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PorträtDer Nachtwächter des Kölner Doms

Lesezeit 6 Minuten
Wenn der letzte Besucher das Gotteshaus verlassen hat, übernimmt Günter Brodka. Der Domschweizer liebt die Stille und die meditative Stimmung.

Wenn der letzte Besucher das Gotteshaus verlassen hat, übernimmt Günter Brodka. Der Domschweizer liebt die Stille und die meditative Stimmung.

Köln – Stille. Nur der Wind rauscht hoch oben um das Gewölbe. Die Äste der Bäume im Sturm zeichnen wilde Schatten auf das Fenster des Westportals. Die letzten der bis zu 30.000 Besucher täglich sind schon vor Stunden gegangen. Und mit ihnen der Lärm und das Gewusel, die Fotoapparate der Touristen und die Gebete der Gläubigen. Die Stille ist wie ein Durchatmen, bevor es am nächsten Tag von vorne losgeht.

Plötzlich ein Kratzen und Schaben, das von den Pfeilern widerhallt. Günter Brodka hat sich an den Kerzen vor der Schmuckmadonna zu schaffen gemacht. Mit einem Spachtel kratzt er die Wachsreste aus den Gestellen. Zwei bis drei Stunden wird er damit beschäftigt sein. Eine Million Kerzen, die Brodka und die anderen Nachtwächter jedes Jahr entsorgen.

Das geliebte Gotteshaus

Dunkel ist es jetzt im Dom. Aus den Chorkapellen sickert die Schwärze. Nur die Marienkapelle mit dem Altar der Stadtpatrone ist hell erleuchtet – wie jede Nacht. Der 59-Jährige mit seinem Spachtel geht systematisch vor, zügig, aber ohne Eile. Andere würden verrückt darüber. 

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Für ihn ist es mehr Meditation als Arbeit. Ein Dienst an dem Gotteshaus, das er liebt. Von den elektrischen Kerzen, die mittlerweile in vielen Kirchen üblich sind, hält er nichts. „Ich bin stolz darauf, etwas für den Dom tun zu können.“

So wie Günter Brodka bekommt kaum jemand einmal Kölns Wahrzeichen zu sehen. Die ganze Nacht, von abends halb acht bis morgens um sechs Uhr, dauert seine Schicht. In dieser Zeit dreht er als Nachtwächter seine Runden, lediglich begleitet von einem Kollegen eines externen Sicherheitsdienstes. „So ist der Dom nie allein“, sagt Brodka. Und er hat den Dom so, wie er ihn am liebsten mag: ganz für sich. 

„Angst muss man nur vor den Lebenden haben“

Das ist nicht jedermanns Sache. „Viele finden das unheimlich. Man hört Geräusche, die man sonst gar nicht wahrnimmt: das Knacken einer Holzbank, ein Fenster, das irgendwo hoch oben zuschlägt. Manche denken dann an Geister.“ Brodka erinnert sich an einen Wachmann, der vor lauter Schreck einen Halb-Meter-Satz machte, als plötzlich die Domuhr schlug. Für den 59-Jährigen ist es dagegen ein Traumjob. Als vor eineinhalb Jahren ein Domschweizer für die Nacht gesucht wurde, hat er sich sofort beworben. „Angst muss man nur vor den Lebenden haben, nicht vor den Toten“, findet er.

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Auf seiner ersten Runde an diesem Abend hat Brodka, wie immer zu Beginn des Dienstes, überprüft, ob sich tatsächlich niemand mehr im Dom befindet. Mit einem großen Messingschlüssel hat er kontrolliert, ob die Türen ordnungsgemäß verschlossen sind. Er hat in die dunklen Ecken hinter den Altären geschaut und mit seiner Taschenlampe den Abgang zur Domgrabung hinunter geleuchtet.

Im vergangenen Jahr entdeckte ein Kollege bei der Gelegenheit drei Männer, die sich hinter einer Drehtür versteckt hatten. Für solche Fälle hat Brodka ein Notfalltelefon in der Westentasche. Bislang hat er es erst einmal gebraucht. Damals hatte jemand versucht, eines der kostbaren Fenster einzuschlagen. Ein Organist war gerade bei der Probe, und nur durch Zufall hörte Brodka in einer Spielpause das Krachen der Schläge.

