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Regenbogenflaggen angezündetSo reagiert die Lindenthaler Gemeinde auf Hassbotschaften

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Christi Auferstehung 3 130521

Angezündete Regenbogenfahnen vor der Kölner Kirche Christi Auferstehung im Mai 2021.

Köln-Lindenthal – Erst als sie gehen will, fällt Valeska Homburg die Regenbogenfahne an der linken Seite der Kirche Christi Auferstehung auf; ihr unteres Teil ist verkohlt und weht im Abendwind. Sie hatte nur kurz vor der lindenthaler Kirche gehalten, um die Musik des Freiluftgottesdienstes zu hören. Ihr vierjähriger Sohn steht neben ihr und wippt im Takt. „Ich bin total schockiert. Ich selbst bin zwar nicht in der Kirche, aber die Segnung homosexueller Paare letzten Sonntag fand ich richtig toll“, sagt sie.

Zum Segnungsgottesdienst waren die Flaggen an zwei Mästen vor der Kirche angebracht worden, in der Nacht zu Mittwoch wurden beide von unbekannten Tätern angezündet. Die Flaggen sind ein Symbol der Lesben-und Schwulenbewegung. Vergangenen Sonntag wollte die Gemeinde als Teil einer deutschlandweiten Aktion ein Zeichen für Toleranz innerhalb der kirchlichen Institution setzen. Papst Franziskus hatte sich zuvor gegen die Segnung homosexueller Paare ausgesprochen.

Gemeinde bekommt „starken Wind von rechts“

„In meinem Haus haben wir mit Nachbarn auch über die Fahnen gesprochen – auch die älteren unter ihnen haben das Zeichen der Kirche befürwortet“, sagt Homburg. Für sie sei die Kirche gerade in Corona-Zeiten ein Ort der Gemeinschaft geworden; wenn die Musiker coronabedingt vor der Kirche üben, kommt sie mit ihrer Familie oft zuhören. Donnerstagabend sind rund 50 Gemeindemitglieder versammelt, um unter freiem Himmel Christi Himmelfahrt zu feiern. Hatte es um 17 Uhr noch geregnet scheint zu Beginn des Gottesdienstes eine Stunde später wieder die Sonne hinter den grauen Wolken hervor.

Christoph Bouillon, Vorsitzender des Pfarrgemeinderats, verurteilt die Tat scharf: „Solch feige Straftaten werde und will ich nicht tolerieren. Ich lasse mich davon nicht beeindrucken.“ Trotzdem beobachtet er eine Zunahme der gesellschaftlichen Intoleranz, die ihn sorgt: „Ich bin medial sehr präsent und unsere liberal-geprägte Kirche ist es auch. Wohl deshalb bekommen wir starken Wind von rechts“, vermutet er.

Halbverbrannte Fahne nochmal gehisst

Er persönlich würde Drohmails erhalten; auch auf offener Straße sei er bereits beleidigt worden. Trotzdem will er weitermachen: Kurz vor Beginn des Himmelfahrtgottesdienstes richtet er sich an die anwesende Gemeinde: „Wir hissen hier die halbverbrannte Fahne noch einmal, um zu zeigen, dass wir Hass keinen Raum geben“, sagt er, „wir schauen hin.“

Danach predigt Priester Bündgens den vorgesehenen Gottesdienst, der Christi Himmelfahrt gedenkt. Dabei hängt rechts von ihm ein Poster an der Außenwand der Kirche, darauf zu sehen: Jesus mit einem Heiligenschein in Regenbogenfarben. Ein Zeichen der Gemeinde. Sie steht geschlossen hinter des Segnungsgottesdienstes und den Fahnen, die jetzt wieder wehen. Die rechte Fahne ist neu, da die ursprüngliche beim Brand zu stark verkohlt wurde.

