Mein VeedelMit dem Finanzminister durch Sülz

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Ein nostalgischer Platz: das Café Krümel im Weyertal. Hier frühstückte Norbert Walter-Borjans schon in den 1980er Jahren.

Ein nostalgischer Platz: das Café Krümel im Weyertal. Hier frühstückte Norbert Walter-Borjans schon in den 1980er Jahren.

  • Unser Reporter Peter Berger hat im Sommer 2012 mit dem damaligen nordrhein-westfälischen Finanzminister Norbert Walter-Borjans einen Spaziergang durch dessen Viertel gemacht.
  • Der SPD-Politiker wohnt seit 1982 in dem Kölner Stadtteil.
  • Walter-Borjans, den sich die Mitglieder seiner Partei als Vorsitzenden gemeinsam mit Saskia Eskens wünschen, gefällt an Sülz vor allem die Mischung ganz unterschiedlicher Menschen.
  • Ein Artikel aus unserer Reihe „Best of“.

Köln-Sülz – Wir sind spät dran. Einen Veedelsspaziergang mit Norbert Walter-Borjans (59) hätte man schon längst machen müssen. Am besten so um das Jahr 1982. So lange wohnt der NRW-Finanzminister schon in Sülz. Und so lange gibt es auch schon das Café Krümel an der Ecke Zülpicher Straße/Weyertal, einen Steinwurf von Walter-Borjans’ erster Sülzer Wohnung entfernt. „Das Krümel habe ich sofort schätzen gelernt. Da konnte man damals bis nachmittags frühstücken und dabei Sartre lesen. Schön, dass sich der Laden gehalten hat.“ Walter-Borjans war damals frisch als Assistent an der Uni, teilte sich die Wohnung mit Georg Kunz, dem Keyboarder einer Band namens Köbes Underground, die damals kein Mensch kannte, bis sie mit der Stunksitzung populär wurde. Später sei noch Ecki Pieper eingezogen.

Weyertal 30. Den Bioladen mit dem schönen Namen „Was die Bäume sagen“ gibt es nicht mehr, in den Räumen ist heute eine Filiale des „Anderen Buchladen“. Der Finanzminister schwelgt noch ein wenig in Erinnerungen. Das sei damals ein durch und durch italienisches Viertel gewesen. „Auch unsere Bude hat uns eine Familie Donadeo vermietet. Wir haben uns noch gewundert, warum auf die Holzdielen Metallplatten geschraubt waren.“ Wegen unliebsamer Untermieter, wie sich wenig später herausstellen sollte. „Wir haben mal bei einer der vielen Partys so ein Wagenrad mit Brötchen auf dem Tisch liegenlassen.“ Die Mäuse hätten sich bedankt. „Das war das einzige Mal in meinem Leben, dass ich ein Säugetier getötet habe. Mit einem gezielten Pantoffelwurf.“

Attraktive Mischung

Jetzt ist aber mal Schluss mit Nostalgie. Wenn ein Mensch mehr als 30 Jahre mit wenigen Unterbrechungen im gleichen Stadtteil wohnt, muss der doch etwas Besonderes haben. Redwitzstraße, Schleidener Straße, Wichterichstraße. Die Wohnungen wechselten, das Veedel nicht. Walter-Borjans hat Sülz nur den Rücken gekehrt, als das zweite Kind zur Welt kam. „Da haben wir in Brück ein Haus gebaut.“ Sülz sei ziemlich eng bebaut. „Das war damals mit Kindern schwierig. Wir mussten immer zum Spielen in den Beethovenpark gehen.“ Seine kleine Eigentumswohnung in der Redwitzstraße hat er immer behalten. „Das sind 40 Quadratmeter. Ich habe immer geglaubt, dass eines unserer vier Kinder sie vielleicht mal während des Studiums braucht. Jetzt wohnt dort meine Nichte.“

Es sei die Mischung, die Sülz so attraktiv mache, findet Walter-Borjans. Die Nähe zur Universität mit den vielen Studenten, längst sei Sülz sehr beliebt bei jungen Familien und alles, „was sich in ihrer Folge hier ansiedelt“, mache das Wohnen nur noch charmanter. Sicherlich sei der Stadtteil inzwischen recht teuer geworden, „aber ich habe nicht den Eindruck, dass hier bald alles nur noch edel sein wird“. Das in Mode gekommene Schlagwort von der Gentrifizierung treffe für Sülz nicht zu. „Das hier ist kein reines Intellektuellenviertel. Hier wohnen ganz normale Leute.“ Die Eckkneipe Sölzer Klaaf in der Wichterichstraße, eine Stammkneipe von Hans Süper, sei da nur ein Beispiel. Vor allem in der Karnevalszeit sehe man immer wieder, wie die alten Sülzer „schon Anfang Januar Arm in Arm im Lappenclownkostüm am Sonntag von irgendeiner Veranstaltung kommen. Das ist hier ganz normal. Ich finde das sehr schön.“

Dass die Nachbarschaften intakt sind, zeigt sich beim Spaziergang vom Auerbachplatz über die Euskirchener und die Palanterstraße. In den Blumenbeeten zwischen den Parkbuchten gedeihen Sonnenblumen und Tomatenpflanzen, die Kinder können bedenkenlos auf der Straße spielen.

