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Projekt in Köln-Sülz gestopptKleingärtnerin kämpft gegen das Artensterben

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Andrea Eßfeld hinter dem Wald-Ziest in der Hecke am Aquarienweg, die sie selbst bepflanzt hat.

Andrea Eßfeld hinter dem Wald-Ziest in der Hecke am Aquarienweg, die sie selbst bepflanzt hat.

Sülz – Mittags um eins ist an der Hecke mächtig viel los. Eine Rotkehlchenfamilie streitet sich im Gebüsch. Eine Kröte hüpft unter das Blätterdach in Bodennähe. Wildbienen und Hummeln tummeln sich an lila leuchtenden Blüten. Die Sülzer Kleingärtnerin Andrea Eßfeld hat heimische Pflanzen für die Tiere dort gepflanzt, Holunder, Weißdorn, Pfaffenhütchen für die Rotkehlchen. Ein Wald-Ziest hat sich dazugesellt, genauso wie die Brombeere daneben. Gemeinsam bilden sie ein dichtes grünes Dickicht am Rand des Aquarienwegs, der durch den Kleingartenverein Kletterrose führt.

Um die heimischen Sträucher schwirren die passenden Tiere. Pflanzen, Insekten, Vögel und andere Tiere bilden ein System – an dessen Ende steht der Mensch. Deswegen ist das aktuelle in der Öffentlichkeit immer wieder thematisierte Insektensterben so bedrohlich und darum hat sich Eßfeld, die als Mitglied des BUND in dem Naturschutzverband auch ehrenamtlich für Gebäudebrüterschutz und innerstädtisches Grün zuständig ist, für die Hecke neben ihrem Kleingarten engagiert.

Hecken sollten behutsam geschnitten werden

Auch die Fraktion der Grünen in der Bezirksvertretung Lindenthal hat für die kommende Sitzung beantragt, dass das Stadtteilparlament die Verwaltung per Beschluss ausdrücklich auffordert, Hecken, Büsche und Bäume künftig behutsamer zurückzuschneiden und sicherzustellen, dass kein Kahlschlag erfolgt. Eßfeld erläutert, warum der radikale Beschnitt so bedenklich ist.

„Wenn Mitarbeiter des Grünflächenamts, wie bislang, bis Ende Februar alles stark herunterschneiden, bleibt Anfang März kein Nistraum mehr für die brütenden Vögel übrig“, kritisiert sie. Außerdem sollte die ganze Hecke immer nur abschnittsweise bis auf den Stock zurück geschnitten werden, nie ganz, weil dies einen totalen Lebensraumverlust für alle heimischen Tiere zur Folge habe.

„Wenn die Hecken ständig zu Formhecken geschnitten werden, dann blüht und fruchtet nichts mehr“, erläutert sie. „Somit sind für die Wildbienen, Schmetterlinge, Käfer und andere Insekten kein Nektar und Pollen mehr da und für die Vögel keine Früchte.“ Sehr viele Pflanzen würden den Rückschnitt auch nicht besonders gut vertragen. „Bei manchen dauere es Jahre bis sie wieder blühen und Früchte tragen. Deswegen hatte sie im Einverständnis mit dem Amt für Landschaftspflege und Grünflächen die Patenschaft für die Hecke neben ihrem Garten am Aquarienweg übernommen. Sie sollte ein Vorzeigeprojekt des BUND werden. Doch die Stadt hat der 65-jährigen engagierten Großmutter nun die Patenschaft für die Hecke entzogen. „Der Vorstand des Kleingartenvereins hat sich bei der Stadt beschwert und wollte wieder Zugriff auf die Hecke haben“, erzählt Eßfeld. „Er hat damit gedroht, sonst seine Arbeit niederzulegen.“

„Maximal 1,25 Meter hoch sein“

Das Amt für Grünflächen bestätigt diese Aussage: „Der Kleingartenverein pflegt seit Jahren ehrenamtlich die öffentlichen Grünflächen auf dem Gebiet der Gartensiedlung und hätte dieses Engagement eingestellt“, erläutert Sandra Winter vom Amt für Landschaftspflege und Grünflächen. „Dies hätte bedeutet, dass die Stadt Köln die Pflege selbst übernehmen muss oder eine Firma beauftragt. In jedem Fall wären Mehrausgaben entstanden. Als öffentliche Auftraggeberin bin ich jedoch gehalten, finanziellen Schaden von der Stadt Köln abzuwenden.“

Nach dem Grund für sein Einschreiten gefragt, beruft der Vereinsvorstand sich auf die Regeln: „Laut Gartenordnung, herausgegeben von der Stadt Köln und dem Kreisverband Kölner Gartenfreunde, darf die Wuchshöhe von Formschnitthecken zwischen den Gärten und zu den Wegen bis maximal 1,25 Meter hoch sein“, betont die Schriftführerin Rosemarie Blöming.