Lesbisches Paar hatte sich am Sonntag segnen lassen

Dass solch ein Anschlag gerade in Köln passieren würde, hätte auch Karin Baustmann nicht gedacht. Sie und ihre Frau hatten sich noch am Sonntag segnen lassen – ein wundervolles Gefühl sei das gewesen, erinnert sie sich. Jetzt steht sie in der letzten Reihe der Gottesdienstbesucher, und versucht, das Geschehene besser zu verstehen. Persönlich habe sie wegen ihrer sexuellen Orientierung noch keine große Diskriminierung erfahren, sagt sie.

Dass ihre Lebensweise in der Kirche nicht sichtbar gewesen sei habe sie aber durchaus gestört; sie engagierte sich deshalb in der Reformbewegung „Maria 2.0“. „Da wollten wir als Gemeinde ein Zeichen setzen, und dann passiert so etwas. Alles was wir wollen, ist den Segen bekommen. Normalität eben“, sagt Baustmann.

Seit 20 Jahren sind sie und ihre Frau ein Paar, beiden ist ihr Glaube wichtig, bei einem Lied kurz vor der Hostienverteilung legen sie ihre Arme umeinander. „Dass jemand seine Meinung auf so eine aggressive Weise ausdrückt, stimmt mich traurig.“ Baustmann hält inne und denkt über das Wort „Meinung“ nach. Hass sei keine Meinung, korrigiert sie sich, aber wie man einem solchen Täter begegnen solle, wisse sie im Augenblick nicht. „Zumindest glaube ich, dass die Liebe langwierig und geduldig ist. Wir dürfen jetzt nicht in Verbitterung geraten.“

Brennende Flaggen erinnern an Zweiten Weltkrieg

Rosemarie Schmitz klingt da bereits etwas resignierter: „Ich habe das Kriegsende nur als Kind erlebt, aber brennende Flaggen erinnern mich trotzdem sofort an die Zeit damals. Vor allem an Bücherverbrennungen“, sagt sie. Schmitz ist Jahrgang ‘37. Sie engagiert sich seit 58 Jahren in der lindenthaler Gemeinde. Inzwischen habe sie das Gefühl, wieder in einer Hassgesellschaft zu leben.

„Ich glaube, das geht zu weit. Es gibt eben solche und solche, ich glaube, die große Mehrheit unserer Gesellschaft ist tolerant“, sagt Gabriele Krannich, ein weiteres Gemeindemitglied. Schmitz überlegt und kommt zu dem Schluss, dass auch die Täter sich mehr mit dem Glauben beschäftigen sollten: „Im Glauben findet sich die Toleranz, die – aus meiner Sicht zumindest – derzeit fehlt.“

Antworten mit mehr Flaggen

Dass Homophobie noch so präsent sei, habe auch Leonie Braun überrascht. Auch sie engagiert sich bei „Maria 2.0“. Zuvor hatte sie über einen Kirchenaustritt nachgedacht, sich aber dagegen entschieden. „Wenn alle Leute, die so denken wie ich, gehen, bleiben die Falschen. Dafür ist mir mein Glaube zu wichtig“, sagt die 33-jährige. In der Kirche sehe sie gerade auch auf globaler Ebene viel institutionelles Potenzial.

„Sie muss aber im 21. Jahrhundert ankommen. Vor Sonntag kam fast nur positives Feedback zum Segnungsgottesdienst, inzwischen erreichen uns aber auch vermehrt Hassnachrichten. Wir müssen mit mehr Flaggen antworten.“ Kurz nach 19 Uhr, der Gottesdienst ist beendet, werden beide Regenbogenfahnen von den Mästen geholt – die Gemeinde will überlegen, wie sie sie langfristig sicher anbringen können.

Der Vorsitzende des Pfarrgemeinderats faltet die beschädigte Flagge zusammen; der verbrannte Saum entlang der Farbstreifen gelb, orange und rot zeigt nach oben. Freitagmorgen will er sie dem Künstler Walter Bruno Brix vorbeibringen, dieser will ein Kunstwerk aus ihr machen. Es soll dann ab September in der Kirche zu sehen sein.

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