Durch Sülz mit Norbert Walter-BorjansDer neue SPD-Chef zeigt sein Kölner Veedel

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Im Café Krümel kehrte Norbert Walter-Borjans oft nach durchzechten Nächten in den wilden 80er-Jahren ein. 

  • Als Kölner OB-Kandidat gegen Henriette Reker antreten wollte Norbert Walter-Borjans nicht. Dafür ist er nun der neue Mann an der SPD-Spitze.
  • Zu Hause ist er jedoch in Köln – seit vielen Jahren lebt er in Sülz. In den 80ern sogar in einer WG mit Mitgliedern der Band Köbes Underground.
  • Bei einem Spaziergang führt uns der 67-Jährige durch sein Viertel. Dabei erzählt er, welche Geschäfte er besonders mag und was ihm in Sülz Sorgen bereitet.

Sülz – Oft sind es bestimmte Orte, die ein Viertel für seine Bewohner besonders machen. Im Fall von Norbert Walter-Borjans sind es bestimmte Menschen –  Leute, wie Walter Hoischen, der die Sülzer im Sommer mit seinen selbst gesäten Riesensonnenblumen erfreut und sonst als fliegender Zeitschriftenhändler unterwegs ist. Der Name des Veedelspoeten und Guerillagärtners fällt schon bald, nachdem wir uns mit „Nowabo“ – wie der Politiker liebevoll genannt wird – im Café-Restaurant Balthasar am Auerbachplatz getroffen haben.

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Im Café Balthasar fühlt sich Walter-Borjans wohl. 

In dem modernen, aber gemütlichen Lokal ist der Mann, der die deutsche Sozialdemokratie retten möchte, gerne zu Gast, seitdem er mit seiner Frau und den ersten beiden seiner vier Kinder in der Schleidener Straße ganz in der Nähe wohnte. Im Rummel zwischen Kind und Kegel, Rentnern und Liebespaaren trinkt er entspannt seinen Kaffee „Egal, in welchem Lokal in Sülz man abends sitzt“, erzählt Borjans, „immer geht irgendwann die Tür auf und Walter kommt herein, knapp siebzig Jahre alt, Pferdeschwanz, Bauchladen voller Zeitschriften. Unsere Freundschaft begann genau hier, im Jahr 2000.“

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Vor dem Eckstein an der Siebengebirgsallee

Damals hatte Walter-Borjans den Auftrag, den Bürgermeisterwahlkampf für Anke Brunn gegen Fritz Schramma zu organisieren. „Ich saß mit Anke auf dem Auberbachplatz“, erinnert er sich. „Da tauchte Walter Hoischen auf, fest entschlossen, als Einzelkandidat ebenfalls anzutreten.“

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Kölner hielt Norbert Walter-Borjans für Anke Brunns Mann

Um die Kandidatur zu ermöglichen, brauchte er einige hundert Unterschriften und bat Brunn und Walter-Borjans zu unterschreiben. Die beiden antworteten, sie seien selbst gerade mit dem Wahlkampf beschäftigt. Hoischen erkannte Anke Brunn – und hielt Walter-Borjans zunächst für ihren Mann. Bei ihrem nächsten Zusammentreffen klärte der den Irrtum auf und unterstütze den Konkurrenten mit einer 5-DM-Spende in seine Wahlkampfbüchse. Hoischen beichtete, dass er sein Wahlplakat aus Platzgründen über eines der SPD geklebt hatte. Es war der Beginn einer Männerfreundschaft, die heute mit regelmäßigen Kneipengesprächen über Politik fortgesetzt wird, beispielsweise im Balthasar.

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In der Reinigung von Ute Meisen gibt Walter-Borjans seine Hemden ab. 

Von dort aus treten wir zu Fuß eine Zeitreise an, Richtung Weyertal, wo sich in den 80er-Jahren Walter-Borjans’ erste Sülzer Wohnung befand. Er hatte gerade eine Assistentenstelle an der Universität Köln angenommen und suchte ein neues Domizil, mit einem Freund aus seinem Heimatort Meerbusch: Georg Kunz, der später Keyboarder der Stunksitzungs-Combo Köbes Underground wurde. Sie fanden es am De-Noel-Platz, mit Kohleofen, stark renovierungsbedürftig und nicht gerade WG-tauglich geschnitten. Und dann gesellte sich auch der Band-Frontmann Ecki Pieper noch zu ihnen. „Wir haben die Wohnung komplett umgebaut. Aus einem Speicherraum haben wir die Küche gemacht und eine Dusche eingebaut, die es nicht gab“, berichtet Walter-Borjans. Er, der Sohn einer Schneiderin und eines Schreiners, hatte handwerkliches Geschick.

Café Krümel in Köln war Walter-Borjans zweites Wohnzimmer

Das Studenten-Café Krümel an der Ecke an der Zülpicher Straße wurde zu ihrem zweiten Wohnzimmer. An den Holztischen saßen die WG-Bewohner gerne bei einem späten Frühstück nach durchzechter Nacht. Es war auch politisch eine prägende Zeit. Die Stollwercksbesetzung und die große Friedensdemo in Bonn hinterließen bei Walter-Borjans starken Eindruck. 1982, als Schmidt verlor und Kohl Kanzler wurde, trat er in die SPD ein.

