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Politik entscheidetEndet am Montag der Streit um den Archiveinsturz in Köln?

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Stadtarchiv

Die Einsturzstelle des Stadtarchivs in Köln im März 2009

  • Rund elf Jahre ist es her, dass das Kölner Stadtarchiv eingestürzt ist.
  • Wie der „Kölner Stadt-Anzeiger“ bereits berichtete, würde die Arge der Stadt als Ausgleich für den vor elf Jahren beim Einsturz des Historischen Archivs entstandenen Schaden 600 Millionen Euro zahlen.
  • Ob der Stadtrat den Vergleich annehmen wird, entscheidet sich am Montag.

Köln – Elf Jahre, drei Monate und sechsundzwanzig Tage nach dem Einsturz des Historischen Archivs will der Stadtrat am Montag mit einem Vergleich den Streit um die Folgekosten des Unglücks beenden. In einer Sondersitzung wird die Mehrheit der Politiker einer Übereinkunft zustimmen, die Vertreter der Stadtverwaltung und der Bauunternehmen für die Nord-Süd-U-Bahn zur Vermeidung eines sich über Jahre hinziehenden Gerichtsprozesses ausgehandelt haben.

In dem Vergleich verpflichten sich Firmen, der Stadt „zum Ausgleich der finanziellen Aufwendungen“ 600 Millionen Euro zu zahlen. Außerdem müssen sie das durch den Einsturz zerstörte unfertige U-Bahn-Bauwerk auf eigene Rechnung wieder herrichten und vollenden. Zusätzlich entsteht in einem Zwischengeschoss ein 600 Quadratmeter großer Ausstellungsraum, den die Bürgerinitiative Archivkomplex gefordert hat. Mit der Übereinkunft seien sämtliche Ansprüche abgegolten, heißt es in der Beschlussvorlage. Damit steht ein wichtiges Kapitel der juristischen Aufarbeitung vor dem Abschluss.

OB Reker: „Gute Nachricht für Köln“

Oberbürgermeisterin Henriette Reker bezeichnet das Verhandlungsergebnis als „gute Nachricht für Köln“. Zwar beziffert die Verwaltung den durch den Archiveinsturz verursachten Gesamtschaden auf rund 1,3 Milliarden Euro. In Abwägung zu den Risiken eines Gerichtsverfahrens sowie eines weiteren Stillstands auf der U-Bahn-Baustelle am Waidmarkt sei der Vergleich dennoch „sehr gut annehmbar“.

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Er ermögliche einen zügigen Neustart, sagte Reker. „Nicht nur mit Blick auf den Weiterbau der wichtigen Nord-Süd-Stadtbahn und ihrer verkehrlichen Bedeutung sondern auch für das gesamte Quartier; und das tut auch dem Selbstbewusstsein dieser Stadt gut.“ 

Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ nimmt den Vergleich zum Anlass für einen Überblick über die Ursachen und die Auswirkungen des Unglück.

Das Ereignis

Am 3. März 2009 geht um 13.58 Uhr bei der Feuerwehr ein Notruf ein. Ein Bauleiter meldet einen Notfall am Waidmarkt: „Wir müssen hier alles räumen. Wir haben hier ein Riesenproblem, hier stürzen Gebäude ein.“ In diesen Sekunden dringt ein zehn Zentimeter breiter Riss die Fassade des Stadtarchivs hinauf. Auf der Severinstraße bricht der Bürgersteig ein. Mit einem Knall neigen sich das Archiv und die beiden angrenzenden Wohnhäuser zur Straße hin und sacken in sich zusammen. Zwei junge Männer, die sich zu diesem Zeitpunkt in ihren Wohnungen aufhalten, werden unter den Trümmern begraben. Die Leichen des Designstudenten Khalil G. und des Bäckerlehrlings Kevin K. werden erst Tage später gefunden.

