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Kölner Schulleiterin„Es ist nicht das Wichtigste, eine 1,0 im Abi zu haben“

Lesezeit 5 Minuten
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Ingrid Schulten-Willius verabschiedet sich als Leiterin der Liebfrauenschule.

  • Ingrid Schulten-Willius, die Leiterin der Liebfrauenschule, verabschiedet sich in den Ruhestand.
  • Es ist ein Abschied, der ihr schwer fällt: „Ich wollte in meinem Leben nie etwas anderes werden als Lehrerin. Das klingt romantisch, war aber wirklich so.“
  • Wir haben das zum Anlass genommen, sie zu ihren Anfängen als Lehrerin und Erlebnissen als Schulleiterin zu befragen.

Frau Schulten-Willius, fällt Ihnen der Abschied schwer?

Sehr, aber ich habe schon lange geplant, mit 63 Jahren in den Ruhestand zu gehen, weil mein Man nun bereits 70 ist und wir noch eine ausreichend lange schöne gemeinsame Zeit miteinander haben möchten.

Wie kam es denn, dass Sie Lehrerin geworden sind?

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Ich wollte in meinem Leben nie etwas anderes werden als Lehrerin. Das klingt romantisch, war aber wirklich so. Ich komme aus einem kleinen Dorf namens Lützenkirchen bei Leverkusen, aus einer Arbeiterfamilie. Mein Vater war ungelernter Arbeiter, meine Mutter Schneiderin. Schon als Kindergartenkind habe ich meine Puppen, meinen Teddy und meinen kleinen Bruder mit einer Spieltafel, die ich zu Weihnachten bekommen hatte, unterrichtet. Als ich dann auf die Schule kam, war es großartig, dort eine andere Welt zu erleben, mit Schiefertafel und Büchern. Und als ich wirklich auf das Gymnasium gehen durfte, war das erst recht großartig.

Wie haben Sie das denn geschafft, als Mädchen und Arbeiterkind?

Mit großer Hilfe meiner Grundschullehrerin Fräulein Eichwald, der Mutter meiner besten Freundin, die promovierte Chemikerin war, und meiner Mutter. Sie wäre selbst gerne Lehrerin geworden. Das ging aber nicht, weil man damals, 1939, für das Lyzeum Schulgeld bezahlen musste und mein Opa das nicht konnte. Sie wollte dann aber, dass ihre Tochter die Möglichkeit hat. Dabei war ich eigentlich die in der Literatur der 70er Jahre viel beschriebene katholische Arbeitertochter vom Land, die keine Bildungschancen hatte. Bei uns auf dem Dorf gingen gute Schülerinnen normalerweise auf die Realschule. Es hieß: Was sollen die auch ein Abitur machen, sie sind ja hinterher sowieso zuhause. Auf dem Mädchengymnasium sind wir dann sehr gefördert worden.

Und wieso sind Sie Leiterin einer katholischen Schule geworden?

Ich habe eigentlich eher durch Zufall an einer katholischen Schule in Opladen angefangen, war dann als stellvertretende Schulleiterin an einer Mädchenschule in Bornheim-Hersel und habe mich 2002 an der LFS als Leiterin beworben, auch weil ich gerne wieder an eine koedukative Schule wollte.

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Warum?

Ich finde mit Jungen hat das Schulleben eine völlig andere Dynamik. In der Mädchenschule war es immer sehr ruhig. Jungen sind lauter, brauchen viel Bewegung. Sie tragen Auseinandersetzungen sehr direkt aus, die Mädchen manchmal subtiler, allerdings auch reflektierter. Ich glaube, dass für einen Klassenverbund beide Geschlechter gut sind. Das Interesse für Geschichte, also eines meiner Fächer, und Politik ist bei Jungs leider immer noch sehr viel ausgeprägter. In den Sprachen ist das anders. Mein letzter Geschichtsleistungskurs bestand aus 21 Personen, 20 Jungen und ein Mädchen. Die habe ich morgens immer begrüßt mit: Hallo Jungs, liebe Isabelle.

Bei Fridays for Future engagieren sich sehr viel junge Frauen.

Die Schülerinnen und Schüler engagieren sich glücklicherweise überhaupt wieder sehr im sozialen und politischen Bereich. Und haben ein ganz anderes waches Auge darauf, als das vielleicht noch vor zehn Jahren der Fall war. Mädchen und Jungen gleichermaßen.

