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So wohnt KölnWarum zwei Studenten mit 24 Senioren in einer WG wohnen

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Student Jorrit König mit zwei seiner WG-Mitbewohnerinnen

  • Auf dem Gelände des ehemaligen Kinderheims Sülz hat sich eine der wohl ungewöhnlichsten WGs in Köln zusammengefunden.
  • Hier wohnen zwei Studenten in einer WG mit 24 Senioren. Das Prinzip: Die Studenten kommen günstig unter, dafür helfen sie bei allem, was die Älteren nicht mehr schaffen.
  • Und das funktioniert? Ohne Probleme? Wir haben die WG besucht.
  • Lesen Sie hier noch weitere Folgen der Serie „So wohnt Köln”.

Sülz – Nach dem Kollaps im Jahr 2015 überlebte Josefine Unger nur knapp. Mehrfach wurde sie operiert und ist nach einer Beinamputation auf den Rollstuhl angewiesen. Zurück in ihre ehemalige Wohnung ohne Aufzug konnte die heute 63-jährige Kölnerin nicht mehr.

Ihre fünf Kinder und die Ärzte vermittelten ihr einen Platz im Pflegeheim. Sie wurde versorgt – aber in ihr früheres aktives Leben fand sie nicht zurück. Ihr soziales Netz zerbröckelte, ihre Mitbewohner waren überwiegend an Demenz erkrankt und keine Gesprächspartner. Ihre Sehnsucht nach Kontakten, ihre Redseligkeit fanden keinen Widerpart. Sie wurde depressiv.

Gemeinschaftswohnen mit Pflegeservice

Heute ist Josefine Unger nicht mehr wieder zu erkennen. „Ich fühle mich hier so wohl“, sagt sie und das wirkt echt. Seit dem Frühjahr lebt sie in einer Senioren-WG zusammen mit Studenten im ehemaligen, umgebauten Kinderheim Sülz.

Dort bietet die Diakonie Michaelshoven in Kooperation mit der Gemeinnützigen Wohnungsgenossenschaft GWG ein neuartiges Wohnprojekt in frisch renovierten Räumen an – barrierefreies Gemeinschaftswohnen mit Pflegeservice, wenn nötig. Der Kontakt kam über die ambulante Altenhilfe der Diakonie zustande.

An den Außenfassaden wird noch gewerkelt und drinnen riecht es nach Farbe. Aber die 24 öffentlich geförderten Appartements für die älteren Menschen ab 60 Jahre sind schon fertig. Jeder hat sein eigenes Reich mit eigenem Bad und Platz für eine kleine Küche. Zusätzlich teilen sich jeweils sechs Seniorinnen und Senioren eine großzügige Wohnküche. Am schön gedeckten Kaffee-Tisch sitzen Josefine Unger und neben ihr Christine Geub-Weiß. Auch sie ist im Frühjahr eingezogen.

Die 68-Jährige hält den Daumen in die Höhe: „Das ist hier ideal, ich bin so glücklich“, sagt sie mehrfach und erzählt, dass sie vorher in einer winzigen, engen Wohnung lebte. Mit dem Rollstuhl habe sie sich dort kaum bewegen können. „Ich lag fast nur noch im Bett, ich war so isoliert und einsam“, schildert die Frührentnerin, die von Beruf Krankenschwester war und seit vielen Jahren an schwerem Rheuma leidet. „Ich wollte nicht mehr leben“, sagt sie. Sie habe schon mit dem Bestatter gesprochen, um einmal alles zu regeln.

Auf einem Aushang bei der Krankengymnastik erfuhr sie von dem Projekt. „Ich habe sofort gewusst, dass das richtig für mich ist.“ Sie habe zwar keine WG-Erfahrung, und es sei vor allem anfangs nicht einfach gewesen, mit wildfremden Menschen zusammen zu wohnen.

Aber sie ist fest überzeugt: „Wir sind hier froh und dankbar, alles andere wächst zusammen.“ Einen Fernseher wollten die Bewohner jedenfalls nicht im Gemeinschaftsraum, sie wollen sich lieber unterhalten und sich gemeinsam beschäftigen.

Der 23-jährige Jorrit unterhält die Senioren

Und da kommt Jorrit König ins Spiel. Seit Anfang März lebt er in der Senioren-WG. Fünf Stunden in der Woche ist der 23-jährige Student für die älteren Leute da, freilich nicht für die Pflege, sondern für ihre Unterhaltung. Er sorgt für Abwechslung und bringt quasi frischen Wind in die Bude, zusammen mit einer weiteren Studentin, die ebenfalls dort wohnt. Zu zweit sind sie für die 24 älteren Mitbewohner zuständig, für zwei Jahre haben sie sich verpflichtet.

6,25 Euro pro Quadratmeter

Wie alle Bewohner hat der Student einen Wohnberechtigungsschein und zahlt pro Quadratmeter 6,25 Euro Miete, die noch ein wenig gedrückt wird durch eine kleine Ehrenamtspauschale. Er sei aus Überzeugung eingezogen, sagt Jorrit König, der Kunstpädagogik und Chemie auf Lehramt studiert. „Ich habe vorher bei UPS gejobbt, wollte dann lieber etwas Soziales leisten“, erzählt der Student. Nachdem er eine Anzeige „Wohnen für Hilfe“ geschaltet hatte, wurde die Diakonie Michaelshoven auf ihn aufmerksam. Anfangs habe er ein wenig Sorge gehabt, dass ihm die Ideen ausgehen würden. Doch die war wohl unbegründet.

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Gemeinsam kochen

Am liebsten kocht er mit den älteren Mitbewohnern. „Das kommt besonders gut an“, berichtet er und schenkt Kaffee nach. Auch das Malen werde mit Begeisterung angenommen. In dem Punkt können alle von Wilma Keulertz lernen, die fast professionell malt, wie auf ihren Aquarellbildern zu sehen ist. Erst vor einigen Wochen ist die 89-Jährige eingezogen. Sie gab ihre Wohnung auf, als sie merkte, dass sie alleine nicht mehr so gut zurecht kommt. „Ich habe zuerst Angst gehabt, aber den Umzug habe ich wunderbar verkraftet“, erzählt sie. „Wir sind hier so ein tolles Team“, meint sie und gibt sich ganz munter.

50 Studierende hatten sich beworben

Jorrit König hat ein längeres Bewerbungsverfahren hinter sich. „Es hatten sich mehr als 50 Studierende für das Wohnprojekt beworben“, berichtet Heike Marth. Sie leitet das gemeinschaftliche Service-Wohnen in Sülz und ist die Ansprechpartnerin für die Bewohner. Mit sechs Kandidaten habe sie Gespräche geführt und dann letztlich zwei ausgewählt. Es sei sehr wichtig gewesen, dass die Bewerber glaubhaft versicherten, dass sie sich ernsthaft mit den älteren Mitbewohnern beschäftigen wollten. Abgesehen davon sei es ein ganz „normales“ Studenten-Appartement, sagt Heike Marth. Besuch von Freunden sei selbstredend erlaubt. Auch den großen Gemeinschaftsraum dürften sie nutzen, in Absprache mit dem Rest der Bewohner.

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