Nachruf auf Jürgen LinnEr war der 100-prozentige Platzwart des ASV Köln

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Jürgen Linn unterschied nie zwischen Arbeit und Freizeit. 

  • Er liebte seine Sportler und lebte für seinen Beruf: Doch Jürgen Linn ist nicht nur Platzwart des ASV Köln. Er ist Herz und Seele des Vereins.
  • Für unsere Serie „Nachrufe“ erinnern sich alte Weggefährten und Sportler wie Stephan Baeck und Manfred Germar an den legendären Hausmeister, der 1983 durch seine zupackende Art sogar einen Weltrekord rettete.
  • Der sportliche Niedergang des ASV traf keinen so hart wie ihn.

Ein Platzwart, wie er im Buche steht: penibel, streng und humorlos, wenn seinem Sportplatz Unheil droht – knurrig, herzlich, tolerant und witzig, wenn Ruhe ist im Revier. Für seine Sportler: immer da. Für Leute, die auf der Anlage nichts zu suchen haben: eine Gefahr.

Jürgen Linns Lieblingsgerät ist der Laubbläser, gefolgt von der Kreidemaschine, sein Lieblingshund sein Schäferhund, sein Lieblingsgetränk Kölsch. Zu feiern gibt es immer was. „Die Karnevalsfeiern im Keller des ASV-Sportheims waren legendär“, erinnert sich Klaus Zander, Basketball-Nationalspieler des BSC Saturn Köln, „da kamen die Sportler aus dem ganzen Rheinland, und zu verdanken hatten wir die perfekt organisierten Partys dem Jürgen und seiner Frau Edith.“ „Da lief im Keller die Brühe von den Decken“, erinnert sich die Mittelstreckenläuferin Brigitte Kraus, 63 Mal Deutsche Meisterin, 1983 Vizeweltmeisterin. „Wir haben gefeiert bis morgens früh. Das gehörte immer dazu.“

Kranz Kölsch und Frikadellen nach dem Training

Es braucht nicht den Fastelovend, um zu feiern. Wenn die Bundesliga-Basketballer, die zwei- oder dreimal pro Woche in seiner Halle bei seinem ASV trainieren, ihr Pensum absolviert haben, bringt Linn ihnen einen Kranz Kölsch und selbst gemachte Frikadellen. „Ich war überrascht, als ich als junger Spieler beim ASV trainierte und Klaus Zander nach dem Training zu Jürgen Linn sagte: Ja, der Stephan bekommt auch ein Kölsch“, erinnert sich Stephan Baeck, der ab 1985 fünf Jahre für den BSC Saturn Köln spielt. „Da wusste ich noch nicht, dass das dazugehört, hier regelmäßig nach dem Training Kölsch zu trinken.“ „Kann ich bestätigen, warum auch nicht mal ein Kölsch nach dem Training?“, erinnert sich Brigitte Kraus.

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Die Karnevalspartys beim ASV waren legendär. 

„Es kam auch vor“, sagt Zander, „dass wir bester Laune im Vereinsrestaurant saßen und um 23 oder 24 Uhr auf die Idee kamen, dass es doch schön wäre, noch ein bisschen Fußball zu spielen. Dann hat der Jürgen die Halle aufgeschlossen, und wir haben gekickt.“ Genauso sei es gewesen, wenn sie sonntags auf den Gedanken kam, noch ein paar Tempoläufe zu machen, sagt Kraus: „Dann habe ich den Jürgen angerufen, und er hat mir die Anlage aufgeschlossen. Wenn ich von einem Dauerlauf im Stadtwald zurückkam und unterzuckert war, habe ich bei den Linns geklingelt und habe ein Stück Brot oder etwas anderes zu essen bekommen.“

Nachrufe

In unserer Serie Nachrufe erinnern wir an Kölner, die in jüngerer Vergangenheit verstorben sind. Wenn Sie vom Tod eines interessanten Kölners erfahren, über den wir einen Nachruf schreiben können, melden Sie sich bitte bei uns unter 02 21/2 24-23 23 oder ksta-koeln@dumont.de.

Bei den Geschichten geht es nicht darum, ob ein Mensch prominent war oder unbekannt, erfolgreich oder verarmt. Es sollen Lebensläufe mit ihren Höhen und Tiefen beschrieben werden. Getreu dem Gedanken: Jeder Mensch hat etwas zu erzählen. Jedes Menschenleben ist einzigartig.

