Sozialbetriebe KölnRuhestand im Multikulti-Pflegeheim

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Glückliche Momente: Bewohner Hikmet Senpinar mit Betreuerin Fatma Dik-Thiel.

Glückliche Momente: Bewohner Hikmet Senpinar mit Betreuerin Fatma Dik-Thiel.

Mülheim – Ohne Karnevalspartys geht es nicht, aber auch nicht ohne islamisches Zuckerfest. Im langen Gang des Wohnbereichs 2 hängt eine Landkarte der Türkei, gleich daneben ein Bild vom Kölner Dom. Ein paar Schritte weiter, hinter der Tür mit der Nummer 216, befinden sich orientalische Ornamente an den Wänden, zwei Teppiche liegen auf dem Boden - es ist der Gebetsraum. Im multikulturellen Pflegeheim an der Tiefentalstraße 68 liegen Morgen- und Abendland nah beieinander.

Gaye Yilmaz: Wenn man die Mutter oder den Vater ins Altenheim gibt, wird es oft als Gesichtsverlust wahrgenommen. Weil man sich verpflichtet fühlt, für die Angehörigen zu sorgen. Aber sowohl in den deutschen als auch in den türkischen Großstädten ändern sich die Ansichten zunehmend. Außerdem gibt es die Großfamilie, die die Betreuung der Älteren auffängt, immer seltener. Der gesellschaftliche Wandel hat auch vor den Türken nicht Halt gemacht. Der Bedarf an kultursensiblen Pflegeplätzen wird nach und nach steigen.

Yilmaz: Ich denke schon, dass es nötig ist. Weil bestimmte Kleinigkeiten einfach wichtig sind für die Bewohner. Gibt es türkisches Essen, türkische Zeitungen, türkisches Fernsehen, einen Gebetsraum? Das sind die ersten Fragen der Angehörigen. Wenn sie hören, dass wir auf diese Bedürfnisse eingehen können, ist das eine große Beruhigung für sie.

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Yilmaz: Viele unserer deutschen Bewohner kommen aus dem Mülheimer Umfeld. Mülheim ist ein multikultureller Stadtteil, sie kennen es nicht anders. Da gibt es keine Berührungsängste.

Das Gespräch führte Tobias Christ

Gaye Yilmaz (25) ist Sozialarbeiterin im SBK-Seniorenzentrum. Sie berät die Angehörigen, übernimmt Verwaltungsaufgaben und fungiert auch als Dolmetscherin im Haus.

Seit fünf Jahren ist das städtische Senioren- und Behindertenzentrum Mülheim darauf spezialisiert, auch Menschen mit türkischen Wurzeln einen Lebensabend zu bereiten, der ihrer Kultur entspricht. Auf die Bedürfnisse der Türkischstämmigen wird in der Einrichtung der Sozial-Betriebe Köln (SBK) ebenso eingegangen wie auf die Wünsche der deutschen Bewohner. "Kultursensible Pflege" nennt sich das Konzept im Fachjargon. Zwar stellen sich immer mehr Kölner Pflegeheime auf Migranten ein, den städtischen Stellen ist aber keines bekannt, das derart konsequent handelt wie das Mülheimer.

Für den Umgang mit Migranten geschult

Heimleiter Eberhard Wagner glaubt, dass solche Angebote wichtiger werden: "Die erste Gastarbeitergeneration ist jetzt um die 70, dann steht die Frage an, wie sie pflegerisch versorgt wird." Vor zehn Jahren noch seien die meisten Türken davon ausgegangen, im Alter zurück in die Türkei zu gehen, "dass es kein Altern hier gibt". Die Realität sehe aber anders aus - die meisten bleiben doch in Deutschland. Laut SBK-Geschäftsführer Otto Ludorff werden türkische Migranten tendenziell früher pflegebedürftig als Einheimische: "Denn sie kommen früher in den Arbeitsprozess und müssen härter arbeiten."

62 Senioren leben derzeit auf den beiden Pflegestationen des Hauses an der Tiefentalstraße, 21 davon sind türkischstämmig. Im Durchschnitt sind sie 65 Jahre alt. Sie können türkische Zeitungen lesen, türkisches Fernsehen empfangen und mittags türkisches Essen ordern. Auch viele Pflege- und Betreuungskräfte sind türkischsprachig. Das gesamte Personal ist für den Umgang mit den Migranten geschult.

Angehörigen die Angst nehmen

Obwohl gerade in Mülheim viele Türken leben, hält sich die Nachfrage nach den Pflegeplätzen noch in Grenzen. Eine Warteliste gibt es nicht. "Innerhalb der türkischen Community herrscht der Gedanke vor, dass Angehörige nicht abgegeben werden", sagte CDU-Landtagsabgeordnete Serap Güler jetzt bei einem Rundgang durch das Seniorenzentrum. Viele befürchteten auch, dass im Pflegeheim sprachliche und religiöse Aspekte nicht berücksichtigt werden: "Da gibt es eine gewisse Hemmschwelle", so Güler. Sozialarbeiterin Gaye Yilmaz bestätigt dies: "Die größte Herausforderung ist, den Angehörigen diese Angst zu nehmen."

Das Miteinander im Multikulti-Pflegeheim funktioniert. Türkische und deutsche Feste werden gemeinsam gefeiert und das türkische Essen kommt auch bei vielen Deutschen gut an. Im Gemeinschaftsraum steht die Kaffeemaschine neben dem Samowar für türkischen Tee. Daneben sitzt Hikmet Senpinar, der einst aus Istanbul nach Deutschland kam und 40 Jahre lang bei Ford arbeitete. Nur holprig spricht der 67-Jährige Deutsch, aber die Trauer um seine verstorbene Frau ist unmissverständlich. Manchmal kommen ihm die Tränen. Doch es gibt auch glückliche Momente. Zum Beispiel, wenn Fatma Dik-Thiel vorbeischaut. Die Honorarkraft kümmert sich um die Freizeitgestaltung im Haus. Als sie sich zu Senpinar setzt, stimmen beide ein türkisches Volkslied an. Und plötzlich strahlt Senpinar über das ganze Gesicht.

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