Schüler-Projekt in NippesGeschichten von Armen und Reichen

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Die Nachwuchsliteraten auf dem Schillplatz

Die Nachwuchsliteraten auf dem Schillplatz

Nippes –  Das ganze Veedel ist ihr Revier. An jenem sonnigen Frühlingsvormittag zieht es die Gruppe der Nachwuchs-Literaten auf den Schillplatz – den beliebten Treffpunkt des Veedels mit Café-Terrassen, Kirche und vielen schönen Altbauhäusern. Die 14 Schüler aus fünften und sechsten Klassen, größtenteils Mädchen, machen es sich auf den Bänken bequem und holen ihre Skizzenbücher heraus.

Zum Aufwärmen zeichnen sie geometrische Linienmuster, danach verteilen sie sich auf dem Platz und nehmen Impressionen auf, die sie schön oder bemerkenswert finden; einige entwerfen auch schon Texte. „Verwendet nicht so viel Zeit für die Details, die Idee zählt vor allem“, rät ihnen ihre Betreuerin Nele Gothe. „Es geht darum, die Wahrnehmung zu schärfen“, erläutert die Projektleiterin Christina Bacher, Kinderbuch-Autorin aus Mauenheim und Chefredakteurin des Kölner Straßenmagazins „Draußenseiter“.

Es ist ein interessantes Literaturprojekt, das momentan in Nippes läuft: Unter dem Motto „Der doppelte Stadtplan – Geschichten über Armut und Reichtum“ trifft sich die Gruppe regelmäßig, um ein Buch über den Stadtteil zu schreiben. Nach den Sommerferien wird es im Literaturhaus vorgestellt. Insgesamt zehn Werkstatt-Termine finden statt, allein vier davon in den zurückliegenden Osterferien. Vom Jugendzentrum „Café 362“ aus, das wie auch das Niehler Erich-Kästner-Gymnasium ein Partner der Literaturaktion ist und wo die jungen Autoren auch zu Mittag essen, brechen sie zu ihren Expeditionen ins Veedel auf. Insgesamt gibt es 22 Teilnehmer. „Wir hatten mehr als 50 Anmeldungen, deshalb mussten wir auslosen“, erläutert Bacher. Sie beschäftigen sich mit verschiedenen Formen der Armut – sowie auch bessergestellten Bürgern. Finanziert wird das Projekt vom NRW-Ministerium für Bildung und Forschung und dem Bundesverband der Friedrich-Bödecker-Kreise, die sich für Leseförderung einsetzen.

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„Das Schöne ist, dass wir etwas Zeit haben, Ideen zu entwickeln“, betont Bacher. „Wir haben den Perspektivwechsel und neue Schreibtechniken geübt; so hat die Gruppe beispielsweise mal eine Kurzgeschichte aus der Perspektive eines Hutes geschrieben.“

Auch mit den Gedicht-Versformen Haiku und Avenida beschäftigten sie sich. Im Lauf ihrer bisherigen Treffen haben sie bereits mit einer früheren Obdachlosen gesprorchen, die ihnen von der Zeit auf der Straße erzählte, und wie ihr Hund ihr beim Überleben half, Sicherheit gab und ihr Lebensmut verlieh. Demnächst steht ein Besuch beim Beratungsbus „Boje“ an, einer städtischen Anlaufstelle am Hauptbahnhof für wohnungslose Jugendliche und junge Erwachsene. Doch nicht nur um die krassesten Fälle der Armut geht es, sondern auch um versteckte Armut, um Menschen, die hart kämpfen und sich einschränken müssen, um über die Runden zu kommen – Studenten, Rentner oder Geringverdiener.

Insgesamt ist die Autorin beeindruckt, wie groß die Resonanz und die Begeisterung der Mädchen und Jungen ist – was nicht nur die hohe Bewerberzahl gezeigt habe. „Es heißt ja immer, Kinder lesen nicht mehr – aber hier ist das Gegenteil der Fall. Wir sind eine Gruppe von richtigen Leseratten; oft sprechen wir bei unseren Treffen auch über Bücher, die wir gelesen haben.“ Und auch der zehnjährigen Julia, eine der Teilnehmerinnen, gefällt es. „Man lernt hier viel zum Geschichten-Aufbau, und man beschäftigt sich mit Armut. Man kann sich ja im Alltag gar nicht vorstellen, überhaupt kein Geld zu haben.“ Später will sie selbst Bücher schreiben, und am liebsten Journalistin werden. Die Buchpremiere findet am Donnerstag, 29. August, 17 Uhr, im Literaturhaus statt, Großer Griechenmarkt 39.

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