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Nachruf Wolfgang RothKölner Radiomoderator war das „wandelnde Lexikon“ der Popmusik

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Wolfgang Roth moderierte im WDR die „Schlagerrallye“.

Köln – Seine Musikrecherchen waren gründlich, und viel Zeit nahm er sich für die Anmoderationen. Dafür schätzen ihn seine Fans. Von Juni 1984 an prägte Wolfgang Roth die „Schlagerrallye“ des WDR-Hörfunks. Als im Frühjahr 1995 der Sender WDR 1 in die Jugendwelle Eins Live umgewandelt wurde, passte die Hörer-Hitparade nicht zur neuen Zielgruppe. Sie fiel der Programmreform zum Opfer, und Roth war ausgemustert.

„Es war seine bis dahin bitterste Erfahrung“, sagt seine Frau Angelika. Knapp sechs Jahre darauf erkrankte er an Myelitis, einer Entzündung des Rückenmarks, und war zunächst komplett gelähmt. Später konnte er einen elektrischen Rollstuhl steuern. „Seine Lebensfreude hat er nie verloren“, sagt seine Frau. Im Januar ist Wolfgang Roth im Alter von 66 Jahren gestorben.

Tom Buhrow in Beileidsbrief: „Immer nah am Publikum“

Schon 1974 wurde die „Schlagerrallye“ aus der Taufe gehoben. Der Name ist etwas irreführend, denn zu hören war eher Rock- und Popmusik. Moderator war Wolfgang Neumann, bis er Unterhaltungschef des ZDF wurde. Anfang 1984 übernahm Adolf „Buddha“ Krämer die Sendung, moderierte sie wenige Monate und war danach nur noch ihr Produzent.

Schnell habe sich gezeigt, dass Roth, sein Nachfolger am Mikrofon, eine „ideale Besetzung“ gewesen sei, schreibt WDR-Intendant Tom Buhrow in seinem Beileidsbrief an Angelika Roth, „immer nahe am Publikum und an der wechselnden Jury, ungemein kenntnisreich in aktuellen und früheren Popszenen, mit vielen eigenen Einfällen“.

Über die Nachruf-Serie

Wolfgang Roth, 2. Oktober 1954 in Köln – 14. Januar 2021 in Köln

In unserer Serie Nachrufe erinnern wir an Kölner, die in jüngerer Vergangenheit verstorben sind. Wenn Sie vom Tod eines interessanten Kölners erfahren, über den wir einen Nachruf schreiben können, melden Sie sich bitte bei uns unter 02 21/2 24-23 23 oder ksta-koeln@dumont.de

Bei den Geschichten geht es nicht darum, ob ein Mensch prominent war oder unbekannt, erfolgreich oder verarmt. Es sollen Lebensläufe mit ihren Höhen und Tiefen beschrieben werden. Getreu dem Gedanken: Jeder Mensch hat etwas zu erzählen. Jedes Menschenleben ist einzigartig.

Roth moderierte im WDR

Zuerst wurde die Hitparade auf WDR 2 gesendet, ab 1986 dann auf WDR 1. In der Anfangszeit bestimmten die Hörer mit Hilfe von Postkarten die Rangfolge der Songs, später durch sogenannte TED-Anrufe. Zur Auswahl standen platzierte Lieder aus der Vorwoche und Neuvorstellungen. Letztere suchte eine monatlich wechselnde Jury aus Hörern, die sich beim WDR trafen, aus neu erschienenen Singles aus. „Es war die wortlastigste Hitparade aller Zeiten“, sagte Roth zu seinen langen Anmoderationen.

Zur Vorbereitung, bei der er jede Sendung zeitlich exakt durchrechnete, dienten ihm vor allem englische Musikzeitschriften. Davon finden sich neben unzähligen Platten und CDs noch Unmengen in der Wohnung in Weidenpesch, in der Roth mit seiner Frau lebte. Im Laufe der Jahre eignete er sich ein enormes Wissen über die Rock- und Popmusik-Szene an; manch einer nennt ihn deshalb „wandelndes Lexikon“.

