„Senkrecht im Bett“Anwohner klagen über nächtlichen Lärm in Nippes

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Mit einer großen Feier wurde das ICE-Werk im Februar eröffnet. Anwohner klagen seither über starke Lärmbelästigung in den Nächten.

Mit einer großen Feier wurde das ICE-Werk im Februar eröffnet. Anwohner klagen seither über starke Lärmbelästigung in den Nächten.

Nippes/Longerich – Eines ihrer größten Prestigeprojekte betreibt die Deutsche Bahn seit Anfang des Jahres in Nippes: das ICE-Instandhaltungswerk. In der 450 Meter langen Halle werden die neuen Züge der vierten Schnellzug-Generation gewartet, technisch sind alle Verfahren auf dem neusten Stand. Außerdem arbeitet das Werk besonders umweltfreundlich, weil mit Photovoltaik-Panelen und Geothermie so viel Energie gewonnen wird, wie der Betrieb verbraucht. Insgesamt können pro Nacht bis zu 16 ICE-Züge in Nippes gewartet werden, bevor sie wieder auf die Strecke gehen.

Doch genau dieser nächtliche Betrieb ist einigen Anwohnern des Geländes ein Dorn im Auge. Diejenigen, die in Longerich nördlich der Gleise leben, etwa in der Geschwister-Scholl-Straße oder der Wilhelm-Leuschner-Straße, beschweren sich, dass der Bahnlärm nachts massiv zugenommen habe. Rund 40 Betroffene trafen sich nun, um über die Folgen der Belastung zu diskutieren.

Einer der Veranstalter ist Heiko Braak. Der Physiker lebt nur wenige Hundert Meter Luftlinie von den Gleisen entfernt. Er fragt: „Hat man uns in den Plänen vergessen?“ In südlicher Richtung sei an den Lärmschutz der Anwohner gedacht worden, beispielsweise in der Etzelstraße. Doch die Siedlung nördlich des Werks sei nicht ausreichend berücksichtigt worden.

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Bettina Türk-Werner und Heiko Braak Foto: tse

Bettina Türk-Werner und Heiko Braak Foto: tse

Das Werk liegt direkt neben dem Schienenstrang, der von Köln in Richtung Dormagen führt. Nachtverkehr mit Güterzügen gibt es dort seit Jahrzehnten, die Menschen an den Gleisen seien zwar nicht glücklich darüber, hätten sich jedoch mehrheitlich damit arrangiert. Doch wie sehr sich die Geräuschkulisse nach der Eröffnung des ICE-Werks verändert habe, sei nicht mehr hinnehmbar. Klimaanlagen, Aggregate und Reinigungsgeräte liefen teilweise rund um die Uhr, berichtet Braak. Besonders schlimm sei das Hupen der Fernzüge, das mit bis zu 130 Dezibel einem startenden Flugzeug gleichkomme. „Da steht man senkrecht im Bett“, findet auch Bettina Türk-Werner, die das Treffen mit Braak organisiert hat. Ebenso störend seien hohe Lichtmasten, mit denen das Gelände nachts beleuchtet wird. Die strahlten teilweise bis in die Schlafzimmer der angrenzenden Häuser.

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Um zu zeigen, dass der gestiegene Lärmpegel nicht nur eine gefühlte Wahrnehmung ist, präsentierte Braak Messungen, die er selbst von seinem Haus aus an verschiedenen Tagen gemacht hat. Im Mittel liegt die Belastung zwischen 45 und 55 Dezibel, jede Nacht gibt es deutliche Ausschläge nach oben. „Und das, obwohl der gesetzliche Grenzwert bei 35 Dezibel liegt“, so Braak.

Nachdem das Werk den Betrieb aufgenommen hatte, wandte er sich deshalb an das Umweltamt der Stadt, schlug einen runden Tisch mit der Bahn und dem zuständigen Eisenbahnbundesamt vor. Immerhin: Gegen die hellen Lichtmasten habe die Bahn schnelle Abhilfe versprochen, so Braak; testweise sind seit Ende Oktober Blenden an den Leuchten montiert, die die Anwohner vor Lichteinfall schützen sollen.

Bahn allein verantwortlich

Die Vertreterinnen des Umweltamtes, die sich bei dem Treffen den Fragen der Anwohner stellten, sehen sich unterdessen nicht als die richtigen Ansprechpartner. Zuständig sei allein das Eisenbahnbundesamt, das als Bundesbehörde die Anlagen und den Betrieb der Bahn kontrolliert. „Wir können zwar kollegial nachfragen, aber niemanden zu etwas zwingen“, erläuterten sie. Auch könne die Stadt kein eigenes Lärmgutachten erstellen, dafür sei allein die Bahn verantwortlich. Bei einem Treffen mit der Bahn sei zumindest erkennbar gewesen, dass das Unternehmen die Probleme der Anwohner ernst nehme. Es gebe demnach Pläne, eine etwa 200 Meter lange Lärmschutzwand zwischen dem ICE-Werk und den Güterverkehrs-Gleisen zu bauen. 

Zwei Lärmschutzwände gefordert

„Aus meiner Sicht reicht das nicht“, kritisiert Braak die Vorschläge der Bahn. Es brauche stattdessen zwei Lärmschutzwände, um sowohl den Lärm der ICE als auch den der Güterzüge zu reduzieren. Er erwartet, dass die Bahn die Anwohner in ihre Pläne einbezieht und fordert einen konkreten Zeitplan für deren Umsetzung.

Unterstützung erfahren die Anwohner aus der Stadtpolitik: CDU-Stadtrat Martin Erkelenz erinnerte daran, dass es schon vor etwa zehn Jahren Probleme mit einer S-Bahn-Anlage in Mauenheim gegeben habe. Die Bahn hätte diese Erfahrungen beim aktuellen Bau berücksichtigen müssen. SPD-Ratsvertreter Jörg van Geffen äußerte sich ähnlich. Das Eisenbahnbundesamt bestätigte unterdessen, dass die Bahn an einem neuen Lärmgutachten arbeite. Außerdem habe sie „Schritte angekündigt, wie sie die Belastung reduzieren will“, so ein Sprecher des Amtes. Erst, wenn das Gutachten und darauf aufbauende Pläne vorliegen, könne man aktiv werden und mögliche Genehmigungen erteilen. Dass die Bahn über eine Lärmschutzwand nachdenkt, bestätigt Carsten Burmeister, Projektleiter des Nippeser ICE-Werks. Außerdem arbeite man an Simulationen, die die Auswirkungen verschiedener Maßnahmen auf die Lärmkulisse voraussagen sollen.

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