Gerade wurde in den Medien darüber berichtet, dass in Schülerchats der Liebfrauenschule Nazisymbole verbreitet wurden, wobei die Verbreitung antisemitischer, gewaltverherrlichender und pornografischer Inhalte in solchen Chats an vielen Schulen ein Thema ist. Warum tun Kinder und Jugendliche so etwas?

Als das auf uns zukam, war ich völlig überrascht. Derartige Sticker sind uns von Eltern vorgelegt worden. Wir haben all das, was Sie erwähnen, auch gesehen. Die Frage ist, wo kommen solche Inhalte her? Die Kinder schicken sie einfach weiter, ohne darüber nachzudenken. Das passiert in der Pubertät, wo Provokation und Grenzüberschreitung schon immer dazu gehörten. Es ist offensichtlich ein typisches Jungen-Phänomen. Es ist wichtig, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass das etwas ganz anderes ist, als in der Schule etwas zu verschmieren oder einen Spaß mit dem Lehrer zu machen.

Ein Grundproblem dahinter ist der unglaubliche Wandel der Welt durch die Digitalisierung. Vieles was jetzt passiert, passiert zum ersten Mal. Erleben sie das als gefährlich für die Schüler oder als Chance?

Natürlich gibt es große Chancen, im Hinblick auf die Ausstattung und Arbeitsmöglichkeiten. Gerade was Handys betrifft, ist es wichtig, den Jugendlichen zu vermitteln, verantwortungsvoll damit umzugehen, beim Fotografieren und der Bildbearbeitung und mit Daten von anderen.

Zur Person – Die Schulleiterin und ihr Nachfolger

Ingrid Schulten-Willius ist verheiratet und hat drei erwachsene Töchter. Sie ist in Lützenkirchen bei Leverkusen aufgewachsen und wohnt in Troisdorf. Nach dem Abitur studierte sie Englisch und Geschichte auf Lehramt. Im Jahr 1984 übernahm sie zunächst an der Opladener Marienschule des Erzbistums Köln eine freiwerdende Stelle. Dort unterrichtet sie 16 Jahre und wurde dann für zwei Jahre stellvertretende Schulleiterin an einer Mädchenschule in Bornheim-Hersel. Seit Ende 2002 war sie Leiterin der Liebfrauenschule an der Brucknerstraße in Lindenthal.

Neuer Leiter der Liebfrauenschule ist Achim Strohmeier. Er unterricht Latein und Geschichte und war bislang Lehrer am Kardinal-Frings-Gymnasium in Bonn-Beuel. Strohmeier ist 50 Jahre alt, Vater einer 18-jährigen Tochter und lebt mit seiner Familie in Pulheim-Stommeln. (se)

Sie haben einmal den Satz gesagt „Bei uns erwarten die Eltern einfach mehr.“ Was meinen Sie damit?

Wir sind hier in Lindenthal. Unsere Eltern erwarten, dass der Unterricht komplett erteilt wird, man vielleicht noch ein Fach mehr wählen kann, also eine Leistungsorientierung im positiven Sinne. Ich würde mich aber strikt dagegen wehren, wenn jemand sagt, unsere Schule ist in erster Linie leistungsorientiert. Wir machen mit allen Schülern ein Kompetenztraining. Dabei geht es um die Fragen, wie verhandeln wir Probleme, wie lösen wir Probleme? Leben ist mehr als Schule und mehr als Leistung. Die Schüler sollen wissen, dass es nicht das wichtigste ist, eine 1,0 im Abi zu haben. Wir vermitteln ihnen, dass das über sie als Menschen gar nicht so viel aussagt, wie die Antwort auf die Frage: wie gehst du mit anderen Menschen um?

Wenn Sie sich eine Schule für die Zukunft wünschen dürften? Wie würde sie aussehen?

Ich würde schon sagen, dass die Leistungsorientierung weniger eine Rolle spielen sollte als Grundkompetenzen wie Schreiben, Lesen, das engagierte Arbeiten an einer Sache, Medienkompetenz und Zivilcourage. Ich würde mir wünschen, dass Kollegen noch besser im Team zusammenarbeiten, dass wir Kinder noch mehr mitnehmen können, noch ein wacheres Auge auf die Kinder haben.

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