MissbrauchsskandalOpfer widerspricht Darstellung von Kardinal Woelki

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Kardinal Rainer Woelki

  • Im Fall des Pfarrers O. widerspricht der Betroffene Kardinal Woelki.
  • Er habe die Mithilfe zur Aufklärung nicht verweigert.
  • Die Hintergründe.

Köln – Im Fall des Missbrauchsvorwurfs gegen einen Düsseldorfer Priester, den Kardinal Rainer Woelki 2015 nicht nach Rom gemeldet hatte, gerät der Kölner Erzbischof weiter unter Druck. Das Opfer widerspricht Woelkis Darstellung, es habe an der Aufklärung nicht mitwirken wollen. Dies könne er „so nicht bestätigen“, schreibt der Mann in einer E-Mail an den Düsseldorfer „Express“. „Ich habe detailliert über die Tat berichtet und habe gebeten, soweit wie möglich außen vor gelassen zu werden“, heißt es in dem Text, der dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ vorliegt. „Eine generelle Verweigerung der Mithilfe hat aber nicht stattgefunden.“

Nach der Berichterstattung des „Kölner Stadt-Anzeiger“ über den Umgang des Kardinals mit seinem Fall meldete sich der Betroffene auch bei Woelki. Das Erzbistum wollte sich auf Anfrage zu den Inhalten des persönlichen Gesprächs nicht äußern.

Wenn im Erzbistum ein Missbrauchsopfer die an ihm begangenen Verbrechen anzeigt, gibt es genaue Regeln, was dann zu tun ist. Aus der von Kardinal Rainer Woelki erlassenen „Missbrauchsordnung“ ergibt sich, dass Kontakte und Gespräche mit den Betroffenen ausschließlich über die unabhängigen Ansprechpersonen erfolgen müssen.

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Als Woelki 2015 sich die Akte des Düsseldorfer Pfarrers Johannes O. vornahm, eines ihm eng verbundenen Geistlichen, hätte er den darin seit 2011 verzeichneten Missbrauchsvorwurf untersuchen lassen und nach Rom weitergeben müssen. Dazu wäre eine Kontaktaufnahme mit dem Opfer erforderlich gewesen. Doch dazu kam es nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ nicht. Eine Voruntersuchung des Falls unterblieb, ebenso die Weiterleitung nach Rom. Kirchenrechtler werten dies als Verletzung päpstlicher Normen, wofür Woelki schlimmstenfalls die Absetzung droht. Erste Schritte für ein Verfahren gegen den Kardinal wurden vom zuständigen Münsteraner Bischof Felix Genn vorige Woche eingeleitet.

Kirchenrechtlich vorgeschriebene Untersuchung unterblieb

Es geht um den Umgang der Bistumsleitung mit einer schwere Sexualstraftat, die Pfarrer O. in den 1970er Jahren an einem Jungen im Kindergartenalter begangen haben soll. Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ machte den Fall in der vorigen Woche öffentlich und berichtete, dass das Opfer die Tat 2010 beim Erzbistum angezeigt hatte. Nach Prüfung erhielt der Mann 2011 die – damals ungewöhnlich hohe – Summe von 15.000 Euro „in Anerkennung des Leids“. Schon damals unterblieb sowohl die kirchenrechtlich vorgeschriebene Untersuchung durch den früheren Kardinal Joachim Meisner mit Weiterleitung nach Rom als auch die Unterrichtung der Strafverfolgungsbehörden über den – nach staatlichem Recht freilich verjährten – Fall.

Woelki wies den Vorwurf der Vertuschung vorige Woche zunächst mit der Begründung zurück, ihm sei die sogenannte kanonische Voruntersuchung unter anderem deswegen unmöglich gewesen, „da der potenziell Betroffene ausdrücklich nicht an der Aufklärung des Sachverhalts mitwirken wollte“.

