„In Porz muss man für alles kämpfen“Simin Fakhim-Haschemi ist Ärztin und Aktivistin

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Simin Fakhim-Haschemi 

  • Im Interview spricht Simin Fakhim-Haschemi über die vielen Probleme des Bezirks und wie Bürgervereine an Lösungen mitwirken können, wenn sie ihre Kräfte bündeln.
  • "Manchmal habe ich das Gefühl: Die Kölner wollen uns gar nicht", sagt Fakhim-Haschemi, Tochter eines deutsch-iranischen Ehepaars.
  • Als Kinder- und Jugendärztin besorgt sie derzeit vor allem, dass junge Menschen aus benachteiligten Vierteln durch die Pandemie den Anschluss verlieren.

Frau Fakhim-Haschemi, als eine der beiden Sprecher der Vernetzung Porzer Bürgervereine wünschen Sie sich seit langem mehr städtische Beachtung für den Stadtbezirk. Zuletzt standen diverse Porzer Stadtteile im Fokus – wegen der extrem hohen Corona-Inzidenzen. Das war sicher nicht die Aufmerksamkeit, die Sie sich gewünscht haben. Simin Fakhim-Haschemi: Ich wünsche mir, dass Porzer Ortsteile wie Finkenberg oder Gremberghoven nicht nur in Negativschlagzeilen auftauchen, sondern dass dort Gutes geschieht. Daran arbeiten die Bürgervereine und auch die Porzer Politik. Aber es müsste viel mehr geschehen.

Woran denken Sie? Als Kinder- und Jugendärztin sehe ich, wie perspektivlos viele der jungen Menschen aus benachteiligten Vierteln aufwachsen. In beengten Wohnungen, ohne gute Bildungsmöglichkeiten, mit ungesundem Essen, zum Teil schon in dritter Generation von Arbeitslosigkeit und Aussichtslosigkeit betroffen. Familien, die zuhause keinen Platz haben, gehen auch in der Pandemie nach draußen. Da ist es kein Wunder, dass die Ansteckungsrate so hoch ist. Impfaktionen in besonders betroffenen Vierteln sind gut, aber damit darf es nicht genug sein.

Wie könnte wirksame Hilfe aussehen? Die Arbeit der Sozialraumkoordinatoren, die Hilfsangebote zusammenführen und begleiten, ist ein guter Ansatz, reicht aber nicht aus. Es schmerzt zu sehen, wie viele Kinder einfach dadurch von ihrer Zukunft abgehängt werden, dass sie zuhause wenig Unterstützung und keine digitalen Möglichkeiten zum Lernen haben. Bildung ist der Schlüssel zur Integration, das ist mir sehr wichtig.

Macht sich das in Ihrer Arztpraxis bemerkbar? Auf dramatische Weise. Ich sehe Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund, die in den Wochen ohne Kita- und Schulbesuch ihr vorher ordentliches Deutsch vergessen haben. Ich sehe Schulkinder, die am Digitalunterricht nicht teilnehmen, weil sie keinen Computer oder Laptop nutzen können. Wie sollen sie diese Defizite je aufholen? Und ich sehe erschreckend viele Kinder mit so starkem Übergewicht, dass sie schon Diabetes oder Gelenkprobleme entwickeln.

Die Unterstützung müsste also in den Familien beginnen? Genau. Damit nicht eine ganze Generation abgehängt wird, müsste Geld fließen, um die digitale Ausstattung voranzutreiben. Und es müsste einen geregelten Besuchsdienst geben, Menschen, die in die Familien kommen, um beispielsweise beim Lernen zu helfen. Das passiert aber nicht, auf die benachteiligten Stadtteile wird in Köln eben weniger achtgegeben.

Wie meinen Sie das? Wenn gesellschaftliche Defizite in Lindenthal oder Ehrenfeld auftreten, gibt es dort mehr Menschen mit Einfluss und dem nötigen Selbstbewusstsein, die für Veränderungen Druck machen. In sozial schwachen Vierteln ist das nicht der Fall. Und Porzer Politiker können sich mit Forderungen für ihren Stadtbezirk im Kölner Rat oftmals nicht durchsetzen.

Hier kommen die Porzer Bürgervereine ins Spiel. Nicht umsonst