Rückblick auf Lindenthal 2018„In Beverly Sülz hat man keine Lust auf Revolte“

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Der Kölner Kabarettist Robert Griess lebt in Sülz.

Sülz – Der Sülzer Kabarettist Robert Griess kommt zum Gespräch ins Café Lokal im Weyertal. Wir haben ihn gebeten, das Jahr 2018 aus Veedels-Sicht Revue passieren zu lassen.

Herr Griess, ist im Stadtbezirk Lindenthal im vergangenen Jahr etwas passiert ist, das die Anwohner so richtig auf die Palme bringt?

Hier in Sülz gibt es gelbe Westen eigentlich nur zur Sicherheit unter dem Autofahrersitz. Die Lust an der Revolte ist hier, anders als in Frankreich oder früher, während der Zeit, als in der Palanter Straße noch die Kommunisten wohnten, mittlerweile doch eher sehr beschränkt. Die Kölner nennen das Viertel ja mittlerweile „Beverly Sülz“. Ich finde es persönlich aber sehr schade, dass hier in Sülz und in manchen anderen Vierteln im Stadtbezirk das kostenfreie Parken abgeschafft wurde. Mit den Parkautomaten ist wieder ein Stück Heimat verloren gegangen, weil wieder eine Ökonomisierung des öffentlichen Raumes stattfindet. Das finde ich traurig.

Aber das kostet ja nun mit 30 Euro im Jahr nicht viel und dient ja dem Schutz der Anwohner, damit sie noch einen Parkplatz finden...

Ja, aber damit fängt es an. Momentan ist es noch nicht teuer. Man muss die Leute ja erst einmal daran gewöhnen. Wenn die Einnahmequelle geschaffen ist, kann man sie dann auch jederzeit erhöhen. Es ist schon sinnvoll, Pendler zum Umsteigen auf Bus und Bahn zu bewegen, anstatt dass sie täglich mit dem Auto herkommen. Man könnte die Flächen aber ja auch einfach einmal anders nutzen, als als Parkplätze. Wenn man 30 Jahre hier wohnt, ist es einfach ein Einschnitt, dass hier plötzlich Parkscheinautomaten stehen. Schön ist das nicht.

Wie würden Sie denn damit umgehen, dass es immer mehr Autoverkehr gibt?

Der öffentliche Nahverkehr sollte kostenlos werden wie in Luxemburg und man sollte endlich das Radverkehrsnetz ausbauen. Wie in Kopenhagen sollte man für die Fahrräder eine richtige Spur schaffen, nicht wie hier einen Meter am Rand, wo sie von Autos geschnitten werden. Von allen Straßen in der Stadt, die zweispurig sind, wie hier im Stadtbezirk die Luxemburger und die Aachener Straße, sollte man mindestens eine Spur wegnehmen und zum Fahrradweg machen. Es sollte ein ganzes Netz von Fahrradstraßen geben. Darauf ist man unglaublich viel schneller durch die Stadt unterwegs als mit dem Auto. Dann bauen wir mehr große Parkplätze am Stadtrand. Dort können die Leute dann aufs Fahrrad oder in ein Carsharing-Auto umsteigen oder kostenlos mit der Bahn in die Stadt fahren. Das fände ich für Köln ganz fantastisch. Der Fehler war, dass nach dem Zweiten Weltkrieg in der Stadt alles auf Transit angelegt wurde, nur auf Weiterkommen, nicht auf Verweilen.

Es wird ja auch immer schwieriger, in Lindenthal eine bezahlbare Wohnung zu finden. Im vergangenen Jahr hat die Bezirksvertretung beschlossen, dass die Stadtverwaltung prüfen soll, ob sie für Sülz eine Milieuschutzsatzung aufstellt, die Mieter vor Mieterhöhungen bewahren soll. Das wäre die erste im Stadtbezirk. Was halten Sie davon?

Tja, für welches Milieu denn? Für das jetzige? Eigentlich ist es dafür doch schon längst zu spät. Die große Entwicklung hat hier in den letzten 20, 30 Jahren bereits stattgefunden. Es kann natürlich alles immer noch schlimmer werden. Auf der anderen Seite muss ich sagen, leben wir nun einmal in einer Großstadt und da gehört Veränderung dazu und das macht viel des großstädtischen Lebens aus, dass es diese Dynamik gibt. Der schlimmste Provinzialismus ist doch der, zu sagen, ich wohne in der Großstadt, aber ich will, dass es hier bleibt wie auf dem Dorf.

Aber finden Sie es nicht ungerecht, wenn einheimische Familien durch zuziehende Besserverdiener verdrängt werden?

