Nachruf auf Kölner Corona-Opfer„Ruth war eine Anführerin und Draufgängerin“

Lesezeit 4 Minuten
Ruth Webs

Ruth Webs

Köln – Der klassischen Vorstellung von Hausfrau und Mutter entsprach sie nicht. Dafür arbeitete Ruth Webs zu gern. Ihre Tage verbrachte sie am liebsten im Büro. Nach der Schulzeit ging sie bei den Stollwerck-Brüdern in die Lehre und freute sich über die Rundumversorgung mit Schokolade, später arbeitete sie bei einem Steuerberater und kümmerte sich noch mit weit über 70 um Zahlen und Rechnungen. Nirgendwo fühlte sich Ruth Webs wohler als beim Ordnen von Einnahmen und Ausgaben.

Selbstbewusst und energisch

Der Vater war Schiffskapitän in Rotterdam. 1944 musste die Familie nach Deutschland übersiedeln, da sie Deutsche und damit Feinde waren. Kurz nach dem Krieg kamen sie ins zerstörte Köln. Über die Kriegszeit habe die Mutter fast nie gesprochen, sagt Claudia Dahm, die jüngere von zwei Töchtern. „Als junge Frau hatte sie den Schalk im Nacken, sie fuhr gern Motorroller, ging aus und genoss das Leben.“ Auf einem Schwarz-weiß-Foto ist eine hübsche, kokett lachende junge Frau zu sehen.

Ruth webs heute

Ruth Webs starb im Januar 2021 an Corona.

„Als älteste von vier Geschwistern war Ruth Anführerin und Draufgängerin“, sagt Ruth Webs jüngere Schwester Margo Welter. Was sie wollte, habe sie auch bekommen. „Sie konnte sehr gut reden und war charismatisch. Bei ihrer Abschlussprüfung der kaufmännischen Lehre sollte sie die Börse erklären, hatte aber wenig Ahnung. Da hat sie etwas über eine Schifferbörse erzählt, von der sie etwas wusste – und die Prüfer waren begeistert.“ Wäre Ruth Webs heute jung, „hätte sie wohl Abitur gemacht, studiert und wäre eine Führungskraft geworden“, glaubt die Schwester.

Arbeiten gab ihr Halt

Mit der Hochzeit und der Geburt ihrer Töchter nahm Ruth Webs Lebenslauf eine Richtung, die in der Zeit als angemessen galt. Weil ihr Mann in der Oberfinanzdirektion arbeitete, blieb sie zu Hause, erzog die Kinder, machte Wäsche und kochte. „Sie hat das ganz pragmatisch getan und uns eher streng erzogen. Wir mussten früh mit anpacken“, sagt Tochter Claudia Dahm. „Die klassische Übermutter war sie nicht, genauso wenig wie sie später die Bilderbuchoma war, die man sich so vorstellt.“ Trotzdem sind die zwei Töchter, später die Enkel und Urenkel, besonders wichtig für sie. Die Enkelin Doro zog sie sogar jahrelang auf.

In den späten 1950er und frühen 1960er Jahren, einer Zeit, in der das für Frauen nur bedingt vorgesehen war, wollte Ruth Webs selbstbestimmt sein – brach aber nicht aus den vorgesehenen Bahnen aus. „Sie hat gelernt, was zu tun war, und es dann getan“, sagt die Tochter. Zufrieden gestellt hat sie das nicht immer. Zwar mochte sie es, dass genug Geld da war: Früh hatte sie ein eigenes Auto, die Familie konnte sich Reisen erlauben, Restaurantbesuche und Reitunterricht für die Töchter.

Das könnte Sie auch interessieren:

Das Leben blieb ihr indes manchmal zu eng. Sobald die Töchter Petra und Claudia alt genug waren, arbeitete die Mutter wieder mehr. „Das hat sie sehr glücklich gemacht, es war wie eine Befreiung“, sagt die Schwester. Als die Ehe 1985 geschieden wurde, zog Ruth Webs mit ihrem neuen Lebensgefährten zusammen. Auch für seine Kfz-Werkstatt erledigte sie die Buchhaltung. Nachdem der zweite Partner während eines Mallorca-Urlaubs gestorben war, arbeitete sie weiter in einem Steuerbüro.

Großzügig und anerkennungsbedürfitg

Großzügig sei sie gewesen, fallen der Tochter wie der Schwester ein. „Und zwar auch dann, wenn eine Beziehung nicht ungetrübt war“, erinnert sich Margo Welter. „Ruth konnte nicht gut Frieden schaffen, aber sie war froh, wenn Frieden da war.“ „Sie konnte gut geben, brauchte aber auch Anerkennung für das, was sie tat“, sagt Claudia Dahm.

Mitte Dezember 2020 kam Ruth Webs wegen eines Routineeingriffs ins Krankenhaus. „Mit Corona infiziert hat sie sich wohl beim Besuch einer Bettnachbarin. Sie wollte nicht sterben und hätte ohne das Virus sicher noch einige gute Jahre gehabt“, sagt die Tochter. Kurz nachdem sie positiv getestet wurde, habe sie am Telefon noch ungläubig gesagt: „Mensch, jetzt habe ich auch Corona.“ Ruth Webs starb am 10. Januar 2021 im Krankenhaus in Bergisch Gladbach.

KStA abonnieren