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Während seine Karriere langsam Fahrt aufnahm, erwies sich der Wohnungsumbau allerdings als nicht ganz so erfolgreich, wie gewünscht. Die Küche im ehemaligen Speicher zog weitere Mitbewohner an: Mäuse fraßen sich durch die Pappwände und knabberten die Überreste vom Partybüffet an. Walter-Borjans hatte ein Schlüsselerlebnis: Beim Fernsehen sah er eine Maus entspannt vorbeitippeln. Mit einem gezielten Pantoffelwurf erlegte er das Tier, wusste aber, dass diese Art von Mäusejagd langfristig keine Lösung war. Walter-Borjans zog aus, an die Redwitzstraße, in eine der kleinen Straßen im Kern von Sülz, durch die er besonders gerne bummelt.

Charme des ehemaligen Arbeiterviertels

Er mag den Charme des ehemaligen Arbeiterviertels. „Sobald es etwas kälter wurde, roch der Stadtteil nach Kohle aus den alten Öfen“, erinnert er sich. Ob die Gentrifizierung das Viertel nicht seines Charakters beraube? Bei einem Spaziergang durch das Veedel aus dem Jahr 2012, ebenfalls mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ war diese Frage für ihn noch kein Thema. Nun hat Walter-Borjans seine Meinung geändert: „Die Immobilienpreise, die sich hier im Viertel entwickelt haben, können Menschen mit einem durchschnittlichen Einkommen gar nicht mehr zahlen“, findet er. Wien sei da ein Vorbild. „Die Stadt hat es geschafft, den kommunalen Wohnungsbau durchzuhalten und sich nicht vom Neoliberalismus verleiten zu lassen, alle städtischen Wohnungen zu verkaufen. Deswegen ist Wohnen dort heute so bezahlbar.“

Nach Jahren in Brück zieht Walter-Borjans nach Sülz zurück

Er selbst habe Glück gehabt, dass er sich vor zehn Jahren eine Eigentumswohnung an der Wichterichstraße gekauft hat. Nachdem er Sülz kurz untreu war und mit seiner Familie in einem Eigenheim in Brück lebte, zog es ihn wieder zurück in sein Lieblingsviertel. „Ich brauche einen Bäcker vor der Haustür und die Möglichkeit, mal um die Ecke ein Bier trinken zu gehen“, erklärt er. Hier habe ich alles, Kneipen, nette Restaurants, ein Kino, Supermärkte, eine Apotheke und die Sparkasse. An der Sülzburgstraße liegt sein Einkaufsparadies. „Ich mag das dunkle Brot von Merzenich“, kommentiert er, als wir vorbeilaufen.

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Kurzer Plausch mit seinem Friseur Ralph Schwalbach

In der quirligen Geschäftsstraße lässt man ihn in Ruhe, obwohl ihn immer mehr Menschen kennen, seitdem er NRWs Finanzminister war erst recht seitdem er sich um den Partei-Vorsitz beworben hat – erfolgreich, wie seit dem Wochenende bekannt ist. Wenn ihn jemand anspricht, gibt es meist Lob: „Eigentlich wähle ich ja CDU“, sagte kürzlich beim Bäcker ein Mann. „Aber das mit den Steuer-CDs haben Sie echt gut gemacht. Das müssen Sie weiterverfolgen.“ Walter-Borjans hatte die passende Antwort parat: „Na, dann müssen Sie halt einmal SPD wählen.“

Speckpfannkuchen im Unkelbach

In seinen Lieblingslokalen, die zum Teil an der Luxemburger Straße schon in Klettenberg liegen, ist es wichtiger, was er am liebsten isst, als welche Politik er macht. „Wenn ich ins Unkelbach komme, wissen sie schon, dass ich einen Speckpfannkuchen möchte, ohne dass ich bestellen muss.“ Im Eckstein serviert man ihm immer einen Salat mit Putenbrust. Im Vorbeigehen winkt er seinem Friseur Ralph Schwalbach zu. Für einen langen Plausch fehlt die Zeit. Walter-Borjans muss zu einem Partei-Treffen nach Bonn und noch schnell ein paar Hemden in der Textilreinigung Luxemburger Straße bei Ute Meisen abholen. „Wir beobachten Sie im Fernsehen“, sagt Meisen und lacht. Dann folgt ein Gespräch über die Frage, warum man sich das eigentlich noch antut, nach so vielen Berufsjahren, er die Rettung der SPD, sie den Job in der Reinigung. Beide haben die gleiche Antwort: Es ist eine Frage der Verantwortung.

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Ohne das Smartphone geht auch bei "Nowabo" nichts. 

Sie hat die Reinigung von ihrer Mutter übernommen. Vor ein paar Jahren musste sie sie zwar an einen anderen Betreiber abgeben, weil sie nicht genügend Personal fand, aber dort immer noch jeden Tag nach dem Rechten zu sehen ist für sie Ehrensache, ebenso wie für Walter-Borjans der Einsatz für seine Partei. Er eilt nach Hause. Ein Fahrzeug der Cambio-Station in der Wittekindstraße wartet schon auf ihn. Vor ein paar Jahren ist er auf Carsharing umgestiegen. „Für die wenigen Male, wo ich ein Auto brauche, lohnt sich kein eigenes“, sagt der Politiker. Nach Bonn fährt er mit einem Elektro-Auto. Die Batterie ist für 100 Kilometer geladen. Große Umwege darf er heute nicht machen.

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