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Vom Funk zu leben, war Roths Traum

„Sein Traum war, vom Funk zu leben“, sagt Bernd Jann, der Roth seit 1972 kannte, als sie beide eine Ausbildung zum Fernmeldemonteur begannen, und der mit ihm die Leidenschaft für Standard- und lateinamerikanische Tänze teilte. Der Traum erfüllte sich nie. Geboren wurde Wolfgang Roth in Nippes. Seine Eltern – der Vater Polizist, die Mutter Hausfrau – stammten aus dem Bergischen und wohnten im Stadtteil Weidenpesch, dem der Sohn treu bleiben sollte. Ebenso dem Telekommunikations-Konzern, bei dem er seine Lehre gemacht hatte und zum Schluss im Innendienst eingesetzt war.

Daneben sammelte er bei einem Krankenhaussender erste Erfahrungen mit dem Hörfunk. Weiter ging es seit Anfang der 80er Jahre bei Radio Benelux, einem Privatsender, der sein deutschsprachiges Programm aus Ostbelgien nach Nordrhein-Westfalen funkte. Roth schickte der Lokalstation im Hohen Venn Kassetten mit vorproduzierten Sendungen, die punktgenau abgespielt werden mussten, damit die Uhrzeit-Ansagen passten.

Roth sah sich selbst als typische Rampensau

Unterdessen hatte er den ein oder anderen Kontakt zum WDR geknüpft. Dort übernahm er bisweilen kleine redaktionelle Assistenztätigkeiten, später Aufgaben der Sendungsproduktion. Schließlich durfte er ein paarmal den „Sonntagstreff“ auf WDR 2 moderieren. Damit empfahl er sich für die „Schlagerrallye“. Im Gegensatz zu anderen Hitparaden gab es dort keine maximale Platzierungszeit: Die Titel wurden so lange gespielt, wie das Hörervotum es zuließ. „Verschiedentlich haben uns Hörer ein bisschen reingelegt“, erzählte Roth im Rückblick dem Dortmunder Campus-Sender „Eldoradio“.

So machten sich die Hörer einen Spaß daraus, mit ihrem Abstimmungsverhalten durchzusetzen, dass ein Lied mit Volksmusikcharakter Woche für Woche wieder gespielt werden musste. Umgekehrt kam es vor, das Roth die Zuhörer mit einem Aprilscherz hereinlegte. Gelegentlich wurde aus „Hollymünd“ gesendet, der WDR-Produktionsstätte in Bocklemünd. „Ich hatte keine Hemmungen rauszugehen“, sagte Roth, „wahrscheinlich war ich so eine typische Rampensau, die mit Publikum umgehen konnte.“

Roth lernte seine Frau in den 90ern kennen

Anfang der 90er Jahre reichte Angelika Jansen, die in Schermbeck im Kreis Wesel wohnte und nach ihrer Einzelhandelslehre in einem Schallplattenladen arbeitete, einen Vorschlag für eine Neuvorstellung ein. Am 29. Juni 1991 sahen sie und Roth sich zum ersten Mal im WDR-Studio. Der Kontakt blieb bestehen. 1997 siedelte sie nach Köln über.

Im Frühjahr 1998 wurden sie und Wolfgang Roth ein Paar und zogen in die Wohnung seiner verstorbenen Eltern. In dieser Zeit arbeitete er neben seinem Hauptberuf für den Lokalsender Radio Berg. „Er war mit Herzblut dabei“, sagt Heinz Pohl, der ebenfalls für Radio Berg tätig war. Roth, ein „äußerst liebenswerter Kollege“, sei „einer der wenigen Vollprofis“ gewesen.

