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Pirouetten in der Backstube„Himmel und Kölle“-Darsteller jobbt nebenbei in Bäckerei

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Florian Sigmund bei seinem 450-Euro-Job in der Bäckerei Büsch.

Köln – Es war sein erstes großes Engagement nach Abschluss des Studiums an der Essener Folkwang Universität der Künste. Der Schauspieler, Sänger und Musicaldarsteller Florian Sigmund (27) war vom bundesweit renommierten Regisseur Gil Mehmert für den angehenden Bräutigam Mattes, eine der Hauptrollen im Musical „Himmel und Kölle“, ausgesucht worden. Unter dessen Regie hatte Sigmund während des Studiums schon in Dortmund bei „West Side Story“ und „Jeckyl & Hyde“ mitgewirkt. Doch drei Tage nach der Premiere in der Volksbühne am Rudolfplatz war trotz aller Hygienemaßnahmen und Zuschauerbeschränkungen schon wieder Schluss.

Das Theater musste wegen der Auswirkungen der Corona-Pandemie komplett schließen. „Uns Darstellern ging es dabei noch recht gut“, erinnert sich Sigmund, der im Ruhrgebiet aufgewachsen ist. Für die Zeit der Produktion – das Stück sollte bis Anfang Februar aufgeführt werden – wurde das Ensemble in Kurzarbeit geschickt, aber der Lohn von Produzent Frank Blase auf 100 Prozent aufgestockt.

„Das reichte erst einmal zum Leben und zum Überleben“, sagt Sigmund, der sich selbst als „eine der krassesten Ausnahmen“ sieht, die er kenne. „Viele Kollegen auf und hinter den Bühnen sind ja komplett ins Nichts gefallen.“ Zudem hat er die Pause genutzt, um mit seinem Lebenspartner („Der ist auch Musicaldarsteller. Wir haben uns im Studium kennengelernt“) nach Köln umzuziehen – nach Deutz. „Es ist zwar nicht direkt am Rhein, aber aus dem Fenster kann ich den Dom sehen.“

„Eine Mentalität, die mir zusagte“

Die Entscheidung für Köln und gegen Hamburg oder Berlin („Da hatten wir nicht so die Verbindungen hin“) war gefallen, weil er die Stadt durch die Proben und auch durch die Inhalte des „Himmel und Kölle“-Musicals schon etwas besser kannte. Sigmund: „Ich war virtuell auf der Bühne ja oft durch Köln gelaufen, aber ich habe hier auch eine Mentalität gespürt, die mir zusagte – die offene Herzlichkeit und manchmal auch verletzende Direktheit.“

Man wisse schon, dass man im Musical-Geschäft häufig an wechselnden Bühnen beschäftigt sei und viel reisen müsse, aber „da ist man abgehärtet. Ich muss nicht da leben, wo ich arbeite“. So wohne ja Kollege Mark Weigel, der in „Himmel und Kölle“ mit jeweils unterschiedlichen Dialekten in neun Rollen schlüpft – vom Kardinal und einem FC-Fan bis hin zum genervten Taxifahrer – schon seit knapp 24 Jahren in Köln, hatte hier aber zuvor noch nie auf einer Bühne gestanden. Da sei es doch fast schon ein Geschenk als Neu-Kölner und direkt aus dem Studium kommend hier in die Berufskarriere starten zu können, auch wenn diese gleich zu Anfang Corona-bedingt erheblich ins Stottern geraten ist.

Premiere am 20. August

„Himmel und Kölle“ soll am 20. August seine erneute Premiere feiern und dann bis zum 26. Februar (Karnevalssamstag) 86-mal (jeweils Donnerstag bis Sonntag) in der Volksbühne am Rudolfplatz aufgeführt werden. Karten kosten ab 39 Euro und sind erhältlich bei Köln-Ticket, an der Theaterkasse sowie anderen Vorverkaufsstellen.

Das von Moritz Netenjakob und Dietmar Jacobs geschriebene „Himmel und Kölle“-Musical war für Sigmund mit knapp einem Dutzend Kostümwechseln schon eine richtige Herausforderung. Denn außer dem Juniorchef eines in Schieflage geratenen Fliesen-Handels und angehenden Bräutigam Mattes, den er in mehreren Szenen verkörperte, spielte Sigmund noch einen kölschen Stadtführer, einen türkischen Gast in einer Shisha-Bar, einen Domschweizer, ein Mitglied der Türkisen Funken sowie einen der Heiligen Drei Könige. „Den Balthasar habe ich aber nur hinter den Kulissen gesungen, während drei Kolleginnen auf der Bühne vor dem Dreikönigsschrein tanzten und steppten.“

Körperlich sei er derzeit „recht entspannt. Man hat ja nichts zu tun.“ Doch Sigmund hat – wie manche seiner Kollegen in der Warteschleife auf ein neues Engagement oder die Wiederaufnahme des Stückes – noch einen Zusatzjob angenommen. „Auf 450-Euro Basis in der Bäckerei Büsch.“ In deren Essener Filiale hatte er auch schon im ersten Lockdown ausgeholfen. „Ich hatte früher schon drei Jahre in der Gastronomie eines Theaters gejobbt und hätte auch eine Stelle in einem Bekleidungsgeschäft oder einer Buchhandlung angenommen. Aber die hatten ja alle zu. Die Bäckerei war dagegen auf. Und das Team in meiner Filiale war der Knaller.“

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Und so wurde der Bäcker und Backwaren-Fachverkäufer mit zu einer der größten Rollen, die er bislang gespielt habe, erzählt er und lacht. „Manchmal musste ich die Show ja auch ganz alleine schmeißen.“ Tanzen und Singen rund um Brötchen und Puddingteilchen, geht das? „Och, das lässt sich schon gut verbinden.“ Auf rutschigem Boden kann er in Turnschuhen die eine oder andere Pirouette drehen und mit seiner Bariton-Stimme laut mitsingen, wenn frühmorgens im angrenzenden Supermarkt die musikalische Hintergrundbeschallung beginnt. „Da werden die Hits der letzten Jahrzehnte aufgefrischt.

Aktueller Ohrwurm ist »Daylight in your eyes« von den No Angels. Nach dem Umzug nach Köln ist er nun abwechselnd in einer Filiale der gleichen Kette an der Berrenrather Straße in Sülz und an der Olpener Straße in Merheim untergekommen. „Bis es auf der Bühne weitergeht, backe ich halt Brötchen.“ Da habe er derzeit „keine Erwartungen, aber große Hoffnungen.“ 

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