Seine Sportler liebt Jürgen Linn innig, vor allem die Basketballer. Bei fast jedem Auswärtsspiel ist er dabei, die Tribünen, die er vor den Heimspielen aufbaut, bersten fast – „die 1500 bis 2000 Menschen, die da waren, würde heute niemand mehr erlauben“, sagt Zander. „Und wenn wir zurücklagen und der Schiedsrichter ein paar Fouls gegen uns pfiff, drohte Jürgen schon mal damit, die Lichter auszumachen, da konnte er fuchsig werden.“

Die Hallenzeiten sind knapp, für die Basketballer verteidigt Linn sie mit allem, was er hat – ohne das immer mit dem Vorstand abzusprechen. Eine Gruppe gut verdienender älterer Fußballer, die ständig was zu meckern haben, ist ihm dagegen ein Dorn im Auge. „Die mäkelten, auch wenn es nichts zu mäkeln gab“, sagt Manfred Germar, Sprinter-Legende und 29 Jahre lang Präsident des ASV Köln.

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Jürgen Linn, geboren am 6. 8.1936 in Köln, gestorben am 3. 4. 2019 in Köln

Von 1976 bis 1993 ist Jürgen Linn, gelernter Elektroinstallateur, Hausmeister beim ASV. In dieser Zeit wohnt er mit seiner Frau Edith und seinem Sohn Maik in einer Wohnung auf dem Sportplatzgelände, sein Wohnzimmer ist allerdings vor allem der Sportplatz und die Turnhalle. „Er kannte eigentlich keine Freizeit, ein Typ, der nie Stunden aufgeschrieben hat, und nur im Winter Urlaub gemacht hat, wenn weniger zu tun war, die Basketballer Pause hatten und kein Sportfest anstand“, sagt Germar. „Und wenn Leute, die auf dem Platz nichts zu suchen hatten, dort trainierten, warf er sie runter, da konnte er auch mal unangenehm werden“, erinnert sich Brigitte Kraus. „Als er weg war, lief irgendwann jeder auf der Anlage rum – Jürgen hat genau darauf geachtet, dass der Platz nur für ASV-Mitglieder da ist.“

Legendär ist die Geschichte, wie Jürgen Linn beim ASV-Sportfest 1983 einen Weltrekord rettete. Pierre Quinon konnte nur deswegen 5,82 Meter hoch springen, weil Linn einige Stunden vor dem Wettkampf festgestellt hatte, dass die Anlage nur Höhen bis zu 5,75 Meter ermöglicht. Kurzerhand war er in seinen perfekt sortierten Gerätekeller geeilt, hatte zwei passende Rohre gefunden und sie angeschweißt.

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Beim ASV-Sportfest 1983 ermöglichte Linn einen Weltrekord. 

Irgendwann genehmigte man dem Mann, „der sicher auch ein goldener Schlüssel für unsere Erfolge war“, wie Klaus Zander sagt, eine Gehaltserhöhung. Jürgen Linn hatte sich das redlich verdient und war zufrieden: Der ASV war sein Lebenswerk. „Umso schlimmer war es für ihn und auch für uns, dass wir seinen Vertrag 1993 auflösen mussten“, erinnert sich Manfred Germar.

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Schon lange hatte der Verein da finanziell zu kämpfen. Der Internationale Leichtathletik-Verband hatte die „Golden League“ gegründet – das ASV-Sportfest blieb außen vor und musste auf üppige Zuschüsse und TV-Gelder verzichten. Einem Weltstar wie Carl Lewis 50 000 Mark Antrittsprämie zu zahlen, war nicht mehr so leicht möglich. „Irgendwann fuhren wir Verluste ein“, sagt Germar.

Wirtschaftsprüfer rechneten Ein- und Ausgaben nach und sagten, dass der Hausmeister viel zu teuer für den Verein sei. „Ihm zu sagen, dass wir ihn nicht halten können, war für mich ganz furchtbar“, sagt Germar. „Ich wusste, dass Jürgen das nur schwer verkraftet.“

Notgedrungen zog Jürgen Linn weiter, er schloss sich dem Nachbarverein Rot-Weiß Köln an. Als er auch dort als Platzwart aufhörte, ging es gesundheitlich bergab. „Kurze Zeit später wurde bei ihm Parkinson diagnostiziert“, sagt sein Sohn Maik, der auf dem ASV-Gelände aufwuchs und ahnte, wie wichtig seinem Vater sein Beruf war. „Ich glaube, er wurde auch deswegen krank, weil er nichts mehr tun konnte.“ Sein Revier, die Anlage des ASV, hat Jürgen Linn nach der Kündigung nie mehr betreten. Die Freunde aus dem Verein, der sein Leben war, blieben bis zuletzt.

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