KölnStimmung beim Sozialpsychiatrischen Zentrum ist auf dem Tiefpunkt

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Petra Reiche und ihre Freundin besuchen seit Jahren das SPZ. Sie sind in großer Sorge um die Zukunft der Beratungsstelle.

Petra Reiche und ihre Freundin besuchen seit Jahren das SPZ. Sie sind in großer Sorge um die Zukunft der Beratungsstelle.

Köln-Mülheim – Anfang Oktober erhielt die Lokalredaktion einen fünfseitigen Brief. Die Verfasserin Petra Reiche schreibt darin über Unruhe im sozialpsychiatrischen Zentrum (SPZ) in Mülheim. Mitarbeiter, die seit 20 Jahren die Besucher betreuen, würden ersetzt. Die städtischen Mitarbeiter und jene eines Fördervereins sollen künftig nicht mehr zusammen arbeiten. Die Öffnungszeiten seien stark eingeschränkt, die langjährigen Betreuer des Fördervereins dürften die Gruppen nicht länger begleiten.

Betreuer ersetzten Familie

Die Besucher hätten erst vierzehn Tage vor Vollzug von den Veränderungen erfahren. Die Stimmung sei "auf dem Tiefpunkt", auf einer Vollversammlung hätten Besucher geweint. Reiche schreibt von ihren Befürchtungen, deutet ihre eigene Geschichte an – sie habe Missbrauch und Gewalt erlebt, ihr Leben sei über viele Jahre nicht lebenswert gewesen. Sie fühle sich seit der Neuigkeit destabilisiert, habe sich wieder in klinische Behandlung begeben müssen.

Die Betreuer ersetzten ihr die Familie, vor knapp acht Jahren sei sie abgemagert und kaum lebensfähig ins SPZ gekommen. Es sei den Mitarbeitern der Beratungsstelle zu verdanken, dass sie wieder auf die Beine gekommen sei. So gehe es vielen Menschen.

Am Telefon sagt Petra Reiche: „Sie können natürlich auch meinen Namen nennen, mich kennt jeder im SPZ, und jeder kennt meine Meinung.“ In ihrer Wohnung in Flittard hängen selbst gemalte Bilder an den Wänden – es sind kindliche Werke mit beruhigenden Motiven, Tiere, Blumen. Der Teppich ist weich und plüschig, auf dem Sofa sitzen Kuscheltiere, an der Tür hängen Mut machende Sätze, "Trau Dich", "Du schaffst das", so etwas.

Petra Reiche empfängt mit einer Freundin, die ebenfalls regelmäßig ins SPZ kommt, aber nicht genannt werden möchte: Wie die meisten Besucher sind Petra Reiche und ihre Freundin schwer traumatisiert, Opfer von jahrelangem Missbrauch. Reiches Lebensgeschichte ist ein grausamer Film, der Freundin erging es nicht besser.

Das SPZ ist ihr Rückzugsraum, die Mitarbeiter sind Familienersatz. Es gibt die Kontakt- und Beratungsstellen in jedem Kölner Stadtbezirk, sie sind die einzigen niedrigschwelligen Angebote für psychisch kranke Menschen dieser Art. Die Besucher müssen sich nicht anmelden, sie brauchen auch keinen Krankenschein, nicht mal einen Ausweis.

Das städtische Rechnungsprüfungsamt hat vor drei Jahren festgestellt, dass die Vereinbarungen zwischen den Trägern aktualisiert werden müssten, sagt Anne Bunte, Leiterin des Gesundheitsamts.

Petra Reiche und ihre Freundin klagen nicht an, dass es in Mülheim Veränderungen geben soll - sie kritisieren, wie das geschehe: zu schnell, zu kühl, über den Kopf der Menschen hinweg. "Wir brauchen klare Bezugspersonen und Strukturen, ich kann für viele Besucher des SPZ sagen, dass sie Veränderungen nicht so gut verkraften wie gesunde Menschen", sagt Reiche. Sie zeigt ihre Pillenbox für morgens, mittags, abends, sie ist gut gefüllt, "war früher aber viel voller".

Die Gruppenangebote sollen künftig zu großen Teilen von den Besuchern selbst übernommen werden, die Mitarbeiter des Fördervereins sollen sich ausschließlich auf das betreute Wohnen konzentrieren, so ist es von der Stadt gewollt. "Das überfordert uns genauso wie der Wegfall von gleich sechs Bezugspersonen. Es erzeugt einen Druck, dem viele hier nicht standhalten können", sagt Reiche. Die zwei städtischen Mitarbeiter haben sich wegbeworben, was mit den Mitarbeitern des Fördervereins (sie teilen sich zu viert 1,8 Vollzeitstellen) passiert, ist unklar.

