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Nachts in der Kölner CityIm Lockdown zeigt sich das Elend der Obdachlosen

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Abends rollen Obdachlose vor den Geschäften ihre Schlafsäcke aus.

Abends rollen Obdachlose vor den Geschäften ihre Schlafsäcke aus.

Köln – In der „Superdry-Passage“, die Opernareal und Schildergasse verbindet, spritzen sich Junkies kurz nach Geschäftsschluss Heroin in die Kniekehle. In den Ecken liegen gebrauchte Spritzen und Alufolien neben Erbrochenem. Unter den Schaufenstern des Schuhhauses Kämpgen an Hohe Straße und Schildergasse lagern Junkies, vor der Antoniterkirche sitzt ein Bettler. Feuchte Abdrücke an der Fassade des Gotteshauses zeugen von der Notdurft, die Obdachlose hier fast jede Nacht verrichten. Alte Menschen gehen herum und leuchten in Mülltonnen, vor einer Seitenfassade von „Sportscheck“ hat ein verwirrter Mann sein Nachtlager aufgebaut.

Keine neue Situation

Es ist nicht neu, dass die Ladeneingänge in der City abends zum Zufluchtsort für Obdachlose werden. „Das Ausmaß hat allerdings stark zugenommen, ich würde von einer Verdopplung alle drei oder vier Jahre sprechen“, sagt Rainer Els, technischer Geschäftsleiter der Kämpgen GmbH. „Einige verhalten sich ordentlich, mit denen haben wir wenige Probleme. Die gehen, wenn wir morgens kommen und sauber machen. Andere benutzen unsere Eingänge regelmäßig als öffentliche Toilette und werden ausfallend. Frustrierend ist, dass die Stadt nichts dagegen tut: Der stationäre Handel steht mit dem Rücken zur Wand, aber hier wird geduldet, dass weitere unserer Kunden abgeschreckt werden.

Die zwei Männer, die auf Isomatten und geschützt von aufgespannten Regenschirmen im Eingang der Kämpgen-Filiale auf der Hohe Straße lagern, zählen zu den Obdachlosen, „die sich meistens benehmen“, wie Els sagt. Gegen 21.30 Uhr sind die beiden zugedröhnt, ihre Unterschenkel, Füße und Unterarme sind voller Einstichmale. Dimitri erzählt, dass er viele Jahre normal gearbeitet habe, bis er den Drogen verfallen und abgestürzt sei. „Ich schäme mich dafür, um Geld zu schnorren“, sagt er. „Und ich schäme mich auch, wenn Kollegen hier in die Schaufenster machen. Es gibt viele Leute, die uns Essen und Klamotten bringen. Wir sind zwar der Abschaum, aber es gibt Menschen, die uns gut behandeln – und wir benehmen uns auch.“

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Eigenhändig Hinterlassenschaften entsorgen

Dass das im Delirium nicht jedem gelingt, weiß nicht nur Rainer Els, der am samstagmorgens eigenhändig die Hinterlassenschaften der Obdachlosen vor dem Schuhhaus beseitigt. Markus Herzberg, Pfarrer der Antoniterkirche, sagt, ihm tue „die Not jedes Einzelnen leid. Leider werden wir dieser Not aber nicht mehr Herr.“ Herzberg berichtet von Menschen, die ihre Notdurft an der Kirchenfassade verrichten, die eine Weinflasche in die Kirche werfen oder Kaffee dort verschütten, von Obdachlosen, die in den Gottesdienst kommen und dort betteln. „Es kommt leider auch vor, dass Drogensüchtige aggressiv werden und Menschen bedrängen.“ Wie schon im Frühjahr zeige sich das Elend auch jetzt „wie unter einem Brennglas“.

Der Pfarrer regt einen runden Tisch mit allen Beteiligten an – Geschäftsleuten, Immobilienbesitzern, Anwohnern, Sozialarbeitern und Verwaltung. „Wir müssen zusammen Lösungen erarbeiten, die möglichst jedem gerecht werden.“ Rainer Els von Kämpgen sagt, ein Arbeitskreis sei vor zwei Jahren gegründet worden, habe allerdings nur einmal getagt. „Die Ordnungsdienste müssten einfach härter durchgreifen und Platzverweise erteilen, sobald sich jemand danebenbenimmt.“

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Es gehe „nur mit einer hohen Präsenz der Ordnungsdienste“ glaubt auch Annett Polster, Geschäftsführerin vom Verband Stadtmarketing Köln. Von einem runden Tisch hält Polster wenig, „davon hatten wir in der Vergangenheit viele, ohne, dass es eine Entwicklung gegeben hätte“. Das Ausmaß an „kriminellen Bettlertrupps, Drogenkriminalität und Exzessen hält mittlerweile nicht wenige Kunden davon ab, in der City einkaufen zu gehen. Es muss eine Übereinkunft für ein härteres Durchgreifen geben, auch wenn das ein Balanceakt ist“.

Lockdown legt Probleme offen

Der Lockdown habe die Probleme offengelegt, sagt Polster: „Viele kämpfen um ihre Existenz, auf der Hohe Straße haben wir bis zu 40 Prozent Leerstand. Aufhalten lässt sich der Trend über Qualität, eine Mischung aus Handel, Kultur, Gastronomie und Wohnen – attraktive Mieter kommen aber nur, wenn Ordnung, Sauberkeit und Sicherheit gewährleistet sind. Die momentane Situation schreckt viele ab. Darüber reden wir leider schon viel zu lange.“

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