Diese Vorschrift bezieht sich allerdings nur auf die Hecken zwischen den Gärten der Anlage, zu der Eßfelds Patenhecke nicht gehört. Für das Beschneiden und Pflegen der Büsche und Bäume entlang des Aquarienweges ist das Amt für Landschaftspflege und Grünflächen zuständig. Deswegen wundert sich Andrea Eßfeld darüber, dass die Stadtverwaltung dem Verein nachgegeben hat. Schließlich hat die Stadt sich gerade selbst auf die Fahnen geschrieben, für eine naturnahe Bewirtschaftung ihrer Flächen zu sorgen.

Bündnis „Kommunen für biologische Vielfalt“

Köln ist im vergangenen Jahr offiziell dem Bündnis „Kommunen für biologische Vielfalt“ beigetreten und hat sich für die Verleihung des „Labels Stadtgrün naturnah“ beworben. Dabei handelt es sich um ein Bundesprogramm, mit dem vorbildhaftes kommunales Engagement ausgezeichnet wird, das auf eine ökologische Bewirtschaftung öffentlicher Grünflächen und den Erhalt der biologischen Vielfalt in Städten abzielt.

Eine Arbeitsgruppe, zu der Andrea Eßfeld als BUND-Mitglied auch gehört, soll nun Handlungsmöglichkeiten aufzeigen. Eine hat sie bereits parat: „Aus den Hecken der vielen Kleingärtenanlagen in Köln ließe sich ein ganzes grünes Netz in der Stadt errichten, das eine Nahrungsgrundlage für die Insekten und heimischen Vögel bildet“, betont sie. „Und es ist ja nicht so, dass wir noch die Wahl haben. Wir müssen dringend etwas tun, wenn wir das Artensterben aufhalten wollen.“

So hofft Andrea Eßfeld, dass die heimischen Sträucher langfristig eine immer größere Daseinsberechtigung in den Gartenanlagen haben. Der Vorstand des benachbarten Kleingartenvereins Lindenthal, der ebenfalls am Aquarienweg ansässig ist, hält ihre Herangehensweise für unterstützenswert. „Wir halten sehr viel von einer ökologisch verträglicheren Grünpflege“, sagt Vorstandsmitglied Volker Dolling. „Viele unserer Mitglieder haben sich schon über den rigorosen Rückschnitt geärgert, der ja auch die Privatsphäre im Garten reduziert, weil jeder über die gestutzten Hecken dort hineinschauen kann.“ Eßfeld hofft nun darauf, dass das Amt für Landschaftspflege und Grünflächen nun auf Radikalschnitte verzichtet. Und hat schon erste positive Zeichen erspäht. „Auf die Wiese vor der Hecke hat die Stadtverwaltung mir nun eine Eberesche gepflanzt“, lobt sie. „Das ist mein Lieblingsbaum. 63 Vogelarten ernähren sich davon.“

Verheerende Folgen drohen

Insekten sind so wichtig, weil etwa 80 Prozent aller wilden Gewächse (darunter auch Baumwolle, Seide und Arzneipflanzen) von Fluginsekten bestäubt werden. Sie sind eine wichtige Nahrungsquelle für Vögel und Amphibien. Ohne Nahrung verschwinden auch diese: Inzwischen lässt sich auch ein Vogelrückgang von 13 Prozent feststellen. Geht das Sterben so weiter, könnten die Folgen am Ende verheerend sein: Durch die fehlenden Insekten könnten insektenabhängige Pflanzen möglicherweise ebenfalls aussterben. Alle Tiere, die sich zuvor von diesen Pflanzen ernährten, würden ebenso verschwinden. Aber auch wir Menschen könnten betroffen sein. Denn ein Drittel unserer Nahrungsmittel hängt von der Bestäubung durch Insekten ab, beispielsweise Brokkoli, Blaubeeren, Tee und Kaffee.

Allein in Europa bestäuben Bienen etwa 4000 Gemüsesorten. Sie sorgen auch für die Verbreitung vieler Wildpflanzen, die Nahrung und Rückzugsort für Tiere bedeuten können. (Quelle: Greenpeace)

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