Der Sachschaden 

Der von der Verwaltung errechnete Schaden beträgt rund 1,3 Milliarden Euro einschließlich Zinsen. Den weitaus größten Teil machen die Kosten für die Restaurierung der zerstörten Archivgüter aus. Ein unabhängiger Experte geht von 517 bis 660 Millionen Euro aus. Der Bau des neuen Archivs am Eifelwall kostet rund 80 Millionen Euro; es soll Ende des Jahres bezugsbereit sein. Hinzu kommen Ausgaben für die Bergung der Archivdokumente aus Schutt und Wasser mit Hilfe eines Spezialbauwerks in Höhe von 24 Millionen Euro, Anwalts- und Gutachterkosten von mehr als 20 Millionen Euro, sowie mehr als 13 Millionen Euro für die Arbeit der Feuerwehr.

Die Ursache

Laut Untersuchungen des Gerichtsgutachters Hans-Georg Kempfert sowie dreier Sachverständiger der Staatsanwaltschaft wurde der Einsturz durch einen Fehler beim Bau der U-Bahn verursacht. Demnach ist durch eine undichte Stelle in einer zu dem Archivgebäude hin gelegenen Stützwand Erdreich in die Baugrube gedrungen. Dadurch wurde dem Archivgebäude der Boden unter dem Fundament entzogen. Der Pfusch bei der Herstellung der Wand soll von einem Polier durch das Fälschen von Protokollen vertuscht worden sein. Die Baufirmen, eine Arbeitsgemeinschaft von Bilfinger, Wayss & Freytag sowie Züblin, halten eine andere Ursache für möglich: einen Wassereinbruch durch die Sohle der U-Bahn-Grube, ohne irgendeinen Zusammenhang mit dem Baufehler. Durch den Vergleich erübrigt sich die Klärung der gegensätzlichen Positionen.

Der Strafprozess

Das Landgericht hat zwei am U-Bahn-Bau beteiligte Männer wegen fahrlässiger Tötung zu Bewährungsstrafen verurteilt. Beide sollen ihre Kontrollpflichten vernachlässigt haben; somit hätten sie dazu beigetragen, dass der Pfusch unentdeckt blieb. Im Oktober 2018 verhängte die 10. Große Strafkammer gegen einen Bauüberwacher der KVB eine Freiheitsstrafe von acht Monaten.

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Im Februar 2019 verurteilte die 20. Große Strafkammer einen nachträglich angeklagten Oberbauleiter der Züblin AG zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr. In beiden Fällen wurde Revision eingelegt, die Urteile sind also nicht rechtskräftig. Dem Vernehmen nach befinden sich die Prozessakten derzeit bei der Bundesanwaltschaft. Sie liegen dem Bundesgerichtshof demnach noch nicht vor. Insgesamt hatte die Staatsanwaltschaft sieben Männer und eine Frau angeklagt. Einer von ihnen starb noch vor Beginn der Hauptverhandlung. Der Gesundheitszustand des Poliers, der maßgeblich für den Baufehler verantwortlich gewesen sein soll, verschlechterte sich im Verlauf der Verhandlung so stark, dass auch er von dem Prozess verschont blieb. Mittlerweile sind alle Vorwürfe verjährt.

Die U-Bahn

Die Sanierung des Bauwerks beginnt nach Angaben der KVB „vermutlich im Frühjahr/Sommer 2021“. Die Arbeiten würden „rund sechs bis sieben Jahre in Anspruch nehmen“. Die U-Bahn zwischen dem Breslauer Platz und der Marktstraße wird frühestens 2027 in Betrieb, möglicherweise erst 2028.

Das Archivgelände 

Für die Zukunft des Grundstücks an der Severinstraße gibt es noch keine genauen Pläne. Baudezernent Markus Greitemann sagte während einer Gedenkfeier zu, eine Projektgruppe einzurichten. Bürgerinitiativen fordern Mitsprache. „Künstler, Architekten und engagierte Bürger“ müssten an der Planung beteiligt werden. Unter anderem soll ein Ort des Gedenkens entstehen.  

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