Nach Sturz in Köln„Jeder dieser Unfälle ist eine Tragödie und geht uns sehr nah“

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pferdeunfall

An Pfingsten stürzte in Köln  ein Pferd und musste eingeschläfert werden. Viele Zuschauer waren geschockt

  • Natürliche Bewegung oder nicht artgerechter Zwang: Am Rennsport scheiden sich die Geister, nicht erst seit in Köln ein Tier nach einem Sturz verstarb.
  • Am Wochenende startet in Hamburg das höchstdotierte Rennen des Jahres im deutschen Galopprennsport. Auch dort dürfen Reiter ihr Tier pro Rennen fünf mal peitschen.
  • Ist Galopprennsport Tierquälerei? Wie geht es den Tieren – auch nach ihrer Karriere?

Köln – Wer am Pfingstmontag auf der Galopp-Rennbahn in Weidenpesch war, dürfte die Bilder noch vor Augen haben. Der fünfjährige Hengst Astone Man geht im dritten Rennen in Führung liegend auf die Gerade. Das Geläuf ist in Ordnung, das Tempo hoch. Plötzlich knickt das Pferd mit der Vorhand ein, stürzt und schlittert über die Bahn. Jockey Robin Weber übersteht den Unfall ohne ernsthafte Blessuren. Astone Man hat weniger Glück.

Hinter herbei getragenen Sichtschutzwänden schaut sich der Tierarzt das schwer verletzte Tier an, das sich noch einmal aufrappelt. Und dann endgültig zusammenbricht. Später wird es eingeschläfert. Zu schwer sind die Brüche seiner Beine.

Das Publikum auf der Rennbahn – es sind gut 12 000 Zuschauer in Weidenpesch – wird in keiner Durchsage über das Schicksal des Pferdes informiert. In einer Stellungnahme des Verbandes German Racing heißt es später: „Die Pferde sind unsere Partner und ihr Schutz und Wohlergehen haben für alle im Rennsport Aktiven oberste Priorität. Leider lassen sich Unfälle nicht gänzlich vermeiden. Jeder dieser Unfälle ist eine Tragödie und geht uns sehr nah.“

Gefilmt von Tierschützern

Gefilmt wurde der Sturz von Tierschützern von „Animals United“, die an diesem Tag vor der Rennbahn einen Informationsstand aufgebaut hatten. Eigentlich wollten sie den Einsatz der Peitsche im Endspurt des Rennens festhalten, deshalb standen sie an der Geraden. Ihre Bilder des tragischen Unfalls fanden große Verbreitung – und warfen wieder einmal die Frage auf, wie pferdefreundlich der Rennsport ist oder überhaupt sein kann.

Anhänger des Turfs argumentieren, Galopp sei die natürlichste Bewegungsform des Pferdes und entspreche somit seiner Natur, Tierschützer sehen hingegen ein grausames Spektakel, da die Galopper zu unnatürlichen Höchstleistungen gezwungen und verheizt würden. Eine viel diskutierte Dokumentation des NDR aus dem Jahr 2017 mit dem Titel „Das kurze Leben der Rennpferde“ zielt in die gleiche Richtung. Es wird unter anderem gezeigt, wie Pferde mit Gewalt in Startboxen geschoben werden müssen, dass ihnen Rennen Angst bereiten.

Tierschutz-Organisationen auch beim Saisonhöhepunkt

Auch beim deutschen Saisonhöhepunkt, dem Derby der dreijährigen Galopper in Hamburg am kommenden Sonntag, werden Tierschutz-Organisationen aktiv sein. Ein großer Kritikpunkt ist das junge Alter von nur einem Jahr, in dem die Vollblüter zum Training in die Rennställe kommen.

Mit zwei Jahren laufen viele von ihnen bereits Rennen, mit vier bis sechs Jahren ist die Sportkarriere meist vorbei. Zum Vergleich: Ein Dressurpferd bestreitet in der Regel erst mit sechs Jahren erste Prüfungen. Galoppfreunde verweisen regelmäßig darauf, dass Vollblüter früher reif seien als Warmblüter, da sie seit langer Zeit für diese Sportart gezüchtet würden.

Galopptrainer Peter Schiergen vom Kölner Stall Asterblüte argumentiert: „Es ist Aufgabe des Trainers, zu sehen, wie weit die Pferde sind und wie man sie belasten kann.“ Nicht jedes Pferd entwickle sich gleich schnell: „Bei mir wird kein Pferd kaputt geritten.“ Trainerkollege Markus Klug vom Gestüt Röttgen meint: „Theoretisch könnten wir natürlich später mit den Rennen anfangen, mit drei Jahren. Dann müssten wir aber unser ganzes System ändern“, die klassischen Rennen müssten von Vierjährigen geritten werden statt von Dreijährigen.

