Mal Abstand, mal AndrangKölner Friseursalons bangen trotz Öffnung um Existenz

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Susanne Klapper schneidet ihrer Kundin Antje die Haare.

Köln – Susanne Klapper wandelt durch ihren Salon in Nippes, der in den vergangenen 75 Tagen im staatlich verordneten Winterschlaf lag, es riecht nach Shampoo, Haarwachs und Desinfektionsmittel, es surrt und klappert, klingelt, plätschert, plaudert, lebt. Klapper ist froh, dass das Leben zurückgekehrt ist in ihren Laden. Sie spricht mit Antje, einer Stammkundin, die sich die Spitzen zwischenzeitlich selbst geschnitten hat, der Wuschelkopf braucht Facon, Pony und neue Farbe; „es fühlt sich schön an“, sagt Klapper, „wir sind erleichtert, wieder arbeiten zu dürfen.“ Antje sagt, sie freue sich, sei allerdings auch überrascht gewesen. „Beim Friseur kommt man sich schließlich nah. Aber hier fühle ich mich sicher, der Abstand wird eingehalten, zu einem fremden Friseur würde ich nicht gehen.“

Vor einigen Salons in der Innenstadt und auf der Neusser Straße haben sich am Montagmorgen lange Schlangen gebildet. Ein paar haben schon um Mitternacht geöffnet, um die Wiedereröffnung medienwirksam zu begehen. Nicht jeder Laden hält sich daran, dass pro Person zehn Quadratmeter Platz zur Verfügung stehen soll.

Groll und Angst vor der Pleite bleiben

In Susanne Klappers Salon werden die Abstandsregeln übererfüllt. Die Friseurmeisterin hatte sich Mitte Januar mit einem leidenschaftlichen Plädoyer für ihre Zunft im Internet zu Wort gemeldet, in dem sie erzählte, wie viele ihrer Kosten im Lockdown weiterliefen, Mieten, Steuern, Gehälter für Azubis. Sie fragte, warum zum Teufel sie das Kurzarbeitergeld für ihre Angestellten für zwei Monate vorstrecken müsse, sie erläuterte, wie hoch sie sich verschulden musste und warum sie Angst vor der Pleite habe.

Alles zum Thema Angela Merkel

Die Unsicherheit ist nicht verschwunden. Wie viele Kolleginnen und Kollegen wisse sie nicht, wie die Geschichte weitergeht, sagt Susanne Klapper. „Werden wir unsere Kredite weiter bedienen können? Wird es einen dritten Lockdown geben? Wie sieht es in ein oder zwei Jahren aus?“ Heute lache sie vor Freude, sie erinnere sich aber zu gut an den Tiefpunkt vor einigen Wochen, „da musste ich meine Eltern und Schwiegereltern um Geld bitten und habe vom Einkommen meines Freundes gelebt. Wenn man immer finanziell unabhängig war und dafür gelebt hat, ist das beschämend.“

Plötzlich war die Frisur ein Politikum

Haare waren immer wichtig. Der Vokuhila ging, der Undercut kam, Bubiköpfe und Bobs erlebten eine Renaissance wie Tönungen und Dauerwellen, der Vollbart galt plötzlich bei Kreativen als hip und der Igel bei Laufstegmodels. So viele Gedanken wie in den vergangenen zweieinhalb Monaten hat sich die Nation allerdings wohl nie gemacht über Wert und Wehe des Haupthaars.

Markus Söder begründete die frühzeitige Öffnung der Friseursalons damit, dass „auch ein bisschen Würde“ mit der Frisur verbunden sei, Angela Merkel wurde in Interviews spitzfindig nach ihren Haaren gefragt. Der Soziologe Heinz Bude sprach in einem Interview mit dem „Deutschlandfunk“ von einer „Belohnung“ und einem „wichtigen Signal“. Ein Friseurbesuch zähle zu den „zivilisatorischen Einfachhandlungen“, die die Erfahrung „eines gemeinschaftlichen Lebens und eines kollektiven Gelingens“ ermöglichten.

