Wo selbst Hardrock-Fans schunkelnKölsche Musikkultur absolut einzigartig auf der Welt

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Zu Kasalla-Konzerten kommen mittlerweile Zehntausende.

  • Jedes Jahr entstehen Hunderte neue Lieder mit kölschen Texten – immer neue Bands gründen sich, die auf Kölsch singen.
  • Es gibt wohl keine andere Region auf der Welt, wo sich diese Textkultur mit einer so vielfältigen Musikkultur verbindet.
  • Worin liegt die Faszination, auf kölsch zu singen? Warum schunkeln sogar Hardrock-Fans op kölsch? Ein Erklärungsversuch. Und ein Streifzug durch die kölsche Musikszene.

Köln – Die Sprachwissenschaft staunt über ein seltsames Phänomen, weil es sich ganz offensichtlich rationalen Erklärungen entzieht: Während im Alltag immer weniger Kölsch sprechen, boomt die kölsche Musikszene wie noch nie – und das nicht nur zu Karneval.

Der Bonner Sprachwissenschaftler Georg Cornelissen würdigt Kölsch als einmaligen „Kulturdialekt“, der „wie kein zweiter Stadtdialekt“ weit über die Region hinaus Fans findet, obwohl die meisten wohl gar nicht verstehen, was da gesungen wird. „Das ist ein unglaubliches Pfund. Durch die Musik kommen unendlich viele Leute mit Kölsch in eine unglaublich positive Berührung. “

Jedes Jahr entstehen Hunderte neue Lieder mit kölschen Texten. Doch nicht nur das dürfte einmalig sein: Es gibt wohl keine andere Region auf der Welt, wo sich diese Textkultur mit einer so vielfältigen Musikkultur verbindet. Es gibt kölschen Schlager und kölschen Punk, Reggae und Pop, Einflüsse von typischer Volksmusik aus aller Herren Länder, Multikulti-Experimente, Swing und Weltmusik, klassische Krätzjer und Hip-Hop. Die Sprache, nicht der Musikstil ist das Verbindende. Und weil so viele Spaß an ihr haben, hören sich Menschen Musik aus Genres an, die sie sonst nicht zulassen würden.

Der Hardrockfan fängt an zu schunkeln. „Erst habe ich gedacht, dass das nicht passt“, sagt Peggy Sugarhill, die mit den „Rockemarieche“ kölschen Rockabilly macht – ein Musikstil, der wie kaum ein anderer an eine Sprache gebunden ist. Auch Sugarhill machte Musik auf Englisch. Nun weiß sie: „Es funktioniert auch auf Kölsch.“ 

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Mit den Bläck Fööss wurde Anfang der 70er Jahre Kölsch zur Popkultur. 

Jedes Jahr kommen neue Bands hinzu, die versuchen, mit kölschen Texten ein Publikum zu finden. Am Mittwoch startete die „Loss mer singe“-Kneipentour mit der Vorstellung der mutmaßlich besten Neuvorstellungen für den Kneipenkarneval. Unter den 20 Titeln stammen fünf von Interpreten, die erstmals dabei sind. Das gab es noch nie. Unter ihnen die Band Stadtrand um Roman Lob, der 2012 Deutschland erfolgreich beim Eurovision Song Contest in Aserbaidschan vertrat. Seine Karriere als englisch singender Pop-Interpret soll weiter gehen, für „Stadtrand“ schreibt er kölsche Texte.

Die Sprache sei ihm viel wert, sagt er. „Wenn man sie spricht, lebt sie länger.“ Warum will er dafür kämpfen? „Die Sprache steht für Verbundenheit mit der Heimat“, sagt der 28-Jährige. Und: Wenn alle Hochdeutsch sprechen würden, wäre das doch ein langweiliger „Einheitsbrei.“ Die regionalen Unterschiede zu erhalten sei wichtig. „Dann steht Sprache auch für Vielfalt.“

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Planschemalör-Sänger Juri

Juri Rother, Sänger von Planschemalöör, einem weiteren Neuling in der Szene, sagt, die kölsche Sprache sorge schlicht für „ein gutes Gefühl“. Beim Schreiben von Liedern habe er gemerkt, dass man auf Kölsch Dinge anders und besser ausdrücken kann als auf Hochdeutsch. Wie bei Stadtrand helfen die Großeltern der Musiker bei der Kölsch-Korrektur. Es gehe nicht darum, dass jeder Ausdruck und jede Vokabel richtig sein muss, meint Rother. Weil er authentisch sein will, sei klar, dass sich das Kölsche mit dem Hochdeutschen mische.

Das hört mancher Kölsch-Purist nicht gern. Tatsächlich ist die regionale Sprachgeschichte aber seit über vier Jahrhunderten davon geprägt, dass sich das Kölsche mit hochdeutschen und anderen Einflüssen mischt.