Wächter des Doms

So manchen, der den Dom zur Unzeit besuchen wollte, hat er auf eigene Faust in die Flucht geschlagen: In einer Nacht etwa belauschte er zwei Männer, die sich an einem der Portale zu schaffen machten. „Ich habe mich von innen angeschlichen und dann heftig an der Türklinke gerüttelt“, erzählt er schmunzelnd. Wie die Hasen seien die beiden davon gelaufen. Zur Sicherheit sei der Dom aber auch über eine Alarmanlage direkt mit Polizei und Feuerwehr verbunden.

Immer wieder macht Brodka im Laufe der Nacht seine Gänge. Er rückt Bänke gerade, füllt das Weihwasserbecken auf, räumt das Kerzenlager auf, entsorgt verwelkte Blumen und sammelt Fundstücke und Müll ein: Papier, gebrauchte Taschentücher und sogar Essensreste. „Dabei ist Essen hier verboten. Die Menschen haben immer weniger Respekt vor dem Dom“, findet er.

Karnevalisten und Heilige Drei Könige

Oft hat er auch Sonderaufgaben: Für den Gottesdienst der Karnevalisten etwa hat er schon am Vorabend die Stühle aufgestellt, auch für Heilige Drei Könige muss der Dom besonders vorbereitet werden. Dann kommen auch die Goldschmiede der Dombauhütte, um den Schrein zu öffnen. Kürzlich musste er hoch auf den Vierungsturm, weil es durchregnete.

Einem der Geistlichen war während der Eucharistiefeier Wasser in den Weinkelch getropft. Wenn abends noch ein Konzert oder eine Führung stattfindet, wirft Brodka die rote Robe der Domschweizer über, ansonsten ist er mit praktischer Arbeitskleidung unterwegs.

Zeit für einen Kaffee

So wie an diesem Abend, der so ruhig ist wie selten einer. Zeit für Brodka, sich in der Schweizerstube im dritten Stock einen Kaffee zu kochen. Oder zu fotografieren. Auf seinem Handy hat er ein Bild seiner Lieblingsansicht gespeichert: das Richter-Fenster, wenn der Vollmond durchscheint und die Farben zum Glimmern bringt.

Oder er setzt sich in eine der Bänke, um zu lesen. Er liebt die Geschichten, die sich um den Dom ranken: Wie die vom Teufelsstein, der vor langer Zeit durch das Gebälk krachte und den Schrein der Heiligen Drei Könige nur knapp verfehlte. Ein lateinische Inschrift im Chor erinnert noch daran.

Zeit für sich

Manchmal sitzt Brodka auch einfach nur unter dem 44 Meter hohen Gewölbe und hängt seinen Gedanken nach. „Ich habe Jahrzehnte im Versand des »Kölner Stadt-Anzeiger« gearbeitet, eine Familie gegründet, zwei Kinder großgezogen. Ich hatte nie Zeit. Jetzt endlich kann ich mich auch auf mich besinnen.“ Seine Religiosität ist ihm im Laufe der Jahre immer wichtiger geworden. Ohne Glauben macht das Leben keinen Sinn, davon ist er überzeugt. „Wer nicht glaubt, ist blind für das Leben. Und blind für den Dom.“

Besonders stimmungsvoll wird es, wenn einer der Organisten abends zum Proben vorbeikommt. Dann dürfen er und die anderen Nachtwächter sich oft etwas wünschen. Oder es werden Stücke gespielt, die sonst nie in einer Kirche zu hören sind. Zum Beispiel die Filmmusik vom „Paten“. Als ein Kollege kürzlich Geburtstag hatte, gab es um Mitternacht ein Ständchen. Nur wenn der Orgelstimmer kommt, holt Brodka seine Ohrstöpsel aus der Tasche.

Der Nachtwächter und der Dom – zumindest in seinem Fall ist das wohl eine Beziehung für die Ewigkeit. Schon sein Ururgroßvater hat am Dom gearbeitet und ist beim Bau der Türme abgestürzt. Günter Brodka selbst hat bei einer Tombola einen der Sterne gewonnen, die sonst im Rahmen des Projekts „11 000 Sterne für den Kölner Dom“ gegen eine Spende vergeben werden. Eingraviert in den Stern wird sein Name und der seiner Familie noch in Hunderten von Jahren zu lesen sein.

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