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Das sei „Tätersprache“, sagt der im November aus Protest gegen Woelkis Agieren zurückgetretene ehemalige Sprecher des Betroffenenbeirats, Patrick Bauer. Es sei schändlich, den Betroffenen jetzt auch noch die Verantwortung für Vertuschung zuzuschieben. In einer zweiten Erklärung des Erzbistums zu Woelkis Vorgehen im Fall O. 2015 hieß es dann nur noch: „Laut Aktenlage hatte der Anzeigeerstatter dem Erzbistum gegenüber deutlich gemacht, er sehe sich nicht in der Lage, sich weiter zu Sache zu äußern“. Dies habe dazu geführt, „dass die Einleitung einer kanonischen Voruntersuchung und damit auch eine Meldung an die Glaubenskongregation unterblieben ist.“

Nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ soll Woelki selbst 2015 aber nicht einmal den Versuch unternommen haben, auf dem vorgeschriebenen Weg mit dem Opfer Verbindung aufzunehmen. Aus den Unterlagen zum Fall O. sollen sich keine Hinweise ergeben, dass die Ansprechperson oder die Interventionsstelle auf Bitten des Erzbischofs etwas zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts unternommen haben. Mit dem Fall Vertraute versichern, dass Woelki keinen der Genannten involviert habe. Patrick Bauer sprach angesichts dieser Entwicklung von einem erneuten „Schockmoment“. 

Betroffener hatte sich „weiteren Informationsaustausch gewünscht“

Nachdem sich der Betroffene in den vergangenen Tagen bei Woelki gemeldet und der Kardinal mit ihm gesprochen hatte, erklärte das Bistum am Dienstag, nach „aktuellen Erkenntnissen“ sei nunmehr klar: Der Betroffene habe sich „damals einen weiteren Informationsaustausch gewünscht“. Die zuständige Ansprechperson habe dies jedoch „nicht umgesetzt“. Unklar bleibt in der Erklärung, ob sich diese Angaben des Erzbistums auf Woelkis Verantwortung im Jahr 2015 beziehen oder auf die Vorgänge von 2011 in der Amtszeit seines Vorgängers Joachim Meisner und dessen Generalvikar Dominik Schwaderlapp.

Dass diese den Fall des 2017 verstorbenen O. nicht weiterverfolgten, verstieß nach Auffassung von Kirchenrechtlern ebenfalls gegen päpstliche Normen und die bischöflichen Leitlinien zum Umgang mit Missbrauch. Lediglich aus dieser Zeit soll es nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ eine Mitteilung des Betroffenen geben, dass er allenfalls zu einem schriftlichen Kontakt bereit sei.

In seiner Mitteilung vom Dienstag betonte das Erzbistum weiter, der genaue Hergang werde nun „untersucht, rekonstruiert und Verantwortlichkeit geklärt. Da durch die Meldung des Betroffenen eine Chance zu weiterer Aufklärung besteht, haben wir gemäß Artikel 42 Satz 2 der Missbrauchsordnung die Pflicht, diese zu nutzen.“

Kirchenrechtler: „Das Zeitspiel des Kardinals muss ein Ende haben“

Der Kirchenrechtsprofessor Thomas Schüller forderte das Erzbistum am Dienstag auf, die Akte zum Fall O. unverzüglich herauszugeben und die Inhalte offenzulegen. „Das Zeitspiel des Kardinals muss ein Ende haben“, sagte der Theologe der Universität Münster. „Dass für Woelkis Ausflüchte - gegen geltendes Recht und jede Form von Anstand - der Betroffene herhalten soll, ist ein weiterer moralischer Tiefpunkt. Was muss eigentlich noch passieren, bis der Erzbischof die Konsequenzen zieht?“

Als „verheerend für uns alle“ kritisierte der Münchner Kardinal Reinhard Marx Woelkis Entscheidung vom Oktober, ein fertiges Rechtsgutachten zum Missbrauchsskandal unter Verschluss zu nehmen. In der Öffentlichkeit werde nun wahrgenommen, „dass Juristen über Spitzfindigkeiten auf dem Rücken der Betroffenen streiten“, sagte Marx der „Süddeutschen Zeitung“. Für sein Erzbistum kündigte er ein eigenes Gutachten eben jener Kanzlei an, deren Arbeit Woelki gravierende methodische Mängel vorwirft. Verantwortliche für Vertuschung würden benannt, versicherte Marx. Das schließe gegebenenfalls den früheren Erzbischof Joseph Ratzinger (von 2005 bis 2013 Papst Benedikt XVI.) ein.

Marx begrüßte es, dass Vertuschungsvorwürfe gegen Woelki nun untersucht würden. „Klar ist, dass rechtliche Vorgaben einzuhalten sind.“

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