Bußgeld nach Unfall angedrohtFrau auf holprigem Radweg in Lindenthal schwer verletzt

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Die Unfallstelle auf dem Radweg an der Mommsenstrasse und der Saeckeringstrasse in Lindenthal im Januar 2020.

  • Mit einer Hirnblutung, gebrochenen Gesichtsknochen und einem gebrochenen Schlüsselbein wurde Lukas auf die Intensivstation gebracht.
  • Der Unfall wird mit einer Geldbuße geahndet.
  • Der Stadt sei der löchrige Radweg seit mindestens neun Jahren bekannt.

Lindenthal – Fast täglich benutzt Andrea Lukas (Name geändert) den Radweg an der Mommsenstraße in Lindenthal, um zur Arbeit zu fahren. Wer den Weg sieht, ahnt: Ein Vergnügen ist das nicht. An vielen Stellen ist der Asphalt durch darunter liegende Wurzeln gewölbt oder aufgeplatzt, man muss Senken und Hubbeln ausweichen, Löcher umfahren und sich zwischen Inseln aus Teer hindurchschlängeln, die sich überall dort erheben, wo der Radweg notdürftig geflickt worden ist. Vor vier Wochen, am 12. Dezember, hätte der Weg Andrea Lukas beinahe das Leben gekostet.

Um die Mittagszeit fuhr die 28-jährige Jungunternehmerin in Richtung Dürener Straße, als sie plötzlich die Kontrolle über ihr Rad verlor – genau dort, wo sich der Asphalt um mehrere Zentimeter nach oben wölbt. Andrea Lukas stürzte, sie rutschte über die Straße und blieb in der Einmündung zur Säckinger Straße liegen – nur 20 Zentimeter weiter, dann wäre ihr Kopf gegen den Mast eines Verkehrsschildes geprallt.

Verstoß gegen Paragraph 49 der Straßenverkehrsordnung

Die Verletzungen waren aber auch so schlimm genug. Lukas verlor das Bewusstsein. Eine Passantin rief einen Rettungswagen. Mit einer Hirnblutung, gebrochenen Gesichtsknochen und einem gebrochenen Schlüsselbein wurde Lukas auf die Intensivstation gebracht. Sie bekam Opiate gegen die Schmerzen, hatte aber wohl Glück im Unglück: Bleibende Schäden sind nicht zu erwarten.

Als die 28-Jährige das Krankenhaus nach einer Woche verlassen durfte, sorgte ein Brief von der Polizei Köln für den nächsten Schreck. Darin stand: „Ihnen wird vorgeworfen, eine Ordnungswidrigkeit begangen zu haben.“ Lukas, heißt es in dem Schreiben, habe gegen Paragraf 49 der Straßenverkehrsordnung verstoßen, das werde mit einer Geldbuße geahndet. Es stehe ihr frei, sich zu äußern. Wenn sie auf dem beigelegten Bogen aber nicht mindestens die Angaben zu ihrer Person „vollständig und richtig“ ausfülle, drohe auch dafür eine Geldbuße. Andrea Lukas ließ das Papier sinken. „Das ist jetzt nicht wahr“, sei ihr erster Gedanke gewesen. „Haben die bei der Dokumentenausgabe auf den falschen Knopf gedrückt?“

Bußgeld als Standardmaßnahme

Haben sie nicht. Auf Nachfrage bestätigt die Polizei, dass das Schreiben korrekt sei. Eine Standardmaßnahme. Man müsse prüfen, ob Frau Lukas sich womöglich falsch verhalten habe. Dass sie gleich als „Beschuldigte“ gelte, räume ihr Rechte ein, die sie zum Beispiel als Zeugin nicht hätte – etwa das Recht zu schweigen oder sogar zu lügen. Würde sie sich hingegen als Zeugin mit ihrer schriftlichen Aussage – auch unwissentlich – selbst belasten, könnten diese Angaben vor Gericht womöglich nicht verwertet werden, weil die Polizei die Frau nicht über ihre Rechte als Beschuldigte aufgeklärt hätte.