Frühreife der Vollblüter „ein Märchen“

Dass dies nicht geschehe, habe mit Geld zu tun, meint Fachtierarzt Maximilian Pick, der 25 Jahre Rennbahn-Veterinär war und heute einer der bekanntesten Kritiker des Sports ist: „Der Unterhalt eines Pferdes ist teuer, je früher es laufen und verdienen kann, desto besser.“ Die mutmaßliche Frühreife der Vollblüter hält er für „ein Märchen“.

„Erst, wenn sich die Epiphysenfugen geschlossen haben, ist bei einem Pferd das Wachstum der Knochen beendet.“ Und das passiert in der Regel mit circa fünf Jahren. Als typische Blessuren der Rennpferde nennt Pick „Schäden an den Beinen. Oft sind die Sehnen, die Gelenke oder Hufe betroffen.“ Ein Sturz, wie der in Weidenpesch, geschehe meist durch einen Beinbruch, verursacht durch die Belastung im Rennen.

Offizielle Statistiken zu tödlichen Unfällen gibt es nicht. Auf Anfrage teilte der Verband mit: „2018 starteten auf deutschen Rennbahnen 10 300 Pferde, von denen sieben in Folge von Unfällen starben.“ Zahlen darüber, wie viele Tiere im Training verunglücken, liegen genauso wenig vor wie Daten dazu, wie viele Pferde aufgrund von Verletzungen aus dem Sport ausscheiden oder hinter geschlossenen Stalltüren eingeschläfert werden.

Der nächste Kritikpunkt aus Tierschutzsicht betrifft die Haltung der Pferde. Bei Klug, der in Rath-Heumar viel Platz hat, dürfen alle Pferde regelmäßig hinaus auf die Koppel, doch das ist eine Ausnahme. In der Regel stehen die Tiere in der Box und kommen täglich für nur etwa eine Stunde zum Training auf die Bahn oder laufen an der Führmaschine im Kreis. Das sei keine artgerechte Haltung, sagt Pick, sondern „eine Katastrophe für ein ehemaliges Steppen- und Weidetier.“

Peitscheneinsatz bis zu fünfmal erlaubt

Den Peitscheneinsatz würde der Tierarzt ganz verbieten. Der Jockey darf sie pro Rennen derzeit fünfmal benutzen. Bei einer Überschreitung wird der Reiter aber nicht disqualifiziert, sondern mit einer Geldstrafe oder Sperre belegt, das Rennergebnis gilt. Darüber, ob diese Regelung sinnvoll ist, wird im Galoppsport seit dem Derby 2016 gestritten, bei dem Jockey Dario Vargiu den Hengst Isfahan mit neun Hieben zum Sieg trieb, was ihn 16 625 Euro Buße kostete, während die Siegprämie für das Team 390 000 Euro betrug.

Pick weist auf die Zwänge des Systems hin: „Natürlich gibt es viele Menschen, die ihre Pferde lieben und nur ihr Bestes wollen. Trainer und Jockeys sind aber Profis, die von dem Sport leben, je mehr Geld die Rennpferde gewinnen, umso besser ist es am Ende für Trainer, Reiter und Besitzer.“

Als Freizeitpferd verkauft

Und was steht nach dem Rennsport an? Während die Galopper-Stars in die Zucht gehen, also als Deckhengste oder Zuchtstuten weiterleben, wird die große Mehrzahl der Vollblüter, die jährlich von den Bahnen kommen, als Freizeitpferd verkauft, oft zu günstigen Preisen. Ihnen einen Übergang in ein neues Leben zu ermöglichen, kann sehr aufwendig sein – und erfordert Sachverstand und Einfühlungsvermögen. „Pferderennen können nicht nur körperliche, sondern auch seelische Schäden verursachen“, sagt Pick. „Deshalb sind diese Pferde besonders schwer umzuschulen. Sie sind oft nervös, ängstlich und schreckhaft.“

Es dauere lange, bis sie Vertrauen zu einem Menschen aufbauten. Oft fielen zudem hohe Tierarztkosten an. Die Konsequenz: „Leider landen Rennpferde nicht selten beim Metzger.“ Von ihm gibt es etwa 300 bis 500 Euro. Aber auch dazu existieren keine Statistiken, niemand kann genau beziffern, wie viele Rennpferde im Schlachthof enden. Denn sobald ein Pferd den Sport verlässt, verlaufen sich seine Spuren. Tierschützer fordern deshalb, dass das Leben eines jeden Rennpferdes vom Verband aufgezeichnet werden müsse. Von der Geburt bis zum Tod.

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