Abo

Nachruf auf Theo KönigMit Kölner Krautrock gegen den Kapitalismus

Lesezeit 8 Minuten
tier0_2018_05_12_MDS-KSTA-2018-05-12-71-131452305

Theo König 1980 bei einem Auftritt mit Vridolin Enxing

Köln – Eau de Cologne? Duftet. Kapitalismus? Stinkt. „Und alle riechen es. Und alle halten sich die Nase zu, statt die Augen aufzumachen und zu sehen, woher der Gestank kommt.“ Pure Heuchelei, wenn „die Industrie den Sozialakt beschließt, dass ab Freitag bei jedem Arbeiter die Lohntüte nach Kölnisch Wasser riecht“. Es stinkt in der bundesrepublikanischen Welt, wie sie sich in der Rockoper „Profitgeier“ zeigt. Klar verteilt waren die Rollen von Ausbeutern und Ausgebeuteten in dem Werk, das die Kölner Band „Floh de Cologne“ 1970 auf die Bühne brachte.

Es entsprach dem, was die Fans der 1966 gegründeten Formation erwarteten, die deutschlandweit für ihr radikal-kritisches Musik-Kabarettheater bekannt war. Jahrelang war sie erfolgreich mit wechselnden Programmen auf Tournee. Dann drehte sich der politische Wind, 1982 begann die Kanzlerschaft Helmut Kohls. Ein Jahr später löste sich die Politikrockband auf. Ihren Abschied gab sie im Mai 1983 in der Kölner Sporthalle; 6000 Leute kamen zu dem legendären achtstündigen Konzert. „Ein Stück Gegenwartskultur hat sich nach 17 Jahren selber ein Ende bereitet“, hieß es in der „Süddeutschen Zeitung“.

Ein Protagonist ist im vergangenen Sommer in seiner Wahlheimat Bayern gestorben: Theo König, Musiker, Texter, Sänger und Sprecher. „Mit seinen von tiefem Humor und funkelndem Geist geprägten Texten hat er wesentlich zur Entwicklung der Gruppe beigetragen“, riefen die Ex-„Flöhe“ Vridolin Enxing und Dick Städtler ihm nach.

Alles zum Thema Musik

Gut erinnert sich Städtler an die erste Begegnung mit König. Der war Mitte Februar 1968 aus München, wo er zu studieren begonnen hatte, nach Köln gekommen, um sich an der Uni zu immatrikulieren. Dort wurde er auf einen Aushang aufmerksam: Das „1. Kölner Straßentheater“, das Städtler mitgegründet hatte, suchte Mitstreiter, und König schloss sich ihm sofort an, angezogen vom Geist des Aufbegehrens, von der Agitation gegen Notstandsgesetze, Vietnamkrieg und den „Muff von tausend Jahren“.

Das Theaterwissenschaftliche Institut mit der Studiobühne bildete in Köln die Keimzelle des studentischen Widerstands im aufgeheizten politischen Klima jener Zeit, in der sich Große Koalition und außerparlamentarische Opposition, kurz Apo, gegenüberstanden. König wirkte mit an der Inszenierung des Musiktheaterstücks „Viet Rock“, war dabei, als das Straßentheater in Birmingham das Bühnenwerk „Schlachtfest“ aufführte, und übernahm die Leitung der Nachfolge-Truppe „Interpol“. An der Uni eingeschrieben war er für Theaterwissenschaften, Germanistik und Romanistik. 1970 fing er ohne Abschluss an, beim „Pläne“-Verlag in Dortmund zu arbeiten, der sich auf linkes Liedgut spezialisiert hatte. Eine Mitarbeiterin wurde Königs Frau.

Für die Apo-Zeit bestimmend war der Nazi-Generalverdacht gegen die „Vätergeneration“. Theo Königs eigener Vater, ein Oberstudienrat, spielte in seinem Leben keine Rolle, denn er war vor der Geburt des Sohns bei Stalingrad gefallen. Die Mutter musste in Duisburg-Hochfeld drei Kinder alleine aufziehen: Theo, Ilse und Jürgen. Theo Königs Bruder lebt heute in Berlin, die Schwester seit Jahrzehnten in Kolumbien. Die Kindheitsverhältnisse waren ärmlich. In den Ferien arbeitete der Schüler gelegentlich am Hochofen. „Mit der Arbeitswelt hat er sich gut ausgekannt“, sagt Städtler. Daneben spielte der Junge mit Klassenkameraden Dixieland-Jazz.

