Pop-RevolutionWas sich in Köln durch den Einfluss der Bläck Fööss verändert hat

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Mit der südafrikanischen Gruppe  „Ladysmith Black Mambazo“ traten die Bläck Fööss 1990 beim WDR-Folkfestival auf dem Roncalliplatz auf. 

  • 50 Jahre Bläck Fööss – mit einer Serie feiert der „Kölner Stadt-Anzeiger“ den Geburtstag der „Mutter aller kölschen Bands“.
  • Wir liefern Geschichten, Hintergründe und Auswirkungen einer einmaligen Erfolgsgeschichte.
  • Im diesem Serienteil geht es um die musikalische Entwicklung der Band und den Einfluss, den die Musiker auf Köln genommen haben.

Köln – Musikalisch beginnt die Geschichte der Bläck Fööss ganz klassisch mit einem Walzer. „Mam, schnapp dir de Pann, mir wolle Rievkooche han“. Wenn man den ehemaligen Fööss-Bassisten Hartmut Priess nach der tiefen Zäsur in der Geschichte des Kölner Karnevals befragt, die sich mit dem Start der Band verbindet, spielt er das Ganze gern mit dem Hinweis auf den „Rievkooche-Walzer“ herunter. Er spricht lieber von einer „behutsamen Weiterentwicklung“, die an Bestehendes anknüpfte. Bedenkt man jedoch, in welchem Zustand sich der Kölner Karneval in den 1970er Jahren befand, kann man es wagen, dem Fööss-Urgestein zu widersprechen.

Die Brauchtumspflege der Karnevalsfunktionäre war rückwärtsgewandt. Während in allen anderen Bereichen der Kultur Aufbruchstimmung herrschte, verweigerte der Karneval – verkrustet, fast reaktionär und bis ins Detail durchorganisiert – jede Reform. Die Beatles wurden im Rosenmontagszug als „Freistilsänger“ verspottet. Marsch und Walzer – das war das musikalische Programm des Fastelovends über Jahrhunderte. Allen Trends der internationalen Musikgeschichte hatten die Karnevalsvereine getrotzt. Es blieb in der Nachkriegszeit bei ein paar zaghaften Versuchen mit Swing-Musik.

Bläck Fööss zeigten in Köln Alternativen auf

Pop und Rock fanden nicht statt – bis die Bläck Fööss kamen. Revolutionäre wollten sie nicht sein, sonst hätte sie wohl keine Karnevalsgesellschaft engagiert. Doch in einer Zeit, wo der Karneval nicht wusste, wo er hinwollte, zeigten sie die Perspektive auf. Zur musikalischen Erneuerung kam das konsequente Bekenntnis zur kölschen Sprache in einer Zeit, in der Kölsch weitestgehend verpönt war.

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Der Kulturjournalist Walter Filz beschreibt in seinem Buch „Es ist noch Känguruschwanzsuppe da“ den Fastelovend der 1970er Jahre als einen „Karneval, der nichts mehr will, der ambitionslos, ehrgeizlos und interessenlos ist“. Sein Glanz sei nur „ein dünne Schicht aus Falschgold, die mehr und mehr abblättert und den Blick freigibt auf eine dürftige Substanz. Ist da noch was? Da ist fast nichts mehr.“ Folglich werden die Fööss bei ihm zu Rettern, die den Karneval mit der Popkultur versöhnen werden. Sie seien zum „universellen Superkleber“ geworden, der alle karnevalistischen Phänomene, restaurativ oder reflexiv, traditionskonform oder nonkonformistisch, organisiert und unorganisiert, zusammenpappen wird. „Und zwar so, wie es nur Pop kann: dehnbar, flexibel und doch reißfest und unauflöslich.“ Und weiter: „Die Entdeckung des Pop wird für den Kölner Karneval der Stein der Weisen werden.“

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In den ersten Jahren loten die Fööss aus, was geht: Auf den „Rievkooche-Walzer“ folgen „Drink doch eine met“, „De Mama kritt schon widder e Kind“ und „Leev Linda Lou“ – Pophymne, Mitsingschlager und kerniger Rock. Und auch ein Marsch ist dabei – zumindest so etwas ähnliches, denn in den Strophen von „Mer losse d’r Dom en Kölle“ wird mit Hupe und Pfeife mit der Konvention gebrochen. Und dazu gibt es einen lustigen Text, der sich als Kritik an der Stadtsanierung versteht. Das war anders als alles, was sonst so im Karneval zu hören war. Die erste Langspielplatte „Op bläcke Fööss noh Kölle“ lebt von diesen Hits der ersten Jahre, ergänzt um Stücke wie den leider vergessenen Popsong „Kumm zorück noh Kölle“. Die Pionierarbeit endet mit dem Mut machenden Fazit: Alles funktioniert, alles wird zum Hit.

Die Erfinder der kölschen Pop-Ballade

Es folgt das Meisterstück der kölschen Band: Mit der LP „Lück wie ich un Du“ erweitert sich sowohl textlich wie musikalisch der Bläck-Fööss-Kosmos und somit auch der der gesamten kölschen Musik: Die Fööss zitieren ihre musikalischen Wurzeln, den Rock und Pop der 60er Jahre, den mehrstimmigen Gesang und die typischen Gitarren-Riffs aus den frühen Jahren der Beatles. Sie covern Neil Young („Pänz, Pänz, Pänz“), spielen Dixieland-Jazz und ein bisschen Soul, erfinden die kölsche Pop-Ballade, haben keine Berührungsängste mit dem Schlager und lassen erstmals aufblitzen, was sie in all den folgenden Jahren immer wieder hinbekommen: Sie holen die weite Welt ins kleine Köln.

