Eingemeindung 1914100 Jahre Köln-Mülheim

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Eine feste Brücke verbindet Köln und Mülheim seit 1929, das Bauwerk war im Eingemeindungsvertrag von 1914 festgeschrieben.

Eine feste Brücke verbindet Köln und Mülheim seit 1929, das Bauwerk war im Eingemeindungsvertrag von 1914 festgeschrieben.

Mülheim – Es dauerte lange, bis die Mülheimer Ja sagten. Schon Ende des 19. Jahrhunderts gab es Bestrebungen, die aufblühende Stadt auf der „Schäl Sick“ einzugemeinden. Den ersten Schritt auf rechtsrheinisches Terrain hatte Köln bereits getan: Deutz und Poll gehörten seit 1888 zur um sich greifenden Stadt. Nun sollte auch Mülheim beitreten, der alte Rivale, dem die Kölner mehrmals die Festungen geschleift hatten.

Vor allem wirtschaftliche Gründe sprachen für die „kommunale Neuordnung“: Köln brauchte Platz für Industriebetriebe – und Steuergelder für Investitionen in die Infrastruktur. Außerdem gab es die Sorge, die Städte Mülheim und Kalk könnten sich zu einem „großstädtischen Trutz-Köln auf dem rechten Rheinufer“ zusammenschließen. Doch die Mülheimer zierten sich, der werbenden Schönheit von der anderen Rheinseite die Hand zu reichen.

Mülheim hatte sich prächtig entwickelt. Dank der Eisenbahnverbindung zwischen Deutz und dem Ruhrgebiet und später zwischen Minden und Berlin waren Wirtschaft und Bevölkerung stark gewachsen. 1845 lag die Einwohnerzahl bei 5000, 1900 bei 45.000. Bis 1932 war Mülheim Verwaltungssitz des Landkreises Mülheim, der bis weit in den heutigen Rheinisch-Bergischen Kreis hinein reichte. Aber schon 1901 war Mülheim aus dem Landkreis ausgeschieden und ein selbstständiger Stadtkreis mit eigenem Oberbürgermeister geworden. Die Mülheimer waren ein selbstbewusstes Völkchen. Dennoch diskutierten sie in den Folgejahren einen Zusammenschluss mit Köln immer hitziger. Denn Handel und Gewerbe beider Städte hatten sich stark miteinander verflochten.

„Wirtschaftliche Vereinigung“

Die Meinungen gingen weit auseinander. 1906 gründete sich die „Wirtschaftliche Vereinigung“, bestehend aus Vertretern der Großindustrie, die den Zusammenschluss befürworteten. Da auch in Mülheim viele Baumaßnahmen anstanden, fürchteten sie ohne den linksrheinischen Verbündeten Zuschläge zur Einkommensteuer. Mülheims Oberbürgermeister Friedrich-Wilhelm Steinkopf allerdings blieb stur. „Mülheim war ein Zentrum im Rechtsrheinischen“, sagt Helmut Goldau von der Mülheimer Geschichtswerkstatt: „Es war Steinkopf klar, dass Mülheim mit der Eingemeindung an Bedeutung verliert.“

Eingemeindung Mülheims

Die Märchensiedlung in Holweide entsteht.

Aus Flächen der Stadtteile Buchheim, Kalk, Merheim und Vingst wird ein neues Veedel: Höhenberg.

Fertigstellung der ersten Mülheimer Brücke

Der Oskarplatz (heute Wiener Platz) entsteht.

Die Siedlungen auf dem Kalker Feld werden zum eigenständigen Stadtteil namens Buchforst.

Mit dem Anschluss Österreichs an Hitler-Deutschland wird der Oskarplatz in Wiener Platz umbenannt. So heißt er noch heute.

Im Zweiten Weltkrieg werden die Mülheimer Brücke und besonders die Altstadt zerstört.

Die Mülheimer Stadthalle wird eröffnet.

Beginn der Entlassungen beim Kabelproduzenten Felten & Guilleaume

Neubrück wird der jüngste Stadtteil im Rechtsrheinischen. Neubauten entstanden auf dem Rollfeld des ehemaligen Fliegerhorstes Ostheim seit Mitte der 1960er Jahre.

Umbau des Wiener Platzes, Neubau des Bezirksrathauses und der U-Bahn

Offizieller Start des Strukturförderprogramms Mülheim 2020

Ende von Mülheim 2020

Als 1908 bekanntwurde, dass Steinkopf bald in den Ruhestand gehen würde, wählte die Mülheimer Stadtverordnetenversammlung eine Eingemeindungskommission. 25 Punkte umfasste ihr Forderungskatalog an Köln, darunter der Neubau des Gymnasiums, eines Amtsgerichts, einer neuer Rheinbrücke, einer Markthalle, Straßenbahnverbindungen nach Bergisch Gladbach und Kalk sowie einer Müllverbrennungsanlage. Die höheren Mülheimer Steuersätze müssten trotzdem auf das Kölner Niveau abgesenkt werden, so die wahrscheinlich bewusst überzogene Forderung. Kölns neuer Oberbürgermeister Max Wallraf lehnte dann auch prompt den Katalog als zu teuer ab, woraufhin in Mülheim Bernhard Clostermann für zwölf Jahre zum neuen Bürgermeister gewählt wurde: „Man ging nun vom Fortbestehen der selbstständigen Stadt Mülheim aus“, so Goldau. Doch der Kölner Regierungspräsident verlangte 1909 erneute Verhandlungen zur Eingemeindung. Die Finanzlage Mülheims hatte sich inzwischen stark verbessert, viele der geforderten Baumaßnahmen hatte Mülheim selbst umgesetzt. Eine Städtehochzeit schien aus Kölner Sicht verlockender denn je. Aber es half alles nichts: Auch die zweite Verhandlungsrunde scheiterte an finanziellen Streitigkeiten.

Inzwischen gingen die Mülheimer selbst auf Brautschau. Schöne Augen machten sie der angrenzenden Bürgermeisterei Merheim mit ihren Siedlungen Flittard, Dünnwald, Stammheim, Brück, Dellbrück, Holweide, Merheim, Höhenberg, Höhenhaus, Ostheim und Rath. Stammheim, Dünnwald und Holweide hätten die Mülheimer gerne ihrem Stadtgebiet zugeschlagen. Köln legte den Merheimern am Ende das bessere Angebot vor, doch die preußische Regierung verweigerte der bereits vereinbarten Eingemeindung Merheims ihre Zustimmung. Denn damit wäre Mülheim vollständig von Kölner Stadtgebiet umgeben gewesen. 1910 waren schon Kalk und die Gemeinde Vingst eingemeindet worden. Mülheim wäre zur Stadt in der Stadt geworden. Auf Vermittlung des Regierungspräsidenten setzten sich die Kölner und die unter Zugzwang geratenen Mülheimer im März 1913 noch einmal an einen Tisch. Diesmal einigten sich beide Seiten. Vor der entscheidenden Stadtverordnetenversammlung hielt Bürgermeister Clostermann eine flammende Rede, in der er das „Große, Natürliche, Zweckmäßige und Verlockende“ einer Vereinigung beschwor: „Nur diese Vereinigung kann die Rivalität auf den verschiedenen wirtschaftlichen und kaufmännischen Gebieten – denken Sie nur an die Häfen – beseitigen und diese Gebiete wirklich nutzbringend für die Allgemeinheit gestalten und herausbilden“, so Clostermann. Seiner Rede folgte die Zustimmung der drei Mülheimer Parteien, Gegenstimmen gab es keine.

Neun Bedingungen an Köln

Neun Bedingungen stellten die Mülheimer ihrem mächtigen Nachbarn. Von einer Müllverbrennungsanlage war nicht mehr die Rede, dafür wurde ein fester Ersatz für die Schiffsbrücke, der Erhalt der Mülheimer Gottestracht, Steuergleichheit und der Bestand von Verwaltungsstellen und Sparkasse vereinbart. Die Stadtverordneten beider Städte beschlossen den Vertrag und im Juni 1914 wurde ein Gesetz erlassen, das die Eingemeindung der Stadt Mülheim und der Bürgermeisterei Merheim rückwirkend für den 1. April 1914 festlegte. Die Kölnische Zeitung gab sich pathetisch: „Die Nachbargemeinden Mülheim und Merheim haben ihre Selbstständigkeit verloren und sind dem mächtigen Körper des alten und doch ewig jungen, ja jeden Tag von neuem sich verjüngenden Kölns angegliedert worden.“ Bis zuletzt versuchte das Mülheimer „Komitee zur Abwehr der Eingemeindung“ vergeblich, den Vereinigungsvertrag zu verhindern. Vor allem der Mittelstand war gegen den Beitritt. Er fürchtete, dass Mülheim seine Zentrumsfunktion verliert.

So kam es dann auch. Für die umliegenden Orte wurden die Distanzen größer: „Verwaltungen und Krankenkassen verlagerten sich nach Köln“, so der Dellbrücker Heimat-Historiker Hans Michels. Für die Mülheimer folgten zusätzliche Enttäuschungen. In einer Zusatzvereinbarung hatte sich Köln unter anderem dazu verpflichtet, „die Garten-, Schmuck- und Brunnenanlagen im heutigen Stadtgebiet in durchaus gutem Zustande zu erhalten und für die Weiterentwicklung der Anlagen und des gesamten Ausbaus der Stadt nach Kräften zu sorgen“.

Für Helmut Goldau haben die Kölner dieses Ziel verfehlt. In Sachen Stadtentwicklung sei Mülheim vernachlässigt worden. „Die Mülheimer wollten ursprünglich den Clevischen Ring zu einer Geschäftsstraße ausbauen“, sagt der 65-Jährige: „Das ist mit der Eingemeindung nicht weitergeführt worden.“ Der Clevische Ring sei stattdessen zu einer Nebenstrecke der Autobahn verkommen, der den Durchgangsverkehr nach und von Köln zu verkraften habe. Die Altstadt wiederum sei durch die erste feste Rheinbrücke in zwei Hälften geteilt worden. Der Wiener Platz am Mülheimer Ende der Brücke wurde nie ein echtes Stadtzentrum: „Nach der Eröffnung der Brücke hatte Mülheim keine Struktur mehr“, sagt Goldau: „Dieses Problem ist bis heute nicht gelöst worden.“

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