Medikamenten-Engpässe in Köln„Eine Kundin hat uns eine Packung an den Kopf geworfen“

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Helmut Beichler ist Apotheker und stellvertretener Vorsitzender des Apothekerverbands Köln.

Helmut Beichler ist Apotheker und stellvertretener Vorsitzender des Apothekerverbands Köln.

  • In Apotheken bekommen Kunden immer häufiger nicht das vom Arzt verschriebene Arzneimittel – das liegt an Lieferengpässen der Medikamenten.
  • Das belastet nicht nur die Patienten, sondern auch die Ärzte und Apotheker.
  • Wir haben mit Kölner Apothekern über die derzeitige Situation gesprochen: Was tun, wenn das Medikament nicht lieferbar ist? Wie reagieren Kunden? Welche Folgen kann die Umstellung auf einen anderen Wirkstoff haben?

Köln – Wenn selbst Medikamente wie Ibuprofen in bestimmten Dosierungen über Monate auch in Kölner Apotheken nicht zu bekommen sind, werden die Auswirkungen der Lieferengpässe von Arzneimitteln deutlich. „Die Lieferengpässe werden seit zwei Jahren zunehmend zum Problem. Seit dem Sommer ist der Anstieg allerdings dramatisch“, so Helmut Beichler, Betreiber der Adler-Apotheke am Wilhelmsplatz und stellvertretender Vorsitzender des Apothekerverbands Köln.

Der temporäre Mangel ist nicht nur für die Patienten unangenehm. Die Apotheken, aber auch die Ärzte leiden unter dem notwendig gewordenen Mehraufwand. Der Ablauf ist wie folgt: Wenn die verschriebenen Arzneimittel nicht vorhanden sind, nimmt der Apotheker erst einmal Kontakt mit der Großhandlung auf, danach wird der Medikamenten-Hersteller direkt angerufen. Sollte das Mittel nicht lieferbar sein, müssen Alternativen gefunden werden.

„Die Situation wird sich womöglich zuspitzen“

Dabei kann bei der Dosierung mit Teilung oder Doppeleinnahme gearbeitet werden oder ein anderer Wirkstoff gefunden werden. Solche alternativen Lösungen müssen allerdings mit dem behandelnden Arzt abgesprochen werden. Der Arbeitsvorgang koste wesentlich mehr Zeit. So spricht Beichler von einem Anstieg von durchschnittlich fünf Minuten Arbeitszeit pro Rezept auf elf Minuten innerhalb der letzten zwei Jahre.

„Die Situation wird weiter anhalten und sich womöglich sogar zuspitzen“, sagt Beichler. Betroffen von den Lieferengpässen seien zum Beispiel wichtige Ibuprofenstärken. „Die 800- und 600-Milligramm-Packungen sind derzeit nicht mehr zu bekommen.“ Teilweise würden lebensnotwendige Arzneimittel fehlen, so auch Blutdrucksenker, Betablocker, Cholesterinsenker, Impfstoffe und Antibiotika. Engpässe können dabei von zwei Wochen bis zu einem halben Jahr oder länger andauern.

288 Meldungen über Lieferengpässe

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte listet derzeit 288 Meldungen über Lieferengpässe für Humanarzneimittel in Deutschland. Darunter können Arzneimittel des gleichen Wirkstoffs sowie unterschiedlicher Dosierungen und Darreichungsformen allerdings mehrfach gelistet sein.

„In den allermeisten Fällen wird eine Alternative gefunden“, so Apothekerin Dorothee Hassel, „doch das nimmt Zeit in Anspruch.“ Sie warnt allerdings vor Panik: Patienten mit einer Dauermedikation sollten vorausschauend planen und eventuell eine Packung auf Vorrat haben. Die Apothekerin aus Weiß hat beobachtet, dass viele ihrer Kunden bereits gut informiert und vorbereitet sind. Trotzdem erfordere der Umgang mit den Kunden oft Fingerspitzengefühl.

Auch Helmut Beichler kennt die unterschiedlichen Reaktionen der Patienten. „Eine ältere Dame hat einer Kollegin eine Packung an den Kopf geworfen und sie beschuldigt, sie nicht korrekt zu bedienen“, sagt der Apotheker. Es gebe viel Frustrationen und teilweise auch Ängste. Eine Kundin habe fünf Packungen auf einmal verschrieben haben wollen. „Zum Teil sind die Reaktionen irrational. Doch das Vertrauen in eine reguläre Versorgung von Arzneimittel ist erschüttert“, so Beichler.

Gefahr vor Verwechslung und Fehleinnahmen

Gerade bei älteren Menschen führten Umstellungen auch zu Verunsicherung und Verwirrung. „Eine Dame kam letztens mit all ihren Packungen in die Apotheke, weil sie den Überblick verloren hatte. Die Tabletten und Packungen hatten andere Farben oder sahen anders aus als vorher – das führt natürlich zu Verwechslungen und Fehleinnahmen.“

Neben den psychologischen Folgen kann eine Umstellung auf ein anderes Medikament auch medizinische Probleme mit sich bringen, wenn ein Patient auf einen Stoff gut eingestellt ist und das Alternativprodukt nicht so gut vertrage. So weiß der Sülzer Apotheker Sebastian Berges, dass in den letzten Monaten zwei Patienten nach einer Umstellung von Blutdrucksenkern ins Krankenhaus mussten, weil sie diese nicht vertragen haben. Auch sonst könne es unangenehme Nebenwirkungen geben.

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Der Betreiber der Apotheke am Questerhof bestätigt den großen Aufwand, der durch die Lieferengpässe entsteht. „Etwa zehn bis 20 Mal am Tag telefonieren wir mit Ärzten – und das ist wegen deren Sprechzeiten, OPs und Hausbesuchen nicht einfach“, sagt Berges. Zudem seien viele Patienten verunsichert und wollen zusätzlich eine zweite Meinung zu Alternativlösungen einholen. Kompliziert werde es auch oft, wenn die Abgabe von alternativen Medikamenten auf dem Rezept vom Arzt gegengezeichnet werden muss. „Das Desaster baden Ärzte, Apotheker und die Patienten aus.“

Ein zentraler Grund für die Lieferengpässe ist laut Beichler die Monopolisierung bei der Produktion, die dazu führt, dass es nur noch wenige Hersteller für einen Wirkstoff gebe. Ein großer Teil der Produktion finde in Asien statt, „dort kommt es häufiger zu Problemen im Herstellungsprozess.“ Solche Spezialisierungen würden aufgrund der Rabattverträge zwischen Krankenkassen und Herstellern entstehen. „Dadurch werden die Hersteller zum exklusiven Lieferant und die Krankenkassen sparen bis zu 70 Prozent.“

Der Kölner Apothekerverband fordert, dass Krankenkassen solche Verträge mit mindestens drei Firmen abschließen müssen und einer von ihnen in Europa sitzen soll. Dazu komme, dass deutsche Hersteller im EU-Umland mehr Geld für ihre Medikamente bekommen als in Deutschland.

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