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Derzeit einzige EinnahmeKölner Kino verkauft Popcorn für den Fernsehabend zu Hause

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Christian Schmalz

Christian Schmalz vor dem Weisshauskino 

Köln – An einem kalten Novembersamstag reiht sich Jonathan Schneider mit seinem Vater in die Schlange vor dem Weisshauskino in der Luxemburger Straße ein. Nicht ein neuer Hollywood-Streifen lockt ihn ins coronabedingt geschlossene Kino, sondern das süße, klebrige Zeug, das für viele zum Kinoerlebnis genauso dazugehört wie der Film selbst: das Popcorn. „Das ist eine wunderschöne Initiative. Wir wohnen gleich um die Ecke und sind schon im ersten Lockdown zum Popcorn-Kaufen hergekommen“, erzählt Vater Philipp Schneider. Statt wie sonst einen Kinderfilm auf der Leinwand zu sehen, heißt es für die Familie am Wochenende nun: Netflix-Gucken auf der Couch.

Natürlich bestimmten die Kinder das Programm, schmunzelt der Vater. Vor dem Teil-Lockdown wäre Jakob Zimmermann gar nicht auf die Idee gekommen, Popcorn für den eigenen Bedarf zu kaufen – die Idee finde er aber super. „Die bewerben das ja groß. Meine sechsjährige Tochter bekommt das Popcorn, für mich gibt es heute Sushi“, erzählt Zimmermann.

Kölner Kino hat nur die Popcorn-Einnahmen

Etwa 200 Popcorn-Tüten gingen samstags über den Tisch, sagt Weisshaus-Betreiber Christian Schmalz. „Die Leute decken sich für das Heimkino ein. Popcorn kann man eben nicht einfach so nachmachen“, sagt der gebürtige Badener, der auch das Off-Broadway auf der Zülpicher Straße führt. Die Einnahmen aus dem Außerhaus-Verkauf seien derzeit sein einziger Umsatz.

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Drei Mitarbeiter halten im To-Go-Geschäft die Stellung: Ein junger Mann nimmt die Bestellungen an, nebenan reicht eine junge Frau die Papiertüten und die dritte schaufelt das luftige Maisprodukt hinein. „Meine restlichen Mitarbeiter sind in Kurzarbeit“. Die Schließung nutzten sie auch, um die Blattfedern in den Sitzen auszutauschen, damit die Stühle wieder besser nach hinten kippen könnten. Zu zweit brauche man für einen Sitz bis zu 45 Minuten – etwa acht von insgesamt 266 Sitzen schaffe man an einem Tag, erzählt Moritz Busch, Schmalz‘ Stellvertreter. „Wir machen gerade nur jede zweite Reihe, weil wir dann bei Öffnung ohnehin zunächst nur mit Abstandsregelungen belegen können“. Die restlichen Reihen nähmen sie sich dann im dritten Lockdown vor, sagt Schmalz mehr im Ernst, als im Scherz.

James-Bond-Premiere wegen Corona verschoben

„Mit dem zweiten Lockdown hatte ich ja schon gerechnet. Ohne die staatlichen Hilfen hätten wir schon zugemacht. Während Kinos in den Niederlanden wieder öffnen können, deutet nicht viel auf eine entspanntere Lage hier hin“. Diesen Herbst wiege der Verlust des neuen James-Bond-Films „Keine Zeit zu sterben“ besonders schwer. Die internationale Start wurde zunächst vom Frühjahr auf November verschoben und nun wiederum auf 2021 verlegt. Als Programmkino führt das Weisshauskino zwar in erster Linie Arthouse-Filme, doch der Blockbuster ist unverzichtbar. „Die Leute wollen den Bond auch in ihrem Viertel sehen. Wirtschaftlich ist er ein Leuchtturm und sorgt normalerweise für den Winterspeck bis zum nächsten Sommer“, so Schmalz. Der globale Filmmarkt sei gerade besonders angespannt.

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Im Weisshaus gäbe es allerdings keinen filmischen Engpass, wenn es Anfang des neuen Jahres tatsächlich wieder losgehen sollte. Im Gegenteil: „Es herrscht Filmestau. Zwischen März und Mai wurden keine neuen Filme gezeigt. Bei deutschen Filmverleihern sind die Entscheidungswege kürzer, sie können schneller auf den deutschen Markt reagieren. Anders ist das etwa für Walt Disney, die nach China, Amerika oder Indien schauen“, erklärt Busch. Ob Corona für einen Entwöhnungseffekt sorgt und die Menschen sich nach langer Kino-Abstinenz wieder von ihrer Couch lösen werden? „Ich bin überzeugt, dass sie wiederkommen. Man will doch gemeinschaftliche Erlebnisse. Im Veedel geht es außerdem um Sehen und Gesehenwerden“, sagt Busch.

Auch bei einer Weiterentwicklung der Streamingdienste gehe er nicht von einem schon vielfach beschworenen Kinosterben aus: „Wir sind da freitags abends genauso in Konkurrenz mit Theatern, Restaurants wie mit den Streamingdiensten. Das koexistiert. Wir fungieren als Filter, kuratieren das Programm, während man zuhause erst einen von hunderten Titeln wählen muss“. Die glückliche Fügung von Pflanzenöl, Mais und Zucker jedenfalls werde weiterhin die Säle mit dem typischen Kinogeruch ausfüllen. „Mittlerweile fragen immer mehr Leute auch nach salzigem Popcorn. Bei uns gibt es das aber nur klassisch süß“, sagt Schmalz.

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