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Kölner UnicenterSchandfleck und Idyll auf 43 Etagen

Lesezeit 7 Minuten

Das Uni-Center gehört zu den ambitioniertesten städtebaulichen Projekten Kölns. Für manche ist das Hochhaus an der Luxemburger Straße ein Schandfleck, für viele Bewohner dagegen Nachbarschafts-Idyll.

[Lesedauer: rund 5 Minuten]

Wenn Werner Gabriel morgens erwacht, liegt er auf etwa 100 Meter Höhe. Dann dreht er sich gerne noch mal zur Seite und schaut vom Schlafzimmer durch die Fenster in den Himmel. Vor seinen Augen wandern die Wolken, in der Ferne erhebt sich der Kölner Dom, weit unten, auf der Luxemburger Straße, pulsiert der Straßenverkehr. „Ich liebe diesen Ausblick“, sagt der 83 Jahre alte Rentner. „Ich möchte ihn nicht missen.“

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Wohnen mit Weitblick

Werner Gabriel wohnt mit seiner Frau Elke in der 32. Etage des Uni-Center, Flügel U. Das Gebäude an der Kreuzung Luxemburger Straße und Universitätsstraße zählt bis heute zu den ambitioniertesten städtebaulichen Projekten, die Köln jemals auf die Beine gestellt hat. Die Grundsteinlegung im Frühjahr 1971, bei der man auch eine Urkunde mit Daten des Hochhauses in den Boden versenkte, wurde wie ein Volksfest gefeiert. Es gab Ochs vom Spieß und Kölsch. Auch die Politprominenz war gekommen, um den Baubeginn des größten Wohnhauses Europas zu feiern. Mit Sicherheitshelm auf dem Kopf sprach Bauminister Lauritz Lauritzen stolz, aber nicht ganz ohne Skepsis ins Mikrofon: „Möge dieses kühne Experiment wohl gelingen. Und möge es eine Heimstatt sein für glückliche Menschen in einer friedlichen Zeit.“

Das Ehepaar Gabriel ist glücklich. Bei Kaffee und Gebäck sitzen die beiden Rentner auf ihrem schwarzen Ledersofa-Ensemble im Wohnzimmer und schwärmen vom Leben in luftiger Höhe. „Es ist sicher nichts für jedermann“, erzählt Elke Gabriel, die lange gleich gegenüber im ehemaligen BMW-Autohaus gearbeitet hat. Schon bei normalem Wind wackeln die Bilder an den Wänden, bei Sturm schwingen auch die Lampen an der Decke. Das mache den beiden längst nichts mehr aus. Etwas Angst habe Gabriel nur einmal gehabt. Als am 13. April 1992 in der Nacht die Kölner Erde bebte, schwankte der tausende von Tonnen schwere Turm so sehr, dass sie von der Toilettenschüssel fiel. „Da dachte ich schon kurz: Ist das unser letztes Stündlein?“

1992 bebte die Erde

Die Gabriels sind Uni-Center-Bewohner der ersten Stunde. Damals, während in den oberen Geschossen noch gehämmert und die Reste des insgesamt 55 000 Kubikmeter Beton verbaut worden sind, wurden in den unteren Etagen bereits die ersten Musterwohnungen eingerichtet und Verkaufsgespräche geführt. Auch Gabriel und seine spätere Frau sicherten sich eine Immobilie. Werner zog in die 17. Etage, Elke in die 7. „Ins Uni-Center zu ziehen, war etwas Besonderes“, erinnert sich Gabriel. „Es war modern, eine ganz neue Wohnform.“ Als ehemaliger Bundesvorsitzender der evangelischen Pfadfinder war Gabriel viel um die Welt gereist und hatte seine Faszination entdeckt für Häuser, die wie riesige Streichhölzer in den Himmel ragen, architektonische und statische Meisterwerke aus Stahl, Beton und Glas: „Auch Köln brauchte so ein Haus.“

43 Stockwerke, 954 Wohnungen

Im Auftrag des Baukonzerns Deba hatte der Kölner Architekt Werner Ingendaay nicht nur ein Hochhaus entworfen, sondern ein für die damalige Zeit Superlativ, noch heute eines der größten Wohnhäuser Europas, 131 Meter hoch, 43 Stockwerke, 954 Wohnungen für etwa 2600 Menschen, die sich in den drei Flügeln U, N und I eine Heimat teilen. Größter Eigentümer ist mit 378 Apartments das Kölner Studierendenwerk. Neun Aufzüge rasen mit 2,5 Meter pro Sekunde den Stern empor, wie der mittlere Gebäudekern genannt wird. Von dort aus verzweigt sich ein Labyrinth aus Gängen in die hintersten Winkel der drei Flügel. Noch heute gibt es eine Müllabwurfanlage. Auf jeder Etage öffnet sich eine Klappe, in die die Bewohner ihre Abfälle stecken. Die Säcke rauschen einen Schacht hinunter bis in den Keller, wo sie vor Ort gepresst werden. Solche Anlagen sind eigentlich inzwischen verboten, das Uni-Center hat eine Sondergenehmigung.