König arbeitete im dritten Jahr beim „Pläne“-Verlag, als er einen Anruf von Städtler bekam, der seit 1969 zu Floh de Cologne gehörte: Die Band brauche Verstärkung. König sagte zu – und hatte viel zu bieten. Er spielte Saxophon, Klarinette, Querflöte und Mundharmonika, er sang und zeigte sich auch als Texter geeignet. Besonders viel Lob bekam seine Bearbeitung des Stücks „Rotkäppchen“ von Jewgenij Schwarz, eine durchgängig gereimte Version mit Musik, die zum doppelten Erfolg wurde: als Schallplattenaufnahme mit Hanns Dieter Hüsch und Stars der linken Musikszene wie Franz Josef Degenhardt, Dieter Süverkrüp und Hannes Wader, und als Bühnenwerk. In der launig-verspielten Fabel schließen sich die Hasen zusammen, um dem bösen Wolf und dem verschlagenen Fuchs beizukommen.

Ansonsten bewahrten die „Flöhe“, die sich ein paar Jahre lang auch in der WDR-Satiresendung „Dreizack“ Gehör verschafften, den gewohnten klassenkämpferischen Biss. „Eigentum verpflichtet – es sei denn, man hat welches“, stand für sie fest. Der Kapitalismus stank weiterhin, etwa in der Rockoper „Koslowsky“, in der es um einen jugendlichen Hüttenarbeiter aus dem Ruhrpott geht. „Heute sind die Verhältnisse viel komplexer “, sagt Dick Städtler, „Schwarz-weiß-Denken war damals leichter.“

Zum Ende der Krautrockband sagt Enxing: „Wir wollten keine Kompromisse eingehen wie andere Bands.“ König arbeitete fortan als freier Autor und Liedtexter, als Musiker, Schauspieler und Regisseur für Theaterproduktionen, ob in Köln, Leverkusen, Essen oder Nürnberg. Eine Zeit lang war er am Wolfgang-Borchert-Theater in Münster tätig. „Immer wieder rief Theo an, wenn er Unterstützung brauchte“, erzählt Enxing. Der war nach Bayern gezogen, hatte ein Studio aufgemacht und sprang ein, sobald der andere Ex-„Floh“ für eine Inszenierung einen Komponisten oder Arrangeur brauchte. Von 1997 an schrieb König zudem Filmdrehbücher. Seine erste Frau und er gingen mittlerweile getrennte Wege.

Allein blieb er aber nie lange: bei Frauen kam er stets gut an. Enxing: „Er war für mich der Typus Mann, der ich auch gern gewesen wäre, hart und zart. Die Mädels waren fasziniert von ihm, er war ein richtiger Frontmann.“ Zu seinen vielen Beziehungen gehörte die zu einer Frau, die ein dreijähriges Kind mit in die Verbindung brachte; er nahm es an wie einen eigenen Sohn und zog es ein paar Jahre lang mit groß.

Die gelegentliche Zusammenarbeit, in die auch Städtler eingebunden war, sollte wieder eine feste Form bekommen. In München hatten Enxing und Städtler aus Workshops für sozial benachteiligte Jugendliche ein öffentlich gefördertes Musiktheaterprojekt entwickelt: Mit einer Auswahl der Begabtesten arbeiteten sie an dem Hip-Hop-Schauspiel „West-End-Opera“. In der entscheidenden Phase wurde Städtler krank.

„Wir sind immer frei geblieben“

„Mir fiel nichts anderes ein, als Theo anzurufen“, erzählt Enxing. „Einen Tag nach dem Anruf stand er vor der Tür und übernahm.“ Die Zelte in Köln abzubrechen, fiel ihm offenbar nicht sonderlich schwer. Auch aus einem handfesten Grund: Mit knapp 57 Jahren hatte er nun ein regelmäßiges Einkommen. „Reich geworden ist ja keiner von uns“, sagt Enxing, „für mich war es immer ein Kampf um die Existenz, bei Theo genauso. Aber wir sind frei geblieben.“