Doch, das ist unheimlich ungerecht. Aber da hilft nur eine Veränderung von Eigentumsverhältnissen und das wird niemand angehen. Man muss zum einen neue Wohnungen bauen, aber man müsste auch schärfere Regeln schaffen, damit Mieten bezahlbar bleiben. Im Grundgesetz steht: Eigentum verpflichtet. Aber um das in gesetzliche Formen zu gießen, müsste dafür ein politischer Wille vorhanden sein, der sich artikulieren müsste. Dazu ist die bourgoise Bohème, die regiert, aber zu selbstverliebt, zu selbstreferenziell und auch zu hedonistisch. Das ist nicht „Liberté, Egalité, Fraternité“ (Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, die Red.), sondern „Liberté, Egalité, Roibuschtee“. Dabei werden die Verdrängenden später oft selbst verdrängt.

Inwiefern?

Es sind oft junge Familien, die zur Wohnungsbesichtigung mit dem Manufactum-Katalog kommen und den Eltern, die das alles bezahlen, oder mit dem Erbe im Rücken. Erben haben immer 100 000 oder 200 000 Euro Vorsprung, die man durch ehrliche Arbeit nicht kompensieren kann. Es sind diejenigen, die erst die Preise mit hochtreiben, weil sie jede Wahnsinnssumme bezahlen, die ihnen die Makler diktieren. Und es sind dann auch dieselben, die später, nachdem sie sich getrennt haben, jammern, weil sie im Viertel bleiben möchten, wo Paul-Leon alle seine Freunde hat, sich aber zwei Haushalte nicht leisten können.

Aber sie können doch dann statt einer großen zwei kleine nehmen?

Ja, aber es gibt oft nicht zwei Vollverdiener. Interessant ist in unserem Milieu, dass die Gleichberechtigung immer bis zum Diplom gilt. Dann sagt der Mann: „Ich verdiene ja ein bisschen mehr und habe doch ein bisschen mehr Aufstiegschancen“. Und dann hält die Frau dem Mann den Rücken frei. Jahre später hört man dieselben Frauen auf dem Spielplatz klagen, dass sie für ihren Mann auf alles verzichtet haben, und jetzt nach der Trennung die Miete in Sülz oder Lindenthal nicht zahlen können.

Gab es aus Ihrer Sicht denn noch eine ganz konkrete Entwicklung im Stadtbezirk Lindenthal, die Sie bedauert oder begrüßt haben?

Als FC-Fan fand ich es schade, dass der 1. FC Köln abgestiegen ist. Das Gute an dem Abstieg ist allerdings, dass die Pläne für den Neubau des Stadions erst mal auf Eis gelegt sind. Der Verein wollte irgendwo außerhalb bei Pulheim bauen. Man muss aber das Stadion im Dorf lassen, wo es hingehört und das Dorf heißt Müngersdorf. Außerdem gewinnt der FC jetzt in der zweiten Liga dauernd und das macht wieder gute Laune.

Was wünschen Sie sich für das nächste Jahr für Ihren Bezirk?

Dass wir ein Bürgerzentrum für Sülz, Klettenberg und Lindenthal bekommen. Die Kirche auf dem Kinderheim-Gelände samt unterer Etage sollte doch einer kulturellen Nutzung zugeführt werden. Das war Bedingung der Stadt für Investoren damals. Warum ist da bis heute kein Bürgerzentrum drin? War das nur eine Alibi-Forderung, die die Investoren dann schnell vergessen, wenn das Gelände entwickelt wurde? Überall in Köln gibt es so etwas, vom Stollwerck übers BüZe in Ehrenfeld, den Altenberger Hof in Nippes… Nur hier nicht. Das sollten wir angehen!

Zur Person

Robert Griess ist Kabarettist und Autor. Er wurde 1966 in Bonn geboren und wuchs in Troisdorf auf. Nach dem Abitur zog er nach Köln, wo er Theaterwissenschaften studierte.

Bereits während des Studiums begann er als Kabarettist im WDR-Hörfunk, dem Bonner Pantheon bei Hanns Dieter Hüsch, bei Harald Schmidt und anderen. 2006 gründet er die Schlachtplatte-Endabrechnung, dessen Jahresrückblick-Tourneen er bis heute organisiert. Seit 2010 ist Griess künstlerischer Leiter des Kölner „Streithähne“-Festivals für politisches Kabarett. 2012 erschien sein Roman-Debüt „Stappers Revolte“, 2016 sein „Satirisches Handgepäck für Köln“ . Griess ist verheiratet, hat zwei Kinder und wohnt in Sülz. Am 20, 21. und 28. Dezember ist er jeweils um 14.30 Uhr mit seinem Programm „Die Köln-Show“, im Senftöpfchen, Große Neugasse 2-4, zu sehen, und am 4. und 5. Januar, jeweils um 20 Uhr, mit der „Schlachtplatte“ in der Comedia, Vondelstraße 4-8. www.robertgriess.de

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