„Es war herausfordernd“Kölner haben auf dem Clouth-Areal ihre Wohnideen verwirklicht

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Ein Haus der Baugruppe Wunschnachbarn

Köln-Nippes  – Vor knapp sechs Jahren begannen die Bauarbeiten der Baugruppen auf dem Clouth-Gelände, von denen es insgesamt zehn auf dem Areal gibt – rund ein Jahr später war Einzug. Zeit für eine Bilanz. Hierzu sprachen wir mit Philipp Kahnert (Baugruppe achtBar), Peter Heinzke (Wunschnachbarn), Kay Voßhenrich (HerzClouth) und Martina Pfaff (WoGe Köln eG).

Herr Kahnert, Herr Heinzke, Herr Voßhenrich, Frau Pfaff, Sie sind Mitglieder von Baugruppen, die auf dem Clouth-Gelände ihre Ideen vom Wohnen umgesetzt haben. Was sind die größten Vorteile einer Baugruppe?

Philipp Kahnert: Normalerweise ist es so: Wenn man irgendwo etwas kauft, kauft man die Nachbarschaft mit und hofft, dass alles gut geht. Wir hingegen haben uns lange vor dem eigentlichen Bau getroffen. Man kannte sich also schon vorher, mit allen Ecken und Kanten. Und die A...-Quote ist bei solchen Projekten vermutlich einfach geringer. Ein Riesenvorteil sind außerdem Gemeinschaftsraum und -garten. So haben wir ein Spielzimmer, eine Übernachtungsmöglichkeit für Gäste und eine Gemeinschaftsküche mit zusätzlicher Kühlschrank-Kapazität. Beim Grad des Zusammenlebens gibt es zwischen den zehn Baugruppen Unterschiede. Einige pflegen einen engen Kontakt wie eine WG, andere eher weniger.

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So sah das Clouth-Areal vor acht Jahren aus.

Peter Heinzke: Wobei es gut ist, wenn man in einer Baugruppe mit Menschen zusammenkommt, die ähnliche Wunsch- und Wertvorstellungen von einer Hausgemeinschaft haben. Aber das ist noch keine Garantie, dass das Zusammenleben klappt. Eine zusätzliche Besonderheit bei unserer Hausgemeinschaft Wunschnachbarn, ist das Co-Housing-Projekt, eine WG für Ältere, innerhalb des Hauses. Uns war immer wichtig, dass unser Projekt altersübergreifend ist. Praktisch ist auch der E-Mail-Verteiler für uns Baugruppen, wo rund 100 Haushalte Mitglieder sind.

Kay Voßhenrich: Das war bei uns genauso. Dass man sich lange vor dem Einzug regelmäßig trifft und die Leute dadurch schon kennt, hat einen zusammengeschweißt. Wichtig wäre von Seiten der Stadt, bei zukünftigen Vergaben eine Gewinnorientierung durch die Preissteigerungen am Immobilienmarkt grundsätzlich auszuschließen, etwa durch mehr genossenschaftliche Bauprojekte.

Martina Pfaff: Der große Unterschied ist bei uns, dass unsere Gruppe die Rechtsform der Genossenschaft gewählt hat und unter dem Dach der Woge Köln eG organisiert ist. Wir sind damit nicht Eigentümer unserer Wohnungen, sondern der ganzen Gruppe gehört das Haus, und wir mieten die Wohnungen bei ihr. Das heißt also: Alle sind Eigentümer des Ganzen. Wir haben lebenslanges Wohnrecht und sind abgesichert wie Eigentümer. Und mit der Miete, die bei uns Nutzungsentgelt heißt, decken wir die gesamten Kosten – mit ihr wird jedoch keine Rendite erwirtschaftet. Wir wurden auch nicht als Einzelne in der Kreditwürdigkeit geprüft, sondern wir als gesamte Gruppe. Und wenn jemand auszieht, bekommt man durch den Nachfolger die Genossenschaftsanteile ausgezahlt. Preistreiberei bei Immobilien und Spekulation werden damit unterbunden.

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Auf gute Nachbarschaft: Philipp Kahnert, Kay Voßhenrich und Peter Heinzke (v.l.) beim Kickern im Gruppenraum von „achtBar“. 

Was war der schwierigste Teil des Projekts?

Heinzke: Es war schon recht viel Arbeit. Der Bewerbungsprozess war verbunden mit einem festen zeitlichen Ablaufschema – von der ersten, formlosen Bewerbung mit lediglich einigen Eckdaten, bis zur Konkretisierung sechs Monate später. Es folgte das Konzept und der Bauentwurf, wo 20 von ursprünglich 25 Gruppen ihre fertigen Konzepte abgaben. In dieser Zeit, von Februar bis April 2014, musste eine Menge an Material herbeigeschafft werden, und das mit einer Gruppe, die sich zu dem Zeitpunkt noch nicht so stark kannte.