Im Juli 1999 feierte die „West-End-Opera“ Premiere, danach ging sie auf Tournee. Von dem Projekt, das nach den Worten von Enxing „aus dem kreativen Reservoir der Vorstädte“ schöpfte, war Münchens Stadtspitze so begeistert, dass sie anregte, es fortzusetzen. Daraus entstand das International Munich Artlab (Imal), das Zuschüsse von der Stadt und der Arbeitsagentur bekommt. „In Köln wollte uns niemand mehr, nachdem wir aufgehört hatten“, merkt Enxing an. „Im eigenen Land gilt der Prophet bekanntlich nichts. Im links-sozialdemokratischen München aber hatte Floh de Cologne einen guten Ruf. Unsere Plakate hingen bei Oberbürgermeister Christian Ude auf dem Klo.“

„Kleine, heimliche Liebe“

Die Uraufführung der „West-End-Opera“ brachte für Theo König eine private Wende. Sie geht zurück auf die Blütezeit der Band, an eine Zeit, in der die sozialistische Hoffnung so weit verbreitet war, dass, wie Enxing sagt, „der Erdball die Röteln hatte“. Die Krautrocker waren nicht nur im Westen, beispielsweise bei DKP-Festivals und Veranstaltungen von Gewerkschaften, gern gesehene Gäste. 1973 traten sie bei den Weltfestspielen der Jugend in Ost-Berlin auf. Betreut wurden sie von einer jungen Ärztin, die erzählt, es sei der Auftakt einer „kleinen, heimlichen Liebe“ zwischen ihr und König gewesen, der Beginn einer „unerfüllten Ost-West-Liebe“.

Denn der Eiserne Vorhang trennte die beiden, und „Abhauen kam nicht in Frage“, sagt sie, „auch nicht, einen Ausreiseantrag zu stellen“. Zehn Jahre, nachdem 1989 die Mauer gefallen war, kam die Frau, die inzwischen Mutter von drei Kindern war und eine gynäkologische Praxis in Berlin hatte, zur Premiere nach München. Jetzt passten die Umstände, nichts stand der Liebe mehr im Wege; 18 Jahre verbrachten Theo König, der zum zweiten Mal heiratete, und seine Frau Renate gemeinsam.

Ausgefallene Kleidung als Markenzeichen

In der Nähe von München eröffnete die Ärztin eine neue Praxis, und ihr Mann ging beim Imal in seiner Arbeit mit Jugendlichen auf und inszenierte mit ihnen Musicals. „Er hat sein eigenes Theater gemacht, besser konnte es ihm nicht gehen“, sagt seine Frau. „Er war ein ewig Junger, lebensbejahend, immer neugierig. Er war ein richtiger Künstler, auch ein kleiner Spinner, ein verrückter Indianer.“

Mit seinen langen Haaren und seiner ausgefallenen Kleidung sei er unübersehbar gewesen: „Er fand’s toll, wenn er auffiel.“ Was auf dem Land, wo das Ehepaar die Ruhe fand, die es brauchte, wahrscheinlicher war als in der Großstadt. Die letzten Jahre wohnte es, umgeben von Haustieren, in Eurasburg nahe dem Starnberger See.

Lungenkrebs im Endstadium

Unerfüllt blieb Theo Königs Wunsch, in Frankreich zu leben. Sein Sehnsuchtsort war die Gemeinde Antraigues-sur-Volane im südfranzösischen Département Ardèche. Dorthin war er in den 70er Jahren zum ersten Mal gekommen, zusammen mit Dick Städtler, der später in dem traditionell links regierten Ort, in dem der Komponist und Sänger Jean Ferrat wohnte, ein Steinhaus erwarb und ausbaute. „Ferrat wurde unser Freund, wir haben oft zusammen auf dem Dorfplatz Musik gemacht“, erinnert sich Städtler, „Theo ist jedes Jahr hingefahren.“ So war es ausgemachte Sache, wo sich die Trauergemeinde nach seinem Tod versammeln würde. Der kam plötzlich. „Theo war gesund, sportlich und tatkräftig, er hat von früh bis spät gearbeitet“, erzählt Renate König. Längst hatte er das Rauchen aufgegeben, doch die Diagnose, Anfang Juli 2017 gestellt, lautete: Lungenkrebs im Endstadium Zweieinhalb Wochen später war der 74-Jährige tot. Ehefrau und Freunde machten sich nach der Einäscherung auf den Weg nach Antraigues. Das Flüsschen Volane nahm Theo Königs Asche auf.

KStA abonnieren