Haus in Köln-Sülz von Abriss bedrohtDie letzte Zuflucht für „gefallene Mädchen“

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Heute ist das Haus an der Kyllburger Straße 3 baufällig. Anfang des 20. Jahrhunderts, als es gebaut wurde, war es eine Einrichtung nach den modernsten Standards. Später erhielt das Gebäude noch einen Anbau.

Heute ist das Haus an der Kyllburger Straße 3 baufällig. Anfang des 20. Jahrhunderts, als es gebaut wurde, war es eine Einrichtung nach den modernsten Standards. Später erhielt das Gebäude noch einen Anbau.

Köln-Sülz – Heute wohnen in dem Haus an der Kyllburger Straße 3 allenfalls noch Gespenster. Seit drei Jahren steht es leer und beflügelt mit seinem wild-romantischen Aussehen die Fantasie. Putz ist abgebröckelt und hat die Ziegelmauern entblößt. Efeu umwuchert nahezu eine Gebäudehälfte. Das Haus scheint mehr erlebt zu haben als andere. Der Grund für sein heruntergekommenes Aussehen ist allerdings ein anderer. Laut Alexander Hess vom Rheinischen Verein für Denkmalpflege und Landschaftsschutz ist er recht lapidar: „Städtische Gebäude, die leer stehen, sehen häufig so aus“, sagt er bei einer Führung für interessierte Bürger.

Die Stadt möchte es abreißen. Die Vereinsmitglieder möchten das jedoch verhindern. Denn das Haus, das 1909 und 1910 nach Plänen des städtischen Baubeamten Johannes Kleefisch in einer streng wirkenden klassizistischen Architektur errichtet wurde, hat eine besondere Geschichte. Es war ein Heim für „gefallene Mädchen“, für unverheiratete Mütter, denen die damalige Gesellschaft die moralische Schuld an ihrer Situation gab. Aus christlicher Überzeugung nahm sich das Heim trotzdem ihrer an: Seit 1905 betrieb die Kölner Ortsgruppe des Deutsch-Evangelischen Frauenbundes, der sich für die Bildung und die Rechte der Frauen einsetzte, an der Ottostraße in Ehrenfeld eine „Zufluchtsstätte“ für unverheiratete Frauen und ihre Kinder.

Aufgrund der starken Nachfrage wurde sie zu klein und so errichtete der Bund bald ein eigenes Heim, am damaligen Stadtrand auf dem Gelände einer ehemaligen Ziegelei, das für Landwirtschaft nicht mehr zu gebrauchen war, wohl nicht zufällig in der Nähe des damaligen Kinderheims am heutigen Sülzgürtel. Jede der drei Etagen verfügte über fünf Räume. Es gab ein Bad mit warmem Wasser, eine große Küche, ein Empfangszimmer, einen Arbeitsraum. Durchschnittlich 35 Kinder und 15 Mütter wurden hier versorgt.

Basierend auf den moralischen Wertvorstellungen der damaligen Zeit hatte das Hilfsangebot seine Grenzen: In ihren Genuss kamen nur „erstgefallene“ Mädchen. Wer ein zweites Mal schwanger wurde ohne verheiratet zu sein, braucht nicht mehr auf Unterstützung an der Kyllburger Straße zu hoffen. Frauen, die Hilfe erhielten, wurden kurz vor der Geburt bis acht Wochen nach der Geburt aufgenommen und blieben etwa ein Jahr. Sie wurden verpflegt, ärztlich betreut und lernten dort die Säuglingspflege, aber auch Haus- und Näharbeiten.

Dienstmädchen für private Haushalte

Danach vermittelte der Frauenbund die jungen Frauen als Dienstmädchen an private Haushalte. Die Kinder übergab man ihnen oder vermittelte sie in Privatpflege. Was die medizinische Seite der Säuglingspflege betrifft, war das Heim auf höchstem Niveau. „Die Säuglingssterblichkeit war dort viel geringer als im Durchschnitt zur damaligen Zeit“, erzählte Hess. So wurde das Heim auch schon bald als Ausbildungsstätte für Säuglingspflege anerkannt und schloss sich 1918 der städtischen Säuglingspflegeschule an. Die emotionalen Bedürfnisse der jungen Mütter und ihrer Kinder spielten wohl weniger eine Rolle.

Die Säuglinge wurden zusammen im ersten Stock der Einrichtung untergebracht, wo sich Krankenschwestern um sie kümmerten. Die Mütter wohnten in der zweiten Etage, getrennt von ihren Kindern.

Nach dem Zweiten Weltkrieg diente das Haus noch als Säuglingsheim mit angeschlossener Säuglingspflegeschule. 1956 verkaufte der Frauenbund das Haus an die Stadt Köln zur Nutzung als Säuglingspflegeschule und Säuglingsheim. Später wurde es als Soziale Frauenschule und Kindergärtnerinnenseminar genutzt. Ab Mitte der 70er Jahre zog dort eine Städtische Schule für geistig Behinderte ein. Nachdem sie Ende der 80er Jahre schloss, wurde das Haus zunächst besetzt, ab Mitte der 90er Jahre ein Flüchtlingsheim, zeitweilig eine Unterkunft für Obdachlose. Von 2008 bis 2015 erhielt dort die Jugend- und Kulturzentrumsinitiative im Stadtbezirk 3 (Juzi) Asyl, deren eigentliches Zuhause an der Sülzburgstraße saniert wurde – während das Haus an der Kyllburger Straße bereits verfiel.

Noch während das Juzi dort untergebracht war, fielen Teile der Fassade auf einen davor parkenden Pkw. Und so ist aus dem ehemaligen Heim für Mütter ein „Sorgenkind“ geworden, wie Hess es nennt. Seine Rettung hat er sich nun zur Aufgabe gemacht. „Man könnte das Grundstück doch verkaufen und zur Auflage machen, dass das Haus nicht abgerissen, sondern saniert wird.“ Dann würde es weiter daran erinnern, dass an der Kyllburger Straße einst gefallene Mädchen zu Hause waren.

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