sich die Deutsche und der Puerto Ricaner auf der Bühne. Ihre Geschichte klingt wie im Film. Berufsbedingt waren sie in Europa, Amerika, eigentlich überall auf der Welt unterwegs. Und jetzt? Jetzt ist da erst einmal nur die kleine Alba Sofia. Zwölf Stunden hat die Geburt gedauert. Die Schmerzen haben sich eingebrannt. Aber von Bedeutung sind sie längst nicht mehr. „Man kriegt ein anderes Weltbild. Alles relativiert sich“, sagt Schwarzhaupt.

Was wirklich zählt

Die Geburt des eigenen Kindes erdet, sie verändert alles. Monique Nentwich hat selbst zwei Kinder. Nach der Geburt seien viele Paare, gerade junge Eltern, wie ausgewechselt, erzählt die Hebamme. War vorher die Ausstattung des Krankenhauszimmers wichtig, ist all das auf einmal belanglos. Im Moment der Geburt, in dem es um alles geht, zeigt sich, was wirklich zählt: Das Kind und sein Wohlbefinden. „Wenn die Eltern glücklich sind, ist das das Größte“, sagt Nentwich. Aber die Hebammen erleben auch schwere Schicksale. Situationen, in denen sie objektiv bleiben müssen, die sie aber trotzdem bewegen. „Wir sind auch nur Menschen.“

Der Beginn und das Ende eines Lebens – in einem Krankenhaus lässt sich das nicht trennen. Nur ein paar Treppenstufen liegen in St. Elisabeth zwischen der Geburts- und der Palliativstation. Aber Leben und Tod begegnen einander nicht nur, wenn ein neues Leben beginnt und ein gelebtes endet. Auf der Geburtsstation endet ein Leben manchmal auch, bevor es richtig begonnen hat. Dieser Kontrast. Im einen Moment das Glück, wenn Eltern ihr gesundes Baby in den Armen wiegen. Und dann: Eltern, die den schlimmsten Albtraum durchmachen. Deren Baby tot geboren wird.

In solchen Momenten ist auch Johannes Meißner auf der Geburtsstation. Seit September arbeitet er als Seelsorger im Hohenlinder Krankenhaus. Das Sterben ist nicht auf die Palliativstation begrenzt. Wie seine evangelische Kollegin holt er die Menschen dort ab, wo sie sind. Eltern nach dem Verlust ihres Ungeborenen. Oder Krebspatienten, für die es kaum noch Hoffnung gibt.

Wer auf die Palliativstation kommt, wird mit der eigenen Endlichkeit konfrontiert. „Das führt oft zu Sprachlosigkeit“, sagt Meißner. Nicht nur der Patient, auch die Angehörigen wissen oft nicht, wie sie mit der Situation umgehen sollen. Der Pfarrer hilft ihnen, Worte zu finden.

Momente des Glücks

Meißner sitzt in seinem Arbeitszimmer im dritten Stock. In den Händen hält er ein kleines Holzkreuz. Sein Blick wandert zu der hölzernen Regalwand neben seinem Schreibtisch. „Das Leben feiern“ steht auf einem Buch. „Sterben ist eine Phase des Lebens“, sagt Meißner. Nur weil das Leben vergänglich ist, muss es nicht traurig enden.

Ganz im Gegenteil: Auch auf der Palliativstation gebe es Momente des Glücks, betont der 49-Jährige. Etwa, wenn Menschen nach langem Streit wieder zueinander finden. Sie dabei zu begleiten – auch das gehört zu seinem Job. „Seelsorge ist mehr als nur Sakramente“, betont er und räumt mit einem weiteren Irrtum auf: Früher, da sei die letzte Ölung genau das gewesen. „Heute kann man die Salbung mehrmals empfangen.“

50 Meter Köln heißt eine Serie, in der die Redaktion die Vielfalt der Stadt ergründet. Nachbarn, die dem ersten Anschein nach Welten trennt, sprechen über ihren Alltag. Regelmäßig samstags im Lokalteil. (uk)

Wo aber findet jemand, der anderen im Angesicht des Todes Ruhe und Trost spendet, selbst seinen Frieden? In der hauseigenen Kirche: „Beim Herrgott kann ich alles ablegen.“ Nach der Arbeit setzt sich Meißner oft auf eine der hölzernen Bänke. Das Gotteshaus, erbaut nach den Plänen von Architekt Dominikus Böhm, bildet das Herz der Klinik, die im Zweiten Weltkrieg zwischenzeitlich als amerikanisches und später als englisches Militärlazarett diente. Schwestern und Ärzte, Patienten und die Hohenlinder Nachbarn beten hier gemeinsam. Ein Stück Normalität an einem Ort, an dem es Alltäglichkeit nicht gibt.

Sich freimachen von Hektik – das musste Meißner erst lernen. Nach der Priesterweihe 1992 arbeitete er zunächst in der Jugendseelsorge. Auch auf der Palliativstation ist jeder Fall anders. Und manchmal schließt sich der Kreis. Manchmal begleitet Meißner Menschen auf ihrem letzten Weg, die schon im St.-Elisabeth-Krankenhaus geboren wurden.

Hat er Feierabend, setzt er sich auf sein Fahrrad und radelt nach Hause. Abschalten ist wichtig, ein bisschen Abstand auch. Die regelmäßige Konfrontation mit dem Tod habe ihm die Angst vor dem eigenen Ende genommen, sagt er. „Was ich erlebe, macht mich bescheidener. Und dankbarer.“

Hin und wieder setzt sich Meißner mit einem Patienten auf die Dachterrasse der Station. Von dort aus genießen sie dann den Ausblick und lassen den Blick über die Nachbarschaft schweifen. Oft sind es die kleinen Dinge, die am Ende besonders bedeutend sind. Genau wie am Anfang.

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