Kneipen dringend gesuchtWie ein neues Kölner Veedel schrittweise zusammenwächst

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Impression aus Widdersdorf-Süd, das von 2006 an gebaut wurde.  

Widdersdorf – An den Feldern vor dem alten Ortsteil hingen viele Erinnerungen, bevor die Bagger kamen. Sascha Gerlach, Karnevalsprinz der Widdersdorfer Dorfgemeinschaft, erzählt vom Treffpunkt seiner Jugend. „Dort haben wir die erste Zigarette geraucht und das erste Mal geknutscht.“ Als in dieser ländlichen Idylle das Neubaugebiet entstand, seien die alteingesessenen Dorfbewohner natürlich erst einmal wenig begeistert gewesen. Wie sich die Situation seitdem entwickelt hat, darüber sprachen Viertelsbewohner bei einem Treffen, zu dem Ratsmitglied Teresa de Bellis die Widdersdorfer Dorfgemeinschaft und die Widdersdorfer Interessengemeinschaft eingeladen hatten.

Die Probleme des Viertels

Ab 2006 wurde im Kölner Westen gebaut wie sonst nirgendwo in Deutschland, die größte Neubausiedlung der Republik. Innerhalb von zehn Jahren verdoppelte sich die Einwohnerzahl des Stadtteils auf etwa 12000 Menschen – mit entsprechend drastischen Veränderungen vor Ort. Ein Film des WDR, in der ARD gesendet, hatte sich unter dem Titel „Heimatland“ kritisch mit den Veränderungen auseinandergesetzt – und viele Widdersdorfer verärgert. Sie waren der Meinung, dass ihr Viertel in der Doku zu schlecht dargestellt wurde.

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Immerhin war der TV-Beitrag nun der Anlass für die Bestandsaufnahme und die Frage nach Verbesserungsmöglichkeiten. Ratsmitglied Teresa de Bellis räumte ein, dass Fehler gemacht wurden, als man vor langer Zeit damit anfing, das Viertel zu planen. „Man wusste, dass Familien kommen. Die Schulsituation haben wir jedoch jetzt erst in den Griff bekommen“, so die CDU-Politikerin. Auch der Verkehr sei ein Problem. Damals sei es ausdrücklich nicht gewünscht gewesen, dass es Straßenverbindungen zwischen Alt- und NeuWiddersdorf geben soll, um nicht den gesamten Autoverkehr durch die Wohngebiete zu leiten. Man habe bewusst das Einkaufscenter, das eigentlich am zentral gelegenen Jakobsplatz geplant war, an den Rand des Stadtteils verlegt, um den Verkehr aus dem Viertel zu halten. Nun habe der Ortskern allerdings mit der fehlenden Infrastruktur zu kämpfen.

Zwei Fragen stellte de Bellis in den Raum: „Lässt sich einem wachsenden Viertel ein Dorfplatz aufdrücken? Und können wir uns besser vernetzen?“

Akteure und Netzwerke

Zumindest die letztere Frage wurde an diesem Abend sofort positiv beantwortet. Denn viele Bürger und viele Vereine waren gekommen, um sich und ihre Anliegen vorzustellen, sich auszutauschen – und ein anschauliches Bild von den Strukturen zu geben, die im Viertel bereits gewachsen sind: Neben den Gastgebern waren weitere Vereine und Initiativen, die Kirchengemeinden und Gruppen anwesend, wie beispielsweise Mitglieder der Facebook-Gruppe Widdersdorfer Familien.

Dementsprechend positiv beurteilte Melanie Bollhorst von der Widdersdorfer Dorfgemeinschaft das Miteinander im Viertel und dessen Entwicklung. „Unser Verein ist ebenso stark gewachsen wie das Viertel selbst“, so Bollhorst, „zu unseren Mitgliedern zählen auch viele Einwohner des Neubaugebiets.“ Christian von Bock von der Widdersdorfer Interessengemeinschaft berichtete, dass diese durch den Zuzug zwar wenig neue Mitglieder gewonnen habe. „Allerdings ist das Zusammenleben und das Zusammenwirken in Widdersdorf doch ein wenig intensiver, als in dem Film dargestellt“, bemerkte er.

Kritik der Vereine und Bürger

Von Bock hatte allerdings auch einiges zu bemängeln: „Was ich schade finde ist, dass sich die Anzahl der Einwohner verdoppelt, die der Kneipen und Gastronomiebetriebe aber stark abgenommen hat.“ Zudem sei der Markt, den man versucht habe zu etablieren, nicht angenommen worden. Und die Händler an der Hauptstraße hätten dicht gemacht. „Das ist angesichts der wachsenden Einwohnerzahl kaum zu verstehen“, so von Bock. „Es muss doch möglich sein, dass zumindest ein Teil des Geldes im Viertel bleibt.“

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Zum Ortsbild von Alt-Widdersdorf gehört St. Jakobus.

Ein Bürger sah in der Mobilität im Viertel einen Hauptgrund für die Probleme. „Widdersdorf ist ein Stadtteil, der so strukturiert ist, dass die Leute sich angewöhnt haben, jeden Weg mit dem Auto zu fahren“, sagte er. Wer mit dem Auto fährt, wird seine Nachbarn nicht kennen lernen. Wer zu Fuß geht oder mit dem Fahrrad fährt wird seine Umgebung ganz anders wahrnehmen.“ Im Hinblick auf die Mobilität müsse sich etwas ändern.

Verbesserungsvorschläge der Bürger und Vereine

Wouter Kremers, Vorsitzender der Vereinigung der Widdersdorfer Unternehmen „Wir schaffen für Widdersdorf“ (WfW) versprach, sich um die Gastronomie zu kümmern. „Wir werden uns mit den Vereinen zusammensetzen und schauen, ob man nicht mehr Gastronomiebetriebe ansiedeln kann, speziell auf dem als Dorfplatz gedachten Jakobsplatz“, betonte er. Michael Boden, Vorsitzender des Kirchenvorstands St. Jakobus, konnte insoweit eine positive Nachricht beisteuern: „Im September eröffnet die katholische Kirche gegenüber dem Platz einen solchen Betrieb.“

Quatiersmanagerin Marlene Stotko formulierte den Wunsch, dass weitere Treffen stattfinden, bei denen die Akteure über mögliche Verbesserungen beraten. Bürgeramtsleiterin Ulrike Willms versprach, sie dabei zu unterstützen. Sascha Gerlach hatte ebenfalls eine Idee: „Wir könnten doch ein Wochenende lang die Hauptstraße für den Autoverkehr sperren und ein großes gemeinsames Fest veranstalten.“

Er beurteile die Situation mittlerweile positiv. Der Ort wachse zusammen. Es brauche einfach nur seine Zeit. Und eine Vertreterin der evangelischen Kirchengemeinde merkte an: „Widdersdorf ist doch mehr als die Summe seiner sukzessiv entstandenen Neubaugebiete. Es hat eine Geschichte und diese sollten wir fortschreiben.“

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