VorreiterIn Sülz ersetzt ein Carsharing-Auto 19 Privatwagen

Lesezeit 6 Minuten
Marietta Knecht ist glücklicher ohne eigenes Auto.

Marietta Knecht ist glücklicher ohne eigenes Auto.

Köln-Sülz – Das eigene Auto. Viele Menschen pflegen eine ganz besondere Beziehung zu diesem Gebrauchsgegenstand. Je nachdem, wie lange sie schon andauert, erfordert es Mut, sie zu beenden und sich fortan einen fahrbaren Untersatz mit anderen Menschen zu teilen.

Das Carsharing-Unternehmen Cambio hat sehr mutige Kunden. „Eine Familie ist neulich zur Entbindung mit einem unserer Wagen gefahren“, erzählt Mitarbeiterin Tanya Bullmann.

Carsharing als Akt der Verzweiflung

Wenn auch erfahrene Carsharer in so ziemlich jeder Situation auf das Angebot der Station ihrer Nähe vertrauen, die Gründe, warum Menschen es erstmals testen, sind zumeist deutlich unspektakulärer – wie im Fall von Marietta Knecht: „Unser Auto ist plötzlich kaputt gegangen“, erzählt die Sülzerin.

Alles zum Thema Ford

„Wir wussten überhaupt nicht, was wir jetzt machen sollen.“ Der Weg zu Cambio – das Unternehmen betreibt mehrere Stationen in Sülz – war ein Akt der Verzweiflung. Die Entscheidung für ein neues Auto wollten Knecht und ihr Mann nicht überstürzen.

Die Last der ewigen Parkplatzsuche entfällt

Sie trafen sie nie. Dem Paar gefiel die Autolosigkeit so gut, dass sie es dabei beließen. „Wir wohnen auf dem Gelände des ehemaligen Kinderheims zwischen Münstereifeler und Anton-Antweiler-Straße“, sagt Knecht. „Da findet man nie einen Parkplatz.“ Durch das Carsharing entfällt die Last der ewigen Parkplatzsuche.

Marietta Knecht gehört zu der wachsenden Zahl von Sülzer Cambio-Kunden, wie das Unternehmen berichtet. „Gerade hier in Sülz steigt die Zahl unserer Kunden stark. Von unseren 19.000 Kunden in Köln sind 2500 Sülzer. Wir haben im Viertel zahlreiche Stationen mit insgesamt 43 Autos. Weitere sind geplant“, sagt Tanya Bullmann.

„Ich benötige kein eigenes Auto“

Sülz ist ein Vorzeigeviertel für erfolgreiches Autoteilen. „Hier stimmen die Rahmenbedingungen“, sagt Bullmann. „Es gibt eine gute Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr. Wir haben eine verhältnismäßig gute Infrastruktur für Radfahrer. Es gibt zwar wenige Radwege, aber viele in gegenläufiger Richtung für den Radverkehr freigegebene Einbahnstraßen. Man kann seine Einkäufe zu Fuß erledigen, hat Cafés, Restaurants und Kneipen in der Nähe.“

Die Parkplatznot ist groß, und Viertelsbewohner bräuchten nicht unbedingt einen fahrbaren Untersatz, beziehungsweise nur für gewisse Unternehmungen. „Wenn ich einmal in der Woche meine Kinder zum Cellounterricht fahre, benötige ich kein eigenes Auto“, sagt Bullmann. Sicherlich, es gebe auch die Menschen, „die in einem schlecht an den öffentlichen Nahverkehr angebundenen Gewerbegebiet im Kölner Umland arbeiten“, räumt sie ein. „Dann braucht man einen Pkw.“

Ein Cambio-Auto ersetzt 19 Autos in Privatbesitz

Aber oft macht das eigene Auto ökonomisch keinen Sinn mehr. Viele Familien schaffen den Zweitwagen ab. Durch das Umsteigen auf ein geteiltes Auto werde relativ viel Parkraum frei, sagt Bullmann. Das Ergebnis sei bemerkenswert: Im Stadtteil Sülz ersetze ein Cambio-Auto 19 Autos in Privatbesitz, bundesweit sind es elf.

Knecht wurde nur langsam bewusst, dass sie ein eigenes Auto entbehren kann. Zunächst sparte sie den großen Batzen Geld, der für ein neues Auto nötig gewesen wäre. Dann bemerkte die Lehrerin, die mittlerweile in Zollstock arbeitet, das gut mit dem Fahrrad zu erreichen ist, dass sie den eigenen Wagen immer weniger vermisst.

„Wir haben uns schnell daran gewöhnt, die Autofahrten ein bisschen zu planen und auf der App zu schauen, in welcher Station welches Auto steht und wenn nötig eines zu reservieren.“ Ein Nachteil fällt ihr ein. „Man kann manchmal im Sommer am Wochenende nicht spontan an einen Badesee fahren, weil alle Autos weg sind.“ Doch die Vorteile würden klar überwiegen.

