So wohnt KölnDiese Sülzer WG verhilft zu maximaler Eigenständigkeit

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Fünf der acht WG-Bewohner auf ihrem Sofa im Wohnzimmer.

Fünf der acht WG-Bewohner auf ihrem Sofa im Wohnzimmer.

  • Die insgesamt acht jungen Bewohnern einer Wohngemeinschaft sind sehr unterschiedlich, haben aber eines gemeinsam.
  • Sie sind mit einer geistigen Behinderung auf die Welt gekommen und benötigen bei der eigenen Haushaltsführung Unterstützung.
  • Für die meisten WG-Bewohner ist es die erste eigene Wohnung. Vorher lebten fast alle bei ihren Eltern.

Sülz – Wer den jungen Mann nach seinem Namen fragt, erntet Indianergeheul, dann zeigt sein Finger in die Luft. „Peng!“ Immer noch nicht verstanden? Die Frage steht ihm ins Gesicht geschrieben. Er tippt auf dem kleinen Computer, der vor ihm steht, auf das Bild eines Revolvers.

Betreuerin Christina Umbreit hilft: „Stahl. So heißt der Mann mit Nachnamen, wie das Material, aus dem die Pistole ist.“ Den Vornamen kann er sogar buchstabieren: „D, e, n, n, i, s.“ Dennis Stahl, 22 Jahre, hat das Down-Syndrom, ist Besitzer des Chromosoms 21 in dreifacher Ausführung, sitzt in der WG, wo er ein Zimmer hat, am Küchentisch und fühlt sich sichtlich wohl, genauso wie sein Mitbewohner Ansgar Peters: „Es ist das allerbeste Zuhause“, sagt er.

Die Wohlfühl-Oase befindet sich in der zweiten Etage in einem Wohnhaus am Elisabeth-von-Mumm-Platz.

Peters hat schon einmal Schlimmeres erlebt: „Ich komme eigentlich aus Düsseldorf“, erzählt der 31-Jährige. „2003 ist meine Mutter krank geworden. Da musste ich in ein Heim nach Grevenbroich und habe nachts immer ganz viel geweint.“

Seiner Mutter geht es wieder gut und Ansgar auch. Er und Dennis gehören zu den insgesamt acht jungen Bewohnern einer Wohngemeinschaft, die sehr unterschiedlich sind, aber eines gemeinsam haben: Sie sind mit einer geistigen Behinderung auf die Welt gekommen und benötigen bei der eigenen Haushaltsführung Unterstützung.

So wohnt Köln

In unserer Serie stellen wir ungewöhnliche Wohnmodelle, Behausungen, Projekte oder Konstellationen vor – von prekär bis spektakulär. Wenn Sie auch besonders wohnen – in einer Burg, in einer Zwei-Zimmerwohnung zu siebt, ganz hoch, ganz tief, auf dem Campingplatz, in einem Studenten-Wohnheim, im Architektenhaus, an einem Ort mit Geschichte, einem Bauernhof, im Kloster oder, oder, oder – und uns von Ihrer Wohnsituation erzählen wollen, dann melden Sie sich gerne bei uns!

ksta-stadtteile@dumont.de

Die Lebenshilfe Köln hat von der GWG Sülz drei große Wohnungen gemietet, um Menschen wie Dennis und Ansgar ein möglichst eigenständiges Leben zu ermöglichen. Ansgars Freundin Maylin Thelen wohnt auch in der WG. Er hat die junge Frau vor drei Jahren bei einem Kurs kennengelernt. Seitdem sind sie ein Paar.

Für sie ist es, wie für die meisten anderen WG-Bewohner auch, die erste eigene Wohnung. Vorher lebten fast alle bei ihren Eltern. Nun hat jeder ein Zimmer mit Bad und teilt sich mit den anderen eine große Gemeinschaftsküche, ein großes Wohnzimmer, einen Balkon – und eine Wiese im Innenhof, die sie mitbenutzen dürfen.