Fußballer und Moderatoren entfachen Neiddebatte

Von der Frisurenfront hatte es zuletzt vermehrt Signale gegeben, die dem Gemeinschaftssinn eher zuwiderliefen. Weniger, dass das vom Staat coronabedingt befeuerte Credo „Wir sind Friseur“ trotz einer Inflation von Selbstschneidevideos im Internet zu teilweise bedenklichen Ergebnissen geführt hatte. Stein des Anstoßes waren eher die akkuraten Undercuts und Föhnfrisuren von Profifußballern, Moderatorinnen, B-Promis, Politikern. „Der Lockdown in unserer Zunft hat leider zu einer enormen Ausweitung der Schwarzarbeit geführt“, sagt der Obermeister der Kölner Friseurinnung Mike Engels. „Wenn Menschen nichts zu essen und zu trinken haben und sich vom Staat allein gelassen fühlen, kann ich das sogar nachvollziehen. Es kann aber nicht sein, dass der Ehrliche dauerhaft zum Dummen wird.“

In Engels‘ Salon in Weidenpesch ist es am Montagmorgen ruhig. Die Angestellten frisieren sich gegenseitig, für Kunden öffnet der Salon erst am Dienstag. „Das bin ich meinen Leuten als Geste schuldig“, sagt Engels, der zwar feststellt, dass „die Stimmungslage sich enorm verbessert hat, seit wir wissen, dass wir wieder öffnen dürfen“, der aber auch weiter eine Wut in sich trägt. „Nehmen wir die Schwarzarbeit: Ich kenne zwei Profifußballvereine in Nordrhein-Westfalen, die zwischenzeitlich einen als Betreuer getarnten Friseur eingestellt haben. Von einem Moderator, den ich in einer Mail auf seine schicke Frisur angesprochen habe, habe ich die Antwort bekommen: Schlecht frisierte Moderatoren können doch an der Corona-Krise nichts ändern. Es gab aber ein Berufsausübungsverbot, an das sich zum Beispiel auch ein bekannter Fernsehsender nicht gehalten hat. Marco Reus darf auch nicht ohne Führerschein Autofahren, obwohl er denkt, er dürfe das. Einige Menschen haben sich in den vergangenen Monaten mal wieder so verhalten, als gebe es für sie keine Regeln. Das ärgert mich ungemein.“

Das Online-Satiremagazin „Der Postillon“ ulkte unter der Überschrift „Wer darf wann zum Friseur? Bundesregierung stellt Haarschneidereihenfolge vor“, dass zuerst „Models, Influencer, Moderatoren, Schauspieler, Musiker, Politiker“ und der „FC Bayern München“ frisiert würden. „Um die möglichst schnelle Durchfrisierung der Bevölkerung zu gewährleisten, greift die Regierung tief in die Tasche: Bundesgesundheitsminister Jens Spahn schätzt die Kosten bis zum Wiedererreichen einer Herdenfrisiertheit auf bis zu 1,5 Milliarden Euro.“

Weinende Friseure beim Innungschef

Mike Engels lacht gern und ist nicht leicht aus der Fassung bringen. In den vergangenen zweieinhalb Monaten hätten ihm allerdings fast täglich Friseurinnen und Friseure gegenübergesessen, „die geweint haben und nicht mehr weiterwussten“. Es sei eine „bodenlose Unverschämtheit, dass die meisten von uns 95 bis 100 Prozent ihrer Soforthilfen zurückzahlen mussten. Und es ist brutal, zu sehen, wie viele Milliarden in die Lufthansa gepumpt werden, und wie wenig dagegen zum Beispiel die 240.000 Beschäftigten in unserer Branche bekommen“.

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Haare werden nun wieder geschnitten. Vorläufig. Wie viele Salons die Krise nicht überleben werden, sehe man erst in zwei oder drei Jahren, glaubt Mike Engels. Vorläufig schöpfen die 1200 Friseurinnen und Friseure in Köln und die 240.000 Beschäftigten im ganzen Land Hoffnung. Susanne Klapper hat ihre Öffnungszeiten verlängert, um zumindest einen Teil der weggebrochenen Einnahmen auszugleichen, sie arbeitet an sechs Tagen in der Woche und gibt ihr Kind samstags zu den Großeltern. „Die Wertschätzung ist größer geworden in der Krise. Das ist schön und motiviert mich sehr“, sagt sie. Mike Engels glaubt, dass Frisuren „durch die Pandemie eine neue Wertigkeit erfahren. Mund und Kinn werden durch Masken verdeckt, der erste Eindruck, der durch die Augen und die Haare entsteht, wird noch wichtiger“.

Sorge bereiten beiden die Infektionszahlen, die Virusmutanten, die Ungewissheit. Susanne Klapper hat ihre Angestellten schon darauf vorbereitet, „dass wir mit einem dritten Lockdown rechnen müssen“. Mike Engels sagt, das tue er nicht. Er rechnet schon jetzt damit, dass jeder fünfte Kölner Friseursalon die Krise nicht überleben wird. Das Wort Lockdown „will ich gar nicht in den Mund nehmen“.

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