Gegen den Corona-BluesKölnerinnen treffen sich zur Kochwäsche statt in der Kneipe

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„Soziale Happenings muss man selbst aktivieren“ – Dada Stievermann (l.) und Ursula Enders  vor dem Waschsalon in der Zülpicher Straße

Köln – Weiblich, ledig, nicht mehr ganz so jung sucht ... Veedelskontakte während des Lockdowns. So könnte die unkonventionell-charmante Aktion von Dada Stievermann und Ursula Enders lauten, die sich die Freundinnen im Frühling ersonnen, besser: ersponnen haben, um dem Corona-Blues zu trotzen. In einer Zeit, als das Herunterfahren der sozialen Kontakte hierzulande Premiere hatte.

„Wir sind alleinstehend, die Sülzer Cafés, Kneipen und Restaurants ersetzen schon lange unsere Wohnzimmer und die abendlichen Kontakte im Veedel die Einsamkeit“, sagt Dada Stievermann. Ihr ironischer Augenaufschlag verrät, dass sie das mit der Einsamkeit nur mäßig ernst gemeint hat. Dennoch: „Dass mit den gewohnten Treffen bei Katrin und Stefan im Café Local, bei Anna, der Wirtin vom Mexikaner nebenan, Rosy von der Wundertüte oder im Wirtshaus von heute auf morgen Schluss war, hat mächtig genervt“, sagt Stievermann. Auch das lieb gewonnene Frühstück bei Efisio im Albaretto am De Nöel-Platz war erstmal tabu.

Uromas Happening rund um den Waschkessel

Eine Alternative musste her: Schon unsere Urgroßmütter haben sich mit ihren Freundinnen zum Waschen getroffen – und ein Happening rund um den Waschkessel veranstaltet, dachten sich die beiden Frauen, die inzwischen selbst der Ü-60-Generation angehören – und erwählten den Waschsalon in der Zülpicher Straße kurzerhand zu ihrem Lockdown-Place to be.

Die Freundinnen sind nämlich nicht nur originell, sie sind auch pragmatisch: Warum nicht das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden? Und auf Hockern vor dem Salon zufällig Freunde und Nachbarn treffen. Mit den vorgeschriebenen zwei Metern Abstand und der Maske über Mund und Nase, versteht sich – während die Wäsche im Inneren ihre Runden dreht.

Himbeeren als Bestechung zum Klönen 

Seit März rücken die beiden Damen regelmäßig und in wechselnder Zweier-Besetzung mit Wäschesäcken an, packen Teppiche, Vorhänge und anderes überdimensional großes Waschgut – das ihre privaten Maschinen nicht fassen können – in die Industrie-Maschinen und breiten vor dem Salon ihr „Picknick“ aus. Dann heißt es Klönen. Warten. Und abfangen: „Kommen Sie aus Sülz?“ fragt an diesem usseligen Donnerstagnachmittag Zartbitter-Chefin Ursula Enders einen Passanten. Und hält ihm, als wolle sie ihn bestechen, verpackte Himbeeren entgegen. Der junge Mann bejaht und entschuldigt sich: Heute habe er keine Zeit für einen Plausch. Und Himbeeren.

Dada Stievermann

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Dada Stievermann

Die Schauspielerin, Kabarettistin und Theaterpädagogin gründete 1980 mit Hella von Sinnen und Dirk Bach die Kabarettgruppe „Stinkmäuse“, gehörte unter anderem zum Ensemble des „Theater in der Filmdose“ und des Bonner Improvisationstheaters „Die Springmaus“.  Dada Stievermann (Foto: Worring) war Gründungsmitglied der schwul-lesbischen Röschen Sitzung, und auch in diversen TV-Produktionen zu sehen (u.a. „Die Anrheiner“, „Warteschleifen“). Aktuell ist sie Dozentin am Schauspielzentrum Köln und führt Regie im "Senftöpfchen".