Bei „Wenn de Sonn schön schingk“ trifft Kölle Brasilien. Die Fööss fordern mit dem Samba nicht wie andere die steifen Jecken nervend dazu auf, Samba zu tanzen und dabei „Caramba“ zu rufen. Bei ihnen ist Samba Begleitmusik zur Erzählung, was Mam un Pap je nach Wetterlage so treiben. Das passt noch irgendwie zum Thema Karneval, aber ansonsten ist die Platte von 1974 – vielleicht mit Ausnahme von „Einmol em Johr“ – wenig karnevalskompatibel. Es ist vorbei mit der Anpassung an die Erwartungshaltung im Sitzungssaal. Es wird jetzt umgekehrt laufen. Anpassen muss sich der Sitzungskarneval.

Die nächsten beiden Alben „Bei uns doheim“ und „Links eröm, rächs eröm“ sind nach wie vor das Beste, was die kölsche Musikszene je hervorgebracht hat. Die Fööss sind nun scharfsinnige Beobachter des Alltags, gefühlvolle Begleiter des großstädtischen Lebens, witzige Geschichtenerzähler, Heimatsucher statt heimattümelnde Volksmusikanten. Und auch musikalisch geht es weiter. Dass sie stark von Bands wie Beatles, Hollies oder Kinks beeinflusst waren, die sie in ihren Vorgängerbands gecovert hatten, ist unstrittig. Im Rückblick liegt noch ein weiterer Vergleich nahe: 1973 hatte Udo Lindenberg sehr erfolgreich damit begonnen zu beweisen, dass man auch auf Deutsch Pop- und Rockmusik machen kann. Die Fööss machten das gleiche auf Kölsch. Und manche Idee der kölschen Musiker und des ihr Schaffen begleitenden Texters Hans Knipp hätte auch aus der Feder des Chefs des Panikorchesters stammen können – oder umgekehrt. „Lück, wie ich un du“ auf der „Andrea Doria“, „Rudi Ratlos“ als Geiger bei der „Damenwahl em Stammlokal“.

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Ohne Zweifel stärker als Lindenberg sind die Fööss als Weltmusikanten – offen für Einflüsse und musikalische Späße aller Art, vom kölschen Krätzje bis zum afrikanischen Chorgesang. Herausragend war Anfang der 1990er Jahre die Zusammenarbeit mit Ladysmith Black Mambazo aus Südafrika, nicht nur weil Tommy Engel und Co aus dem Stück „Hello my baby“ die fantastische Mini-Nonsens-Oper „Bütz mich“ machten. Die Fööss schlagen musikalisch Brücken in viele Länder, aber auch zu den griechischen und türkischen Einwanderern in Deutschland. Zu Rock’n’Roll, Schunkelwalzer und Disco kommen Flamenco, Salsa, Sirtaki, Mariachi-Klänge oder eine Tarantella. In den 1990er Jahren holten sie die „Schäl Sick Brass Band“ auf die Bühne und schafften Verbindungen zur immer bunter werdenden Kölner Weltmusikszene. Wenn auch nicht aus jeder Kooperation eine Perle für die Ewigkeit wurde: Die Zusammenarbeit mit dem Rapper Daddy Dee hat dazu geführt, dass bis heute in jedem Saal zu viele Menschen „Zick, Zick eröm“ in den Refrain von „Drink doch eine met“ reinbrüllen.

Die Sprache und das „Jeföhl“ zur Stadt machen den Unterschied

Das Besondere an einer Fööss-Platte war ihre unglaubliche musikalische Vielfalt. So konnte jeder etwas für seinen ganz persönlichen Geschmack finden. Und weil alles so gekonnt eingespielt und eingesungen war, hörte er auch bei den Liedern zu, die es sonst nicht in die private Plattensammlung geschafft hätten. Mit der Liedauswahl einer guten Fööss-Platte lässt sich das Phänomen erklären, das bis heute das Typische für die kölsche Musikszene ist: Es gibt nicht wie in anderen Regionen der Welt einen prägenden Stil für die dort beheimatete Volksmusik.

Für kölsche Musik ist seit den 1970er Jahren die Vielfalt stilbildend. Das Verbindende ist die Sprache, vielleicht ein besonderes „Jeföhl“ zur Stadt, dem Rheinland und den Menschen dort, mit Sicherheit aber die Verbindung zu einer großen Tradition. Folglich gehören die Interpretationen alter kölscher Lieder zu den schönsten Ergebnissen des Schaffens der Fööss. Sie haben alte Schätzchen von Willi Ostermann, Karl Berbuer und Co mit Respekt und Liebe interpretiert, aber auch in die popmusikalische Gegenwart geholt.

So wird die kölsche Musik nicht nur zu einem generationenverbindenden und identitätsstiftenden „Superkleber“. Sie macht es auch möglich, dass ein Heavy-Metal-Fan mit einem Schlagerfreund gemeinsam singen und feiern kann. Das ist wahrscheinlich tatsächlich weltweit einmalig.

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