Rechtlich kompliziert, auf jeden Fall befremdlich, findet Andrea Lukas. „Das ist doch irrwitzig: Der Radweg ist in einem so miserablen Zustand, dass es gefährlich ist, dort zu fahren, aber ich werde jetzt angeschuldigt, etwas falsch gemacht zu haben.“

Auf Nachfrage wird das Verfahren eingestellt

Welche Verstöße oder Fahrfehler theoretisch in Frage kämen, listet der von der Polizei angeführte Paragraf 49 penibel auf: von unangepasster Geschwindigkeit über fehlendes Licht und Fahren unter Alkohol bis hin zu Telefonieren während der Fahrt. All das habe sie nicht gemacht, beteuert Andrea Lukas. Sie sei „ganz normal“ gefahren, „wie immer“. Den Hubbel habe sie einfach nicht gesehen.

Auf Nachfrage bestätigt Polizeisprecher Thomas Held: Das Verfahren gegen die 28-Jährige werde wohl eingestellt. Nach derzeitigem Stand habe sie nichts falsch gemacht. „Das Wichtigste ist, dass sie auf dem Weg der Besserung ist“, sagt Held. „Sollte unser Schreiben bei ihr für Verwirrung gesorgt haben, sind wir natürlich jederzeit gern zu einem erläuternden Gespräch bereit.“

Stadt verpflichtet Verkehrswege in Ordnung zu halten

Wie der „Kölner Stadt-Anzeiger“ erfuhr, hat die Polizei nunmehr sogar die Staatsanwaltschaft beauftragt zu prüfen, ob der Fehler nicht vielmehr bei der Stadt Köln liegt. Infrage käme eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht. Denn die Stadt ist verpflichtet, ihre Verkehrswege in Ordnung zu halten. Im äußersten Fall könnte Andrea Lukas mit Schadenersatz rechnen. Sie hat einen Rechtsanwalt eingeschaltet. Das mache sie aber nicht für sich, betont die Garten- und Landschaftsplanerin, die als Folge des Unfalls bis heute unter Kopfschmerzen leidet. „Sondern damit die Stadt endlich diesen Radweg ausbessert.“

Genau das fordern Anwohner der Unfallstelle schon lange „Der Stadt ist die Misere hier seit mindestens neun Jahren bekannt“, sagt Anwohner Torsten Erken. Es habe bereits mehrere Stürze auf dem Radweg an der Mommsenstraße gegeben, den auch viele Kinder und Jugendliche auf dem Weg zur Schule benutzen. Als der „Kölner Stadt-Anzeiger“ sich vorige Woche vor Ort umsieht, liegen zwei Schnuller links und rechts der Unfallstelle. „Kein Wunder“, sagt Torsten Erken. „Das ist so holprig hier, Kinder fallen regelmäßig fast aus ihren Kindersitzen oder den Lastenfahrrädern.“ Nach einem Unfall hätte ein Polizist einmal mit Sprühkreide die Warnung „STOP, LANGSAM“ auf den Asphalt geschrieben.

Stadt plant Sanierung

Stadtsprecher Robert Baumanns bestätigt Beschwerden von Anwohnern im vorigen Jahr. Daraufhin hätte die Stadt „akute Gefahrenstellen“ beseitigt. Frühestens ab April solle der Radweg dann „großflächig saniert“ werden. Baumanns: „Der Geh- und Radweg ist aufgrund von Wurzelschäden zwar sanierungsbedürftig, wird aber noch als verkehrssicher eingestuft.“

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Schon jetzt dürfen Radfahrer auf der Mommsenstraße zwar statt des Radwegs auch die Straße mitbenutzen. Ein Schutzstreifen für Radfahrer sei allerdings nicht überall möglich, so Baumanns, weil die Fahrbahn teilweise zu eng sei. Nach Lukas’ Sturz hat die Stadt eilig eine rot-weiße Warnbake neben der hügeligen Unfallstelle an der Säckinger Straße aufbauen lassen. Die steht nun Tag und Nacht mitten auf dem Geh- und Radweg – für manchen Radfahrer vielleicht ein Schutz. Für andere eher ein weiteres Hindernis, an dem sie sich neuerdings vorbei schlängeln müssen.

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