Hätte er das, würde er mit allerhand Insider-Wissen heimkehren. Über die Anfänge der Kölner Kabarett- und alternative Karnevalsszene etwa. Über Sülz, wie es in den 70er- und 80er-Jahren daherkam. Die guten und schlechten Seiten des Veedels. Wer Zeuge von Stievermanns Erzählungen wird, ertappt sich beim irrsinnigen Wunsch, dass der Lockdown noch ein bisschen länger dauern möge. Oder besser: Dass die temperamentvolle Sülzerin den Bürgersteig vor dem Waschsalon in der Zeit danach zur Dauer-Bühne institutionalisiert.

Klappe in feministischen Dingen weit aufgerissen

„Die Jobs meines Lebens habe ich immer bekommen, wenn ich meine Klappe in politischen und feministischen Dingen weit aufgerissen habe“ , sagt Stievermann, die heute in dicke Daunen statt flauschigen Federschmuck gehüllt ist. Und ihre Stimme erhebt, als stünde sie auf der ersehnten Bühne.

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Ursula Enders

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Ursula Enders

Die Diplom-Pädagogin, Erziehungswissenschaftlerin und Traumatherapeutin ist Gründerin und Geschäftsführerin von Zartbitter Köln, der Kontakt- und Informationsstelle gegen sexuellen Missbrauch an Mädchen und Jungen. Seit Anfang der 90er-Jahre arbeitet Ursula Enders (Foto: Thomas Banneyer) schwerpunktmäßig zu sexualisierter Gewalt in Institutionen. Sie war u.a. Mitglied der Untersuchungskommission der Missbrauchsfälle in der Evangelisch-Lutherischen Nordkirche. Enders ist Autorin etlicher Fach- und Kinderbücher.

Eine Antwort bleibt sie schuldig. Immer wieder, und das scheint ihr ein wichtigeres Gesprächsthema zu sein als ihre Karriere, spult sie zurück. Auf Sülz. Ihre Heimat, die streng genommen gar nicht ihre Heimat ist. Denn die liegt im Sauerland. Einen Steinwurf entfernt von Enders’ Geburtsort.

Doch die beiden Sauerländerinnen haben innerhalb von 30, 40 Jahren metertiefe Wurzeln in Sülz geschlagen. Stievermann ist hier seit 1975 zuhause, Enders kam 1986. Und blieb. Nicht, ohne zuvor andere Metropolen auf ihre Heimattauglichkeit zu testen. „Ich habe Ende der 80-er ein paar Monate in Berlin und Hamburg probegewohnt“, sagt Enders. Doch in Berlin war der Kämpferin für Kinderschutz und -rechte das politische Klima innerhalb der Linken „zu dogmatisch“. Und Hamburg? Zu vornehm. Distanziert. Aber Köln! Und seine Menschen erst! „Diese offen-unaufgeregte Atmosphäre hier hat mich schnell davon überzeugt, mit Köln die absolut richtige Wahl getroffen zu haben.“

Abschalten von mehr als ernsthaften Themen

Auch angenehm: Dass die Leiterin der Fachberatungsstelle gegen sexuellen Missbrauch an Mädchen und Jungen, Zartbitter, in ihrem Veedel ausgehen und abschalten kann von den mehr als ernsthaften Themen ihres Arbeitsalltags. „In Sülz wirst Du in Ruhe gelassen und gehörst trotzdem dazu.“

Genug des Lobs. Dada Stievermann sitzt seit geraumer Zeit spürbar in den Startlöchern, um auch die nervigen Seiten des Veedels rund um die Zülpicher Straße loszuwerden: „Schrecklich, hier ist kein Metzger weit und breit, kein gescheiter Supermarkt. Wie sollen sich die vielen Singles, die Menschen ohne Autos oder anderweitig Immobile denn ernähren? Das ist eine Frechheit, nur Kioske und Friseure“, schimpft sie.

Junge Erben verdrängen Sozialschwache in Sülz

Und gibt auch noch den jungen Erben, die sich im Veedel ansiedeln würden, einen mit: „Die verdrängen die Sozialschwachen, die Gentrifizierung schreitet sekündlich voran!“ Lieber denkt sie an die Zeiten zurück, als viele Spanier und Griechen in Sülz wohnten, ihr Veedel bunter und internationaler gewesen sei. Und an den Abend im Sommer 1987, als sie Ursula im „Demmer“ kennenlernte. „Damals, weißt Du noch?“

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