Roth war auch in der Kölner DLRG aktiv

Noch auf einem anderen Weg hatte Roth gelernt, sich am Mikrofon zu behaupten: als Leitstellenfunker der DLRG Köln-Nord. Als solcher saß er im Turm auf der Ruderinsel des Fühlinger Sees, dirigierte das Wachpersonal und machte Durchsagen an die Bootsbesatzungen. Er habe es „extrem gut“ verstanden, „die Leute bei Laune zu halten“, sagt Sylvia Leding. Sie und ihr Mann Michael, beide Rettungsschwimmer, waren lange mit Roth befreundet. „Er war unglaublich großzügig“, sagt Sylvia Leding.

„Man hatte Not, etwas selber zu bezahlen.“ In den 70er Jahren gründeten DLRG-Mitglieder den nicht eingetragenen Verein „Bund der Wassermäuse“, dessen Zweck die Pflege der Geselligkeit war. Sabine Steßgen, die Roth in die Funkleitstelle eingearbeitet hatte, stieß dazu und wurde ihm zur engen Freundin. Sehr „umtriebig“ sei er damals gewesen, sagt sie. Er habe einen mitreißen und „aufbauen können“ und gerne im Rampenlicht gestanden.

Im Karneval aktiv, gesundheitlich angeschlagen

Auch im Karnevalsverein der DLRG Köln-Mitte war Roth aktiv; er hielt die traditionellen Kostümbälle auf Video fest. Beim Ball im Januar 2001 fühlte er sich mit einem Mal seltsam schlapp. Am nächsten Tag der Schock: „Ich kam nicht mehr aus dem Bett, meine rechte Seite war gelähmt“, erzählte er 2003 dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Die Ärzte vermuteten einen Schlaganfall. Zwei Tage später konnte er auch die linke Körperhälfte nicht mehr bewegen.

Nach neun Wochen im Krankenhaus, wo seine Stimme durch einen Luftröhrenschnitt nachhaltig in Mitleidenschaft gezogen wurde, verbrachte er elf Monate in einer Reha-Klinik. Allmählich konnte er den linken Arm wieder bewegen. „Als mein Mann an Myelitis erkrankte und absehbar war, dass er nicht wieder gesund würde, war für mich klar, dass ich in jedem Fall bei ihm bleiben wollte“, sagt Angelika Roth. Innerhalb von Weidenpesch zogen sie in eine barrierefreie Wohnung um. In Erinnerung an ihre erste Begegnung heirateten sie am 29. Juni 2004.

Das Paar war viel unterwegs, unternahm Ausflüge und auch Reisen. Bis 2017 rollte Wolfgang Roth als Mitglied des Karnevalsvereins bei den Schull- und Veedelszöch mit. Viel lag ihm auch am Vettern- und Cousinentreffen, das er einmal im Jahr organisierte. „Er war ein großer Kümmerer, auch nach seiner Erkrankung“, sagt Cousine Marieluise Peters.

Fans erinnern noch an die Schlagerrallye

„Er hat sich mit der Krankheit arrangiert“, sagt Bernd Jann. „Er hat seinen Willen, seinen Mut und seinen Humor nie verloren.“ Michael Leding spricht von der „Wahnsinnskraft“ seines Freundes, und Sabine Steßgen sagt, er habe „sein Leben gut in den Griff gekriegt.“ Eines Abends ging es ihm plötzlich schlecht. Im Krankenhaus wurde eine Entzündung der Bauchspeicheldrüse diagnostiziert. Drei Tage später starb Wolfgang Roth an den Folgen. Seine Frau durfte ihn bis zu seinem Tod nicht mehr sehen. „Ich bin froh und dankbar, dass ich so viele Jahre Teil seines Lebens sein durfte“, sagt sie.

Zu denen, die die Erinnerung an ihn wachhalten, zählen die annähernd 260 „Fans und Hörer der ehemaligen Radiosendung »Schlagerrallye« mit Wolfgang Roth“, die bei Facebook eine Gruppe gebildet haben.

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