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Schon die dreijährige Bauphase war ein Ereignis, das der Bauherr detailliert dokumentieren ließ. In den historischen Filmaufnahmen ist zu sehen, wie auf einem brachliegenden Gelände zwischen Uni und Autofriedhof bis zu 450 Bauarbeiter eine Etage nach der anderen auftürmen. Der Erzähler im Off spricht von Poesie, vom Ballett der Kräne, die mit ihren tanzenden Schwenkarmen ein neues Wahrzeichen für die Kölner Silhouette erschaffen und eine „Dominante“ für den Süden der Stadt.

Ob das „kühne Experiment“ wirklich gelungen ist, ist auch knapp 50 Jahre nach der Grundsteinlegung nicht klar. Das Monstrum, geschaffen aus Fertigteilen und tausenden Tonnen Stahl und Beton, entzweit noch immer die Stadt. Während Bewohner wie das Ehepaar Gabriel sich nichts Schöneres vorstellen können, sprechen andere von einem Schandfleck. „Es war damals hässlich und ist es heute noch“, sagt der renommierte Kölner Architekt Christian Schaller. „Um keinen Preis möchte ich dort wohnen.“ Das Uni-Center sei entstanden als Prestigeprojekt im Wettbewerb der Großstädte, die ihren Traum von der urbanen Moderne in der vertikalen Bauweise verwirklichen wollten.

Damals habe es die Vision von der Vollversorgung in einem einzigen Haus gegeben. Kurze Wege für alle Bewohner. Supermarkt, Metzger, Frisör, niemand sollte für die Dinge des täglichen Bedarfs das Gebäude verlassen müssen. Dabei sei es vor allem ums Geld gegangen. „Man wollte mit kleinstem Raum große Profite erzielen, der städtebauliche Kontext spielte dabei keine besonders große Rolle.“ Schaller spricht von Stadtzerstörung und sozialer Segregation. „Das Uni-Center war gedacht als Servicehaus für Besserverdienende.“

Allerdings blieb die Stadt den Eigentümern bis heute einige Versprechen schuldig. Die geplante U-Bahn mit einer Haltestelle, verbunden mit dem Eingangsbereich des Hochhauses, wurde nie gebaut. Die offizielle Zufahrt zur Tiefgarage ist ebenfalls ein Relikt der Planungsskizzen geblieben. Wer sein Auto in den unterirdischen Parkraum fahren will, muss den Umweg über eine schmale Seitenstraße nehmen.

„Das ist ärgerlich, aber damit haben wir uns arrangiert“, sagt Gabriel, der viele Jahre auch Beiratsvorsitzender der Eigentümergemeinschaft war und so manchen Interessenkonflikt habe schlichten und „Dauerquengler“ ertragen müssen. Viel ärgerlicher aber findet der ehemalige Großhandelskaufmann, dass das Uni-Center so einen schlechten Ruf habe, weil die angebliche Anonymität Kriminelle anziehe und manche Bewohner gleichsam in die Depression treibe. „Das ist ein Märchen“, versichert Gabriel.

Die Gabriels haben viel erlebt in den vergangenen 45 Jahren im Uni-Center. Auch die großen Kriminalfälle, die sich hier ereignet haben. Da war zum Beispiel der damals 26 Jahre alte irakische Student Mohamad Abbas, der im Mai 1988 in seinem Apartment im 21. Stock von Bekannten erstochen wurde. Knapp einen Monat davor raubte man den 29 Jahre alten Justizbeamten Iljan A. aus. Er wurde gefesselt und mit einer Plastiktüte über dem Kopf erstickt. In der Nacht zu Silvester 1990 wurde die 41-jährige Monika A. in ihrer Wohnung U 608 von einem Bekannten erwürgt. Danach verschärfte man die Sicherheitsmaßnahmen im Haus. Seitdem muss sich jeder Besucher an der ganzjährig besetzten Rezeption in der Eingangshalle anmelden.

RAF-Terroristen wohnten im Uni-Center

Spektakulär war der Einsatz der GSG 9 am 13. Oktober 1977, dem Tag der Entführung der Lufthansa-Maschine „Landshut“. Ermittler hatten Hinweise, dass sich RAF-Terroristen in einer Wohnung im Uni-Center aufhielten. Tatsächlich hatte Adelheid Schulz unter einem falschen Namen eine Wohnung angemietet, in der die Terroristen die Entführung des Arbeitnehmerpräsidenten Hanns Martin Schleyer vorbereiteten. Als die Spezialkräfte eintrafen, war die RAF allerdings längst verschwunden.

Gabriel pflegt gute Kontakte zu seinen Nachbarn. Auch mit dem Franz, mit dem das Paar jahrelang Tür an Tür wohnte, waren die Gabriels bestens befreundet. Ehemann Werner erinnert sich noch gut an den Tag, an dem der Franz sich plötzlich nicht mehr meldete. Die Gabriels holten die Polizei, Franz lag tot in der Wohnung, vermutlich Herzinfarkt. „Das war wirklich sehr traurig.“ Das einstige Sinnbild für gigantischen Städtebau ist für die Gabriels eher ein dörfliches Idyll mit einer funktionierenden Hausgemeinschaft. „Hier passt jeder auf den anderen auf.“

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