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Maßnahmen gegen das CoronavirusMit gegenseitigem Verurteilen kommen wir nicht weiter!

Lesezeit 3 Minuten
Maskenpflicht

Die Maskenpflicht hat sich als wirkungsvolle Maßnahme zur Eindämmung des Coronavirus erwiesen. Andere Maßnahmen waren dagegen in der Rückschau vielleicht übertrieben. Was nötig ist, ist eine ehrliche Debatte darüber. 

Liebe Leserinnen, Liebe Leser, vor einigen Tagen erreichte mich Post mit einem flammenden Appell an die Redaktion: „Seien Sie mutig, auch sich selber kritisch zu hinterfragen! Gehen Sie respektvoll mit Andersdenkenden um. Verurteilung ist der Nährboden für Spaltung. Das gilt für uns alle, für die Politik und die Medien im Besonderen, da Sie eine große Verantwortung tragen.“

Diesen Anspruch, aber auch den kritischen Vorbehalt, der aus dieser Zuschrift spricht, müssen wir uns zu Herzen nehmen – mehr noch, als wir dies in unserer täglichen Arbeit ohnehin tun. Es ist ja richtig und für jedermann sichtbar, was die Leserin sorgenvoll bemerkt hat: Die Bekämpfung der Corona-Pandemie in Deutschland setzt im Moment mehr Flieh- als Bindekräfte frei. Mit gegenseitigem Verurteilen und Abkanzeln kommen wir bestimmt nicht weiter.

Wir brauchen auch und gerade in hitzigen Diskussionen die Kraft der Unterscheidung. Wer nach mehr als einem halben Jahr Pandemie in Deutschland die getroffenen Entscheidungen hinterfragt oder mit Sorge das Repertoire möglicher Reaktionen auf eine erneute Verschärfung des Infektionsgeschehen betrachtet, der ist bestimmt kein „Covidiot“ und auch kein lästiger Störenfried.

Demokratie lebt von konstruktiver Kritik

Im Gegenteil: Demokratie lebt von solchen Kritikern. Umgekehrt bin ich davon überzeugt, dass die meisten von ihnen genau wissen, was sie an einer Gesellschaft und einem Staat haben, in dem diese Kritik erlaubt und erwünscht ist. Wer hingegen vor dem Reichstagsgebäude die schwarz-weiß-rote Fahne schwenkt, will einen anderen Staat und eine andere Gesellschaft. Das ist das gefährliche Paradox, auf das Kritiker der Anti-Corona-Maßnahmen achten müssen.

Ich sehe die verantwortlichen Politiker in einer Bringschuld: Sie müssen ihre Entscheidungen mit dem „Wissen von heute“, wie Gesundheitsminister Jens Spahn dies unlängst formuliert hat, einer kritischen Reflexion unterziehen. Sie müssen sagen und begründen, was rückblickend richtig war und was unnötig, übertrieben oder sogar falsch war.

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Diese Bringschuld besteht insbesondere denjenigen gegenüber, die unverschuldet bereits Verlierer dieser Krise sind oder es schon sehr bald werden könnten. Wer diese Menschen nicht ernst nimmt, treibt den Keil der Spaltung in die Gesellschaft.

Wissenschaftler, die sich mit ihren Erkenntnissen von Versuchsreihe zu Versuchsreihe vorarbeiten, tun sich mit dem Eingeständnis von Irrtümern leichter: Wenn sie ein Urteil revidieren, stärkt das im Zweifel ihre Kompetenz. Ein Politiker, der Fehlurteile oder falsche Schritte einräumen muss, gefährdet die Kompetenz, die man ihm zumisst.

„Wir haben alle die Wahrheit nicht gepachtet“

Es kommt deshalb auch auf die Parteien und ihre Machtmechaniken, aber auch auf die Öffentlichkeit insgesamt an, wie eine – notwendige und sinnvolle – Aufarbeitung des bisherigen Krisenverlaufs vonstatten gehen kann. Mir hat der Satz gefallen, mit dem der eingangs erwähnte Leserbrief endete: „Geben wir alle zu, dass wir nicht die Wahrheit gepachtet haben! Sprechen wir wieder miteinander!“

Bleiben Sie gesund! Achten Sie auf sich und Ihre Nächsten!

Ihr Carsten Fiedler

Chefredakteur des „Kölner Stadt-Anzeiger“

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