Ein Auto in der Garage würde nur herumstehen

Das sieht Tobias Weber genauso. Der Mitinhaber einer Kommunikationsagentur nutzt Leihwagen privat und beruflich. „In der Agentur gibt es manchmal Monate, während der wir nur im Büro sitzen. Da würde ein Auto in der Garage nur herumstehen“, erzählt er. „In anderen Wochen sind meine Kollegen und ich in unterschiedlichen Wagen fast täglich unterwegs, da würde ein Firmenwagen alleine gar nicht reichen.“

Zum Einkaufen brauche er in Sülz kein Auto, da alle Geschäfte fußläufig oder mit dem Rad erreichbar seien. „Ich mache vielleicht einmal im Monat einen Großeinkauf, bei dem ich Getränkekisten besorge“, sagt Weber. „Sonst brauche ich das Auto in der Stadt privat fast gar nicht.“

Für weitere Strecken seien Mietwagen günstiger

Für die unterschiedlichen Nutzungsarten der Kunden bietet das Unternehmen unterschiedliche Tarife an, entweder eine Grundgebühr und günstige Fahrtarife oder keine Grundgebühr und ein wenig höhere Tarife. Tobias Weber hat bei Cambio zwei Konten, ein privates und ein geschäftliches. Im Alltag denkt er gar nicht mehr über die Kosten nach, die eine Fahrt verursacht. „Ich weiß einfach, dass Carsharing viel günstiger ist, als ein eigenes Auto zu unterhalten.“

Für Wochenendausflüge nutzt Weber ebenfalls gern einen Leihwagen. Für weitere Strecken und längere Urlaube seien allerdings Mietwagen günstiger, findet er. Das sieht Tanya Bullmann von Cambio genauso. „Das ist oft billiger. Da muss man gegenrechnen“, sagt sie.

Das könnte Sie auch interessieren:

Die mangelnde Spontanität ist auch für Tobias Weber der einzige Haken am Carsharing-Angebot. „Das eigene Auto ist eben immer da. Wenn ich mich spontan entscheide, am Wochenende irgendwohin zu fahren, kann es auch einmal sein, dass dann alle Autos in meiner Nähe weg sind.“ Allerdings sei das kaum zu verhindern: „Ich gehe ich ja auch nicht an Silvester in den Supermarkt und wundere mich, dass ich an der Kasse Schlange stehen muss.“

Unterschiedliche Carsharing-Systeme

Großes Angebot: Neben stationsbasiertem Carsharing wie bei Cambio gibt es Free-Floater-Systeme wie Car2go und Drivenow. Sie stehen nicht in Konkurrenz zum stationsbedingen Car-Sharing, sondern ergänzen es. Beim Free-Floating steht das Fahrzeug nicht an einer Station, sondern dort, wo der Kunde es zuletzt abgestellt hat. Man ortet es mit dem Handy. Die Nutzung entspricht der eines Taxis, nur dass die Kunden selbst fahren und einen Parkplatz suchen müssen. Free-Floater werden nur innerstädtisch und für einen Weg genutzt, können per App ausgeliehen und wieder abgestellt werden.

Kunden nutzen die Free-Floater beispielsweise, wenn sie eingeladen sind, einen großen Salat dabei haben und diesen nicht mit der Bahn transportieren möchten oder sie besuchen eine Party an einem Ort, der nicht gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar ist und möchten auf dem Rückweg ein Taxi nehmen.

Stationsbedingtes Carsharing unterscheidet sich durch die Planbarkeit

Die Free-Floater und das stationsgebundene Carsharing ergänzen sich eher, als dass sie in Konkurrenz zueinanderstehen. So greifen manche Cambio-Kunden auf Free-Floater zurück, wenn an der Cambio-Station in ihrer Nähe nicht das gewünschte Auto zur Verfügung steht und sie deswegen eine etwas weiter weg gelegenen Station erreichen müssen.

Die Free-Floater konkurrieren eher mit Bus, Bahn und Taxis. Das stationsbedingte Carsharing unterscheidet sich durch die Planbarkeit (bis zu einem halben Jahr kostenfreie Reservierung möglich), feste Stellplätze, unterschiedliche Fahrzeuggrößen und die freie Nutzung innerhalb Europas.

Andere stationsbedingte Carsharing-Unternehmen sind Flinkster, das allerdings im Kölner Stadtgebiet kaum vertreten ist, und Ford-Carsharing, das momentan ebenfalls noch nicht viele Fahrzeuge hat und zumeist bei Autohäusern angesiedelt ist.

KStA abonnieren