KinderonkologieChance für hoffnungslose Fälle

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Prof. Dr. Aram Prokop

Prof. Dr. Aram Prokop

Riehl – Es klang nach einem Wunder, was Dr. Aram Prokop vor wenigen Wochen der Festgesellschaft auf dem Köln-Ball erzählte. Ein 15-jähriger sterbenskranker Junge hatte den Krebsspezialisten der Kinderklinik Amsterdamer Straße um Hilfe gebeten. „Ich habe ihm offen gesagt, dass es bislang weltweit keinen Menschen gibt, der seine sehr seltene Krebsart überlebt hat. Und der Junge sagte mir ohne Zögern: »Dann werde ich der erste sein«. Das hat mich verblüfft. Heute ist er 17 Jahre alt und tumorfrei.“

Dass der Jugendliche zuversichtlich in die Zukunft blicken kann, hat weniger mit einem Wunder zu tun als mit dem Forschergeist seines Arztes. Der ist sowohl habilitierter Arzt als auch promovierter Chemiker, zudem Facharzt für Kinderheilkunde und Kinderonkologie/-hämatologie. „Die Herausforderung ist, dass jede Krebszelle einzigartig ist. Jeder Mensch hat individuelle Krebszellen, sogar im Tumor können sie verschieden sein“, sagt Prokop. „In diesen Zellen muss man exakt die Strukturen finden, mit denen sie ihr Selbstzerstörungsprogramm in Gang setzen, und dieses ansteuern.“

Das gelingt Forschern in zunehmendem Maße. Schon in seiner Zeit an der Berliner Charité gründete Prokop eine Arbeitsgruppe „Experimentelle Onkologie“. Als er 2008 den Wiederaufbau einer Kinderonkologie am Kinderkrankenhaus Amsterdamer Straße übernahm, siedelte er dort die Gruppe an. „Wir betreiben Grundlagenforschung“, sagt Prokop beim Gang durchs Labor. „Uns interessieren jedoch auch seltene Krebserkrankungen wie die des 15-Jährigen. Wir versuchen, auch in so aussichtslos scheinenden Fällen wie diesen zu helfen.“

Ein besonderes Engagement, das besondere Unterstützung benötigt. Prokop stehen interessierte Ärzte, Biotechnologen, Biochemiker, Chemiker, Biologen und Assistenten zur Seite. Ein Einsatz, den die Leitung des Kinderkrankenhauses schätzt. In klingender Münze können die städtischen Kliniken die Gruppe jedoch nicht unterstützen, es gibt dafür keinen Etat. „Unser Personal und die Geräte werden komplett aus Drittmitteln bezahlt“, sagt Prokop. Deshalb sei er Förderern wie Brigitte Christoph dankbar. Sie organisiert seit 25 Jahren den Köln-Ball zur Unterstützung kranker Kinder. Im vergangenen Jahr konnte Prokop sich über 90.000 Euro freuen.

Gesunde Atmosphäre

Um bei Kindern, die unheilbar krank scheinen, die Chancen auf weitere Lebensjahre zu erhöhen, entnehmen die Kölner Forscher Tumorzellen und halten sie unter Laborbedingungen. „An ihnen testen wir die Wirksamkeit von Chemotherapien, um die bestmöglichen Therapieformen zu finden.“ Ein Problem: „Die Laborbedingungen entsprechen nicht den Körperbedingungen.“ Wenn Wirkstoffe gefunden werden, die nicht nur die Tumorzellen im Labor schrumpfen, sondern auch die Krebsgeschwulste beim Patienten verschwinden lassen, „dann war und ist es aller Mühen wert“. So konnte Prokop für einige junge Patienten, die als hoffnungslose Fälle galten, mit seinen Mitarbeitern Therapien entwickeln. Um die bestmögliche Lösung für jedes erkrankte Kind zu finden, tauscht Prokop weltweit mit anderen Wissenschaftlern Erkenntnisse aus.

Doch es sei nicht nur der medizinische Fortschritt allein, der einen Tumor bezwingbar mache. Krebskranke Kinder seien hochmotivierte Patienten: „Sie wollen nicht sterben. Sie haben die Hoffnung, dass man nicht aufgibt.“ Wichtig sei deshalb die Atmosphäre in der Klinik. Das Krankenhaus bietet Übernachtungs- und Gesprächsmöglichkeiten für Eltern, Hausunterricht, Ernährungsberatung, Kunst- und Musiktherapie, ein Spielzimmer, Physiotherapie und Seelsorger. Zur Unterstützung des körperlichen Aufbaus nach den Therapien haben die Ärzte in Kooperation mit der Sporthochschule ein Pilotprojekt entwickelt.

Was all dies bewirkt, erlebt derzeit die Engelskirchener Familie Binner. Beim 14-jährigen Julian wurde vor einem halben Jahr das Ewing-Sarkom entdeckt, eine Knochenkrebsart des Kindesalters. Der Junge wird nach Studien-Standards behandelt.

Vier von sechs Chemotherapien hat er hinter sich – mit Erfolg. Die unerträglichen Nervenschmerzen im Bein seien verschwunden, die Haare wachsen bereits nach. „Ich kann wieder besser laufen“, freut sich Julian, der in seinem Leichtathletikverein Hilfstrainer ist.

Jeden zweiten Tag reist er mit seiner Mutter an. „Wir fühlen uns in der Klinik sehr wohl“, sagt Birte Binner, „fast besser als zu Hause.“ Wegen der Gefahr, sich zu infizieren, ist Julians Leben extrem eingeschränkt; er kann nicht mehr zur Schule gehen, keine Freunde besuchen, darf nicht Bus fahren. Birte Binner: „Hier kann ich ungezwungen mit anderen über unsere Lage reden, weil alle in derselben Situation sind.“

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