Eingriff in den Straßenverkehr

Walter-Borjans muss schmunzeln, weist in der Palanterstraße auf ein Schild, das es Radfahrern erlaubt, gegen die Einbahnstraße zu fahren. „Als ich nach Sülz gezogen bin, das war genau in der Wendezeit von Schmidt zu Kohl. Damals bin ich in die SPD eingetreten, habe mich also den Verlierern angeschlossen.“ Und wie das so ist, wenn sich einer frisch in der Politik engagiert: Walter-Borjans wurde gleich zum Juso-Vorsitzenden des Sülzer Ortsvereins gewählt. „In der Palanterstraße habe ich dafür gekämpft, dass man durch die Einbahnstraße mit dem Rad andersherum fahren kann.“ Die Jusos rührten an einem Samstag „so eine Art Mehlpampe“ an, und „weil ich gut malen konnte, habe ich damit ein Fahrradzeichen auf die Fahrbahn gepinselt. Damals hat mich der spätere CDU-Ratsherr Egbert Bischoff angezeigt. Wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr. Das Verfahren ist eingestellt worden.“ Da könne sich die Piratenpartei mit ihrer Strafanzeige wegen des Ankaufs der Steuer-CDs ja schon mal drauf einstellen. Womit wir wieder im Jahr 2012 angekommen wären.

Walter-Borjans kennt das Veedel tatsächlich wie seine Westentasche und nicht bloß aus der Dienstwagen-Perspektive. Seinen Friseur Ralph Schwalbach auf der Luxemburger Straße schätzt er wegen seiner handwerklichen Fähigkeiten („Das ist ja nicht ganz unwichtig“) und weil „er so eine Art Night Wash“ eingeführt hat. Kultur im Salon heißt das Programm, durch das zuletzt Stunksitzungspräsidentin Biggi Wanninger geführt hat: „Er verbindet die Veranstaltungen, die vor allem atmosphärisch sehr schön sind, immer mit einer Spendenaktion.“

Extrem nette Verkäuferinnen

Weiter geht’s: Der Metzger Stausberg an der Sülzburgstraße, die Filiale der Merzenich-Bäckerei mit den „extrem netten Verkäuferinnen“, der Optiker Potyka gleich nebenan. „Ich finde, das klingt, als hätte man das Wort Optik umgedreht. Hier werde ich immer sehr gut beraten, zum Beispiel mit diesem Gestell hier. Ich wollte mal etwas anderes als eine randlose Brille. Der Perlmutt-Rahmen gefällt mir gut, es ist auffällig, aber nicht so ganz schrill und schräg.“

Voll des Lobes ist Walter-Borjans auch über die Textilreinigung Meisen auf der Luxemburger mit der freundlichen Bedienung Elisabeth Köhn, die dort seit 34 Jahren arbeitet. Immer samstags bringt der Finanzminister „eine Fuhre Hemden hin“ und holt die frischen ab. „Die sind immer total nett zu mir.“ Es habe ein paar Wochen gedauert, bis allen klar war, dass hier der NRW-Finanzminister seine Wäsche machen lässt. „Irgendwann hat man mich mit Dr. Borjans begrüßt. Diesen Titel habe ich auf dem Reinigungszettel bestimmt nicht angegeben.“ Inzwischen habe sich ein samstäglicher kleiner Gag eingeschlichen. Walter-Borjans nimmt das Rückgeld entgegen und die Bedienung scherzt: „Machen Sie das mal. Sie können sicher besser rechnen.“ Schön, dass es noch Vertrauen in Politiker gibt.

Restaurant-Tipps

Von einem Sülzer Urgestein darf man mit Fug und Recht einige Restaurant-Tipps erwarten. Das Sophias auf der Luxemburger Straße räume mit allen Vorurteilen auf, die jemals über die griechische Küche geäußert worden seien. Im Eckstein an der Siebengebirgsallee verabredet sich der Minister gern mit seinem Sohn zu einem Eckstein-Salat, das Heckmanns auf der Sülzburgstraße 106 „gleich gegenüber der alten Metzgerei von Stefan Raabs Eltern“ sei modern, aber nicht überkandidelt und die Filiale der 12 Apostel auf der Berrenrather Straße habe besonders leckere Pizzen. „Da war vorher das Restaurant Barrique drin. Die Bedienungen waren extrem langsam. Für mich ist es ein Wunder, dass die zehn Jahre durchgehalten haben.“

Norbert Walter-Borjans könnte problemlos so weitermachen mit seiner kulinarischen Sülz-Reise. Aber er will schon noch erwähnen, dass er seit dem Sommer wieder regelmäßig joggen geht. Langsam zwar, aber bis zu 15 Kilometer am Stück. Manchmal läuft er die von Sülz nach Brück. Um mal das Viertel zu wechseln.

Dieser Text erschien erstmals am 3. September 2012 auf ksta.de

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