In der Küche hängt ein großer Plan, wo mit Hilfe von Bildern von Kochtopf, Spülmaschine, Einkaufswagen und ähnlichem vermerkt ist, wer wann Koch-, Küchen-, Wäsche- oder Mülldienst hat oder einkaufen gehen muss. Bei den Tätigkeiten werden die jungen Menschen unterstützt. Von morgens 5.30 bis 8.30 Uhr ist eine Betreuung da, bis die Bewohner zur Arbeit gegangen sind und das Haus verlassen haben und dann wieder nachmittags von 16 bis 21 Uhr, wenn sie wieder zurückkommen sowie am Wochenende und im Urlaub von 10 bis 20 Uhr. Wenn nachts etwas ist, können die Bewohner in der ersten Etage klingeln.

Maylin und Ansgar sind seit drei Jahren ein Paar und würden am liebsten in eine eigene Wohnung ziehen.

Maylin und Ansgar sind seit drei Jahren ein Paar und würden am liebsten in eine eigene Wohnung ziehen.

Dort, wo auch Menschen leben, die rund um die Uhr betreut werden müssen, gibt es einen Bereitschaftsdienst. Die WG-Bewohner benötigen ein unterschiedliches Maß an Unterstützung. „Für jeden unserer Kunden wird ein individueller Hilfeplan erstellt, der auch alle zwei Jahre überprüft wird. Es gibt Menschen wie Ansgar Peters, die nur ein paar Stunden in der Woche Betreuung benötigen und solche wie Dennis Stahl, die jeden Tag Hilfe brauchen, um rechtzeitig aufzustehen und zu ihrer Arbeitsstelle, zumeist in einer Werkstatt, zu kommen. Ansgar Peters arbeitet sogar in einer Druckerei und muss bis nach Bedburg fahren“, sagt Anka Friedrichsen, Leiterin für Betreutes Wohnen bei der Lebenshilfe.

Peters lebte bereits vorher in einer eigenen Wohnung, allerdings bei seinen Eltern im Umland und genießt nun das Leben in der Stadt. „Ich finde es praktisch, dass die 13 vor der Tür ist“, findet er.

„Unsere Tochter spricht von ‚ihrem Zuhause‘“

Auch zum Einkaufen müssen die jungen Leute nur die Treppen hinunter. Ein paar Meter entfernt befindet sich ein Supermarkt. In ihrer Freizeit sind sie gerne viel unterwegs, gehen schwimmen, machen Musik, spielen Theater oder Fußball und kochen gerne gemeinsam – mit ein bisschen Unterstützung.

Die betreute WG ist ein Erfolgsmodell, seit die Lebenshilfe sie 2010 wie andere große Träger in Köln auch, eingeführt hat. Den besten Beweis hat Anka Friedrichsen von der Lebenshilfe parat: „Unsere erste Wohngemeinschaft in Niehl existiert immer noch“, betont sie.

Die Lebenshilfe kann vielen Menschen mit geistiger Behinderung ein möglichst selbstbestimmtes Leben ermöglichen. Auch die Eltern ihrer Schützlinge sind sehr zufrieden: „Unsere Tochter spricht von ‚ihrem Zuhause‘ und wir schätzen den guten Kontakt zu dem jungen, motivierten Team“, lobt Maylins Mutter, Anja Thelen.

Bei ihrem Engagement stößt die Organisation allerdings an eine natürliche Grenze: „Es ist sehr schwer in Köln Wohnraum zu finden“, sagt Friedrichs. „Die meisten Projekte haben wir in Kooperation mit der GAG.“ Doch Wohnungen werden knapp. So bleibt die Frage, ob sich Ansgars und Maylins ganz großer Wunsch erfüllen lässt: „Wir möchten gerne bald in eine eigene Wohnung ziehen“, sagt Ansgar. Da würden sie sich vielleicht doch noch ein bisschen wohler fühlen.

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