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Roman Lob

Versucht man zu erkunden, warum die kölsche Sproch in Köln zu einer generationsübergreifenden Popkultur gehört, obwohl ihr Gebrauch als Sprechsprache immer weiter zurückgeht, landet man unweigerlich bei den Bläck Fööss. Als sie Anfang der 1970er Jahre die Karnevalsbühnen eroberten und dabei gleichzeitig unmissverständlich klarstellten, dass sie keine reine Karnevalsband sein wollten, kam das einer Revolution gleich – nicht nur, weil die Popmusik Einzug in die Sitzungssäle hielt. Kölsch war verpönt, im Laufe der 60er Jahre hatte sich selbst der Karneval von seiner Sprache weitgehend entfremdet. Die Lieder der Fööss waren ein Statement gegen den Trend. Und weil das ankam, setzten sie einen neuen.

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Die Rockemariechen aus Köln

Es gibt eine interessante Parallele zur Gründung von Kasalla 2011, die für den Generationswechsel in der kölschen Szene stehen und maßgeblich für den neuen Schwung verantwortlich sind. Als die Bandgründer Basti Kampmann und Flo Peil am Tresen beschlossen, eine Band zu gründen, hatte das Millowitsch-Theater gerade verkündet, sich weiter vom rheinischen Dialekt verabschieden zu wollen. „Wir wollten dazu beitragen, dass die Sprache weiterlebt“, so Kampmann. „Sprache ist ein essenzieller Bestandteil der Kölner Identität.“ Deshalb gab sich Kasalla das Motto „Alles kann, Kölsch muss“.

Das gilt seitdem offenbar für alle neuen Bands – eine Ausnahme ist Querbeat – und setzt zudem die Altvorderen wie Brings oder die Höhner, die auch immer mal wieder hochdeutsch singen wollen, unter Erwartungsdruck. Dabei vergisst der Kölsch-Fan schon mal, dass auch die Helden der Vergangenheit von Ostermann über die Vier Botze und Jupp Schmitz bis Willy Millowitsch viele Ausflüge ins Hochdeutsche machten. 

Mit der kölschen Sprache verbindet sich ganz offensichtlich ein Bild von der Stadt, ihren Werten und dem Zusammenleben ihrer Bewohner. Hymnen auf Köln könnte man auch in anderen Sprachen singen. Es geht aber nicht um die Stadt als solches, sondern um die Eigenschaften derer, die darin leben. Wer kölsche Texte macht, vermittelt ein Bild davon, wie man die Welt sieht und wie man gerne sein will: Ein bisschen anders als die anderen, mit ein paar Ecken und Kanten, lustig, tolerant und gelassen, humorvoll und lebensklug, selbstironisch, solidarisch und ein bisschen widerspenstig – vor allem aber der eigenen Scholle und seinen Leuten verpflichtet. „Das ist die definitive Zuhause-Heimat-Geschichte“, nennt Peggy Sugarhill als Erklärung dafür, warum so viele kölsche Lieder machen.

Natürlich wissen alle Beteiligten, dass das Selbstbild und das kölsche Zusammengehörigkeitsgefühl, das sich über die Musik ausdrückt und vermittelt, idealisiert wird. Köln ist ein Mythos. Doch wenn man ihn oft genug beschwört, kann er Fakten schaffen. Für die jungen Bands ist klar, dass der Begriff von „Heimat“, den sie benutzen, nichts Ausgrenzendes ist. Für viele gehört das Engagement gegen Rechtspopulismus und Fremdenfeindlichkeit wie selbstverständlich zu ihrer Arbeit. Die Künstlerinitiative „Arsch huh, Zäng ussenander“ der älteren Generation der kölschen Musiker hat es vorgemacht. Die jungen, neuen Bands finden andere Formen. Wenn Juri Rother, dessen Mutter in Panama geboren wurde, von „Heimat“ singt, gibt es Applaus für den Strophentext: „Do muss nit blond sin un nit he jebore. Ejal, woher de küss – do bes kölsch, wenn do et föhls.“

Das hat nicht mehr viel mit den Dogmen vergangener Zeiten zu tun, in denen Alteingesessene bestimmen wollten, wer dazu gehört und wie man nun dieses oder jenes Wort auszusprechen und zu schreiben hat. „Die Kehrseite der Medaille“ sei, „dass im Rheinland die Vorstellungen, was nun Kölsch, was ein davon verschiedener örtlicher Dialekt und was Rheinisch ist, immer mehr verschwimmen“, so Sprachexperte Cornelissen. Doch das könne „angesichts der Tatsache, dass die Mehrzahl des Publikums selbst keine Mundart mehr spricht, auch nicht verwundern“.

Das „Jeföhl“ ist wichtiger geworden als das Befolgen von Lexika-Regeln. Die kölsche Sprache lebt dank einer riesigen Musikszene. Der Karneval ist ihr Verstärker und ihr Sponsor. Doch die kölsche Sproch verbreitet sich auch außerhalb des Festes immer weiter – nicht mehr als Sprache des alltäglichen Lebens, aber als Sprache der Musik für jede Lebenslage des Alltags.  

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