Kahnert: Wir waren 2014 natürlich noch nicht auf dem Level der digitalen Kommunikation wie heute. Man musste auf alle Fälle sehr stark koordinieren. Heute kann ich mir gar nicht mehr vorstellen, wie man das früher ohne E-Mail hinbekam. Das Herausforderndste aber war das Problem der Verortung: Wir wollten 17 Parteien in unserer Baugruppe sein, erhielten aber den Raum für unsere damalige Anzahl von zwölf. So war mehr Kompromissbereitschaft gefordert, denn fast alle wollten in die oberen Stockwerke, wie eine umgekehrte Pyramide. Wir haben es dann unter anderem durch viele Diskussionen und unterschiedliche Quadratmeter-Preise in den Stockwerken gelöst.

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Das 14,5 Hektar große Clouth-Areal im Jahr 2018

Heinzke: Eine Aufgabe war auch der Neuzuschnitt der Grundstücke, nachdem feststand, dass acht statt sechs Baugruppen zum Zuge kommen, aber der Kuchen, also die gesamte Fläche für gemeinschaftliches Bauen, gleich groß blieb. Die einzelnen Grundstücke wurden kleiner und die Häuser und damit die Anzahl der möglichen Wohnungen und Größe der Gemeinschaftsflächen mussten in der Planung reduziert werden.

Vosshenrich: Insgesamt war der Prozess sehr herausfordernd. Am Anfang hatten wir überlegt, alles im Konsens zu entscheiden, aber es gab dann schon unterschiedliche Meinungen bei diversen Sachen. Es ist eben nicht so wie im eigenen Haus, wo man alles entscheiden kann, wie man will. Auch bei uns war die Verteilung, wer wo hinkommt, ein Thema, ebenso das Dachgeschoss, wo die meisten hinwollten. Bei uns kam noch dazu, dass wir ursprünglich zwei Baugruppen waren, und uns dann zusammengetan haben: Die eine war nämlich nur zu viert, wir zu sieben Leuten. Da die Mindeststärke für eine Bewerbung sechs Leute waren, haben wir uns zusammengeschlossen. Wir wurden von jetzt auf gleich eine Mehrgenerationengruppe, weil die Vierer-Gemeinschaft älter ist als wir.

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Pfaff: Es war schon wirklich viel Arbeit. Einmal die Woche trafen sich unsere verschiedenen Arbeitsgruppen, plus das wöchentliche Plenum. Da wurde unendlich viel diskutiert, weil man ja als Bauherr die ganze Planung leisten muss. Der Vorteil ist aber, dass man sich auf den Bereich spezialisieren kann, der einem liegt – etwa Architektur oder Finanzen. Wir haben übrigens das Konsensprinzip bei uns beibehalten. Denn wir haben gelernt, wie wir Differenzen überwinden, ohne eine überstimmte Minderheit zurücklassen zu müssen. Eine weitere Schwierigkeit ist die Alltagsgestaltung. Man muss sich überlegen, was man im Vornherein regelt, und was man auf sich zukommen lassen kann. Als wir einmal eingezogen waren, haben sich viele Probleme als gar nicht bedeutend herausgestellt.

Wie hat sich das Verhältnis der Baugruppen zueinander entwickelt?

Voßhenrich: Man war stark im Bau des eigenen Hauses involviert, und hat die anderen Baugruppen erst nach dem Einzug kennengelernt. Beispielsweise mit unserem Sommerkino im Garten, oder beim Lagerfeuer. Und natürlich durch die Kinder entstehen Bezüge zueinander. Zu den beiden Baugruppen an Tor 4 ist hingegen weniger Kontakt.

Heinzke: Es kommt auch darauf an, wo das eigene Grundstück liegt. Mit dem eigenen Quadranten – den vier Häusern, die sich mit ihren Gärten gegenüber liegen – ist es tendenziell etwas mehr. Bei uns ist das „Rentnerfrühstück“ im Hof ein Anlaufpunkt, wo wir Kontakte zu den anderen älteren Baugruppen-Mitgliedern knüpfen. Aber die räumliche Nähe macht schon etwas aus.

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Der Luftschiffplatz ist ein zentraler Anlaufpunkt im Clouth-Quartier.