Es gehe ihnen vor allem um den Umgang, sagt die Freundin von Reiche. So habe die Chefin des Zentrums in einer Vollversammlung wortwörtlich gesagt: Wenn die Besucher nicht mitziehen, habe sie auch kein Problem, "den Laden dichtzumachen". (Die Koordinatorin bestreitet das.) Eine Betreuerin habe die Leiterin des Raums verwiesen. Ein Fragenkatalog der Besucher sei unbeantwortet geblieben.

Anne Bunte spricht von einer "sehr schwierigen Situation". Sie versucht, die Wogen zu glätten. "Es sind leider viele Gerüchte im Umlauf", sagt sie. Richtig sei, dass zwei Mitarbeiter der Stadt auf eigenen Wunsch die Stelle gewechselt haben, das Zentrum "temporär" nur mit einem städtischen Mitarbeiter (der Leitung) besetzt sei und die Öffnungszeiten deswegen - auch lediglich vorübergehend - "angepasst worden" seien. Bunte leugnet auch nicht, dass das SPZ Mülheim umstrukturiert wird - die integrierte Arbeit von städtischen Mitarbeitern und Mitgliedern des Fördervereins soll ersetzt werden durch getrennte Aufgabenbereiche.

Fakt sei ferner, dass neue Räume gesucht würden für die Mitarbeiter des Fördervereins, die aber nicht - entgegen der Befürchtungen der Klienten - fortan nicht mehr zur Verfügung stünden. Bunte sagt: "Die Gerüchte haben sich leider verselbstständigt. Die Wahrnehmungen entsprechen bei Menschen mit psychischen Erkrankungen leider nicht immer ganz der Realität." Befürchtungen verselbstständigten sich bei Menschen mit starken Ängsten oft schneller, fügt sie an.

Mag der zitierte Satz auch nicht unbedingt falsch sein, so ist er doch schwierig. "Wir fühlen uns - wie so oft im Leben - auch jetzt wieder minderwertig, abgestempelt als psychisch krank", sagt Reiches Freundin. "Die Besucher werden abgefertigt mit ihren Ängsten. Es fehlt ein sensibles Gefühl dafür, welche Welt bei einigen gerade zusammenbricht und dafür, was es heißt, einander auf Augenhöhe und eben nicht von oben herab zu begegnen", sagt die Psychologin einer Besucherin. "Es ist ein Unding, wie mit den Menschen umgegangen wird, es ist sehr traurig", ergänzt ein Betreuer. Die geforderte Selbstverwaltung bei Gruppenangeboten könne die Menschen ebenso überfordern wie die Ungewissheit, wie die Beratung in den kommenden Monaten organisiert wird. Binnen eineinhalb Tagen haben Besucher 37 Unterschriften gesammelt - sie fordern in einem Schreiben, endlich umfassend informiert zu werden.

Anne Bunte sagt, die Stadt habe gerade erst ein Krisengespräch mit dem Förderverein geführt. "Unser maximales Interesse ist es, das niederschwellige Angebot weiter anzubieten - und zwar im Sinne der Klienten. Die sozialpsychiatrischen Zentren sind die einzigen Angebote dieser Art in Köln. Solange wir mit dem Förderverein an einem Strang ziehen, ist das Angebot in Mülheim nicht infrage gestellt." Ob Stadt und Förderverein Streit hätten, beantwortet Bunte diplomatisch: "Die Gespräche sind nie abgebrochen", sagt sie. Fakt ist, dass es intern erhebliche Meinungsverschiedenheiten und gegenseitige Vorwürfe gibt.

Bis die zwei städtischen Stellen wieder besetzt sind, kann es Bunte zufolge zwischen zwei Wochen und mehr als sechs Monaten dauern. Die vier Frauen des Fördervereins, die sich vor allem um das betreute Wohnen kümmern, sollen vorläufig weiter im SPZ arbeiten, so Bunte.

Die sozialpsychiatrischen Zentren

Sozialpsychiatrische Zentren gibt es in den Stadtbezirken Chorweiler, Ehrenfeld, Innenstadt, Kalk, Lindenthal, Mülheim, Nippes, Porz und Rodenkirchen. Es sind niedrigschwellige Angebote für psychisch labile bzw. kranke Menschen und deren Angehörige.

Die Zentren haben verschiedene Aufgabenbereiche: In der Regel gliedern sie sich ein in eine Kontakt- und Beratungsstelle, einen sozialpsychiatrischen Dienst, betreutes Wohnen, Tagesstätte. Die Zentren werden in den Bezirken von unterschiedlichen Trägern verantwortet, in Mülheim ist die Stadt Köln zuständig. Sie wird dabei vom Förderverein des SPZ unterstützt, der Verein stellt auch mehrere Mitarbeiter mit insgesamt 1,8 Stellen. Seit 1994 haben städtische Mitarbeiter und Mitglieder des Vereins integriert gearbeitet. Nun soll die Arbeit aufgeteilt werden. (uk)

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