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Nachruf auf Taxifahrer und FotografJosef Šnobls Köln ist eine schmuddelige Schönheit

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Foto aus Josef Šnobl  Bildband „Nachtfahrt“

Köln – Was Josef Šnobl nicht in Kunst verwandeln konnte, war für ihn nutzlos. Die 25 Jahre als Nachttaxifahrer auf den Straßen Kölns. Begegnungen mit Menschen. Am Ende auch seine Krankheit. Selbst im Krankenhausbett habe er, zwischen Verzweiflung und Zuversicht, noch Reflexionen in seinem Tagebuch notiert, erzählt seine Lebensgefährtin Allmuth Lenz.

Das Buch über seinen letzten Lebensabschnitt sollte ein rotes Cover besitzen und „Dämmerung“ heißen. „Noch in der Phase seiner Krankheit hat er viel fotografiert“. Sich selbst auch: Mit seiner halbseitigen Gesichtslähmung habe das zwar kein schönes Bild abgegeben, aber er brauchte das. „Er hat die Wirklichkeit durch Fotos verarbeitet. Er war ein Lebenskünstler, der aus jedem noch so harten Schicksalsschlag etwas Positives herauszuziehen vermochte, bis zuletzt“.

Über seine Krankheit sprach er nicht gern. Er wollte lieber mit seinen Freunden philosophieren oder Klassiker der Weltliteratur lesen. Das Buch über seine Krankheit hat der Fotograf Josef Šnobl zwar nicht mehr geschafft. Doch der Nachwelt und vor allem den an Köln interessierten Menschen hat er den bemerkenswerten Bildband „Nachtfahrt“ hinterlassen.

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Bis 2013 war Josef Šnobl als Taxifahrer auf Kölns Straßen unterwegs

Taxifahren in Köln: Šnobl, 1954 in Prag geboren, hat in den Achtzigern Fotografie in Köln studiert. Zum Leben hat die Kunst nicht gereicht, also begann er mit den Nachtschichten. Taxifahrer, schreibt er im Bildband, hätten auf ihn schon immer eine Faszination ausgeübt – genauso wie Künstler. „Immer ein großes Maul, nie eine reine Sprache sprechend, klugscheißerisch, allwissend, selbstbewusst und einsam.“ Einsam, weil ein Großteil der Beschäftigung aus Warten besteht. Warten auf den nächsten Gast, durchschnittlich eine halbe Stunde lang. In einer Stadt, in der er sich zu Begin noch nicht gut auskannte.

„Meine erste Fahrt findet an einem Sonntag tagsüber statt. (…) Am Anfang des Tages ist es die pure Tragödie. Ich bekomme 68 Fahrten durch den Funk, die ich nicht anzunehmen weiß, die Stadt kenne ich nur aus der Karte, die Kollegen beschimpfen mich, und die Fahrgäste sind auch nur unfreundlich.“ Zwei, drei Monate dachte er, dann würde er sich etwas „Besseres“ suchen. Am Ende sind es über zwei Jahrzehnte.

Das nächtliche Köln hat durch Šnobls Linse betrachtet etwas Schemenhaftes, Flimmerndes, fast Verruchtes. Regengetrübte Windschutzscheibe, der nebelumhüllte Dom: Mit einem Knips ohne Blitz – geschossen mit einer Olympus XA Kleinbild-Kamera - hat Šnobl das tanzende Licht der Stadt im Dunkeln dokumentiert. Sein Soundtrack der Wahl: der Blues. „Ich habe in meiner Kunst eine Art Schmuddeligkeit. Ich hatte immer etwas gegen das technische Bild“, sagte Šnobl einmal dem WDR.  Šnobls Köln ist eine schmuddelige Schönheit. Sein Faible für das Unscharfe lässt die Stadt am Rhein voller Geheimnisse wirken.

Köln wurde mit der Zeit die Heimat des Pragers

Wie war die kölsche Nacht für ihren Kenner? „Die Zeit zwischen 4 und 6 Uhr ist am faszinierendsten, alles ist erlaubt, es herrschen keine Beschränkungen“ sagte Šnobl im Gespräch mit dieser Zeitung kurz nach Erscheinen des Fotobuchs. Zu Beginn wirkte Köln noch wie ein hässliches Provisorium auf ihn: „Köln, die Stadt von billigem Zeug aus den 1950er Jahren, war mir am Anfang fremd. Ich bin in Prag geboren, wo sich Gotik, Barock und Jugendstil noch vermischen“, schreibt er in seinem Buch.

Die Stadt wurde nur langsam besser in seinen Augen – mit der Zeit wurde sie ihm zur Heimat. Im Jahr 1979 floh der Fotograf aus dem kommunistischen Prag und hinterließ dort eine Tochter. „Wenn er in Prag war, wollte er nach einer Weile wieder zurück, weil ihm die Menschen dort fremd geworden sind“, erzählt Lenz. Šnobl lebte in einem Häuschen in Bilderstöckchen, in Ehrenfeld ist noch immer sein Atelier.

„Er hat das Multikulturelle und Urbane geliebt. Er wollte in der Stadt sein, ins Café und auf Ausstellungen gehen. Er war sehr vernetzt“. Auf seinem Handy waren zum Zeitpunkt seines Todes 404 Nummern gespeichert. Auch das Taxifahren hat ihn offener gemacht. Er traf die unterschiedlichsten Menschen, zum Teil skurrile Gestalten, die er auf karikatureske Weise literarisch inszeniert. So ist sein Bildband auch ein Sammelsurium an Anekdoten von Begegnungen mit Betrunkenen, Proleten, Prostituierten, Ausländern, Rassisten und auch Künstlern. Unvergessen ist Sigmar Polke, den er mehrmals zu dessen Atelier nach Zollstock fuhr – sich aber bloß nicht vor ihm als Künstlerkollegen outete, um die „fragile“ Beziehung nicht zu zerstören.

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Nie so glücklich wie nach Veröffentlichung von „Nachtfahrt“

Der Kontrast zwischen derbem Nachtberuf und kultiviertem Schaffen tagsüber habe ihm auch zugesetzt, so Lenz. Und finanziell sei es auch nicht immer einfach gewesen. „Es hing ihm natürlich auch zum Hals raus, weil er nicht kontinuierlich an seinen Projekten arbeiten konnte und hatte frustrierende Nächte, und dann hasste er es. Aber kaum stieg ein offener, netter Mensch ein, war es wieder okay“. Klar, die Sorge, durch die Arbeit als Mensch zu verrohen, war da. Doch dann erschien 2019 sein Buch im Emons Verlag – und alles habe einen Sinn ergeben. „Wenn ich das Buch nicht geschrieben hätte, wäre das eine verlorene Zeit gewesen“, sagte Šnobl einmal. 

Tagebücher sind das eigentliche Hauptwerk Šnobls

Hinter „Nachtfahrt“ stehen seine Tagebücher, sein eigentliches Hauptwerk. 35 Jahre bilden sie die erzählerische und visuelle Basis für alle Werke des Tschechen. Ein Leben in 45 Kisten, handgebunden, handschriftlich nummeriert. Bei einem Besuch in seinem Atelier bestechen sie vor allem durch Sorgfalt: Fotos, Zeitungsausschnitte, Nachrufe auf berühmte Personen, Einladungen.

Fein säuberlich aufgeklebt oder gefaltet. 5. September 2017: Fröhliche Runde mit Freunden im Café Goldmund. 11. September 2017: Fotos vom ehemaligen Ehrenfelder Club „Underground“. Eintrag: „Bald ist auch der Club Geschichte“. 16. September 2017: Stararchitekt Albert Speer ist gestorben. Es gab auch Einträge über Allmuth Lenz, mit dem Šnobl eine wechselvolle und doch sehr innige Beziehung verband.

Šnobl konnte auch „streitbar“ sein, erzählt sie,. Als Mensch war er zugewandt, manchmal cholerisch, was ihm selbst missfallen habe. Als Künstler wollte er die Zeit festhalten. Er hatte den dringenden Wunsch, sich selbst zu überdauern. Sein Traum war, dass seine Enkeltochter in Prag Kunstgeschichte studiert, und sich mit seinem Werk beschäftigt. Er beklagte, sein Schaffen würde nicht genug gesehen. Unrecht hatte er nicht ganz: Sein Stil, etwas zwischen Fotografie und Malerei, habe nicht jedem zugesagt. „Es gab in der Kunstszene mehrfach Leute,  die sagten, das ist doch keine Fotografie. Und schon gar keine Malerei“, so Lenz. Mit seiner Kolorierungstechnik, die immer wieder zum Einsatz kommt, hat er aus simplen Schnappschüssen innere Bilder nach außen projiziert und verfremdet.

Das sei nicht immer gewürdigt worden. Die Veröffentlichung von „Nachtfahrt“ war eine umso größere Erfüllung für ihn. Seine Taxigeschichten gibt es auch bald auf der Bühne zu sehen. Das Bonner Ensemble „Fringe“ führt es am 5./6. und 26./27.November im Theater im Ballsaal auf. Im Februar soll das Stück auch im Orangerie-Theater aufgeführt werden. Das hätte Josef Šnobl, der am 3. Februar 2021 in Köln mit 66 Jahren gestorben ist, sicher gerne festgehalten.  

Interessierte können die Vintage-Prints von Nachtfahrt in Snobls Atelier in Ehrenfeld besichtigen. Anfragen per Mail an allmuthlenz@freenet.de.

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