Kahnert: Der Wille zur Veedelsgestaltung ist da. Hier sind Leute eingezogen, die noch etwas schaffen wollen und den Feierabend nicht nur auf dem Sofa verbringen möchten. Wir sind dabei, einen Veedelsverein mit verschiedenen AGs wie Garten, Verkehr oder Clouth4Future zu gründen. Die Idee des „LebeVeedels“ führen wir weiter fort. Aus unserem Baugruppen-Verteiler möchten wir einen Veedels-Verteiler machen, um alle Bewohner im Quartier zu erreichen.

Pfaff: In der Bauphase hatten wir ein Gremium, wo wir uns mit allen Gruppen getroffen hatten, damit nicht jede Gruppe das Rad neu erfinden muss. Dadurch kannte ich viele Leute aus den anderen Gruppen. Nach dem Einzug war man erstmal dabei, sich selbst ins Leben im neuen Veedel und der eigenen Gruppe zu gewöhnen. Und Corona kam dann noch dazu. Heute ist es so, dass es vor allem unter den Eltern viel Kontakt gibt. Ein entscheidender Unterschied bis heute ist der gemeinsame E-Mail-Verteiler, den wir als Baugruppen haben.

Das sind Baugruppen

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Wunschnachbarn haben auch einen großen Garten.

Auf dem Clouth-Gelände waren drei Baufelder östlich der historischen „Halle 17“ mit insgesamt rund 6500 Quadratmetern Fläche für Baugruppen reserviert. Ab Ende 2013 hatten sich 25 Gemeinschaften für die zunächst sechs Baugruppen-Plätze beworben, von denen letztlich 20 fertige Konzepte inklusive Finanzierung einreichten. Aufgrund der hochqualitativen Entwürfe entschied die Stadtwerke-Tochter Moderne Stadt als Areals-Entwicklerin, acht statt sechs Gruppen zum Zuge kommen zu lassen – auf entsprechend verkleinerten Grundstücken. Ab 2016 gingen die Bauarbeiten los. Nachdem das frühere Werkstor 4 an der Xantener Straße unter Denkmalschutz gestellt wurde, vergab Moderne Stadt das zugehörige Grundstück ebenfalls an Baugruppen und nominierte zwei weitere Gemeinschaften nach, so dass heute zehn Baugruppen auf dem Clouth-Areal leben. 

Baugruppen sind Gemeinschaften, die sich zusammentun, um ein Haus gemeinsam zu bauen, in denen einzelne Parteien dann eigene Wohnungen haben.  Häufig steht das Wohnprojekt unter einem Leitgedanken, etwa Mehrgenerationen-, barrierefreies oder besonders kindgerechtes Wohnen, oder Diversität in der Bewohnerschaft. 

Wie stark fühlt sich das Clouth-Quartier als Veedel an? Was fehlt noch, was ist gut?

Voßhenrich: Für mich gehören zu einem richtigen Veedel mehr Einkaufsmöglichkeiten dazu. Eine Bäckerei haben wir hier, und das war's. Und es gibt gastronomisch nur das eine Café in Tor 1. Was schön ist, ist der Spielplatz am Luftschiffplatz. Es gibt ganz klar die Tendenz, noch etwas mehr Identifikation mit dem Veedel zu bekommen. Wenn man sagt, man komme aus dem Clouth-Quartier, sagt das außerhalb von Köln noch nicht so vielen Leuten etwas.

Heinzke: Was bei uns auch gut passen würde, wäre ein Tante-Emma-Laden mit Außensitzplätzen. Vielleicht bringen die gemeinsamen Arbeiten zur Geschichte des Geländes etwas, etwa mit unserem Clouth-Geschichtspfad, den wir mit dem Arbeitskreis „Kölner Ei“ und ehemaligen Mitarbeitern vom „Industriekultur Clouth e.V.“ mit Unterstützung des Landschaftsverband Rheinland vorbereiten. Immerhin haben hier mal bis zu 3000 Leute ihr Brot verdient.

Pfaff: Von Leuten von außerhalb des Clouth-Geländes höre ich oft, dass das Quartier die Gentrifizierung fördere, ein abgeschlossener Haufen und ein Fremdkörper sei. Es gibt jedoch den ganz klaren Wunsch im Veedel, sich zu öffnen und in Kontakt und Austausch zu kommen. Und wir haben mit den Geschichtsausstellungen und dem „Tag des Guten Lebens“ erste Schritte gemacht. Und ganz fertig ist das Viertel ja auch noch nicht; so wird es mehr Zugänge zum Gelände und mehr Durchlässigkeit geben. Für die Veedels-Identität wäre es wichtig, dass es mehr kleinere Läden in den Erdgeschossen gäbe. Dann bestände vielleicht auch von außen mehr Interesse, da mal hinzugehen. Denn ein reines Schlafquartier erscheint mir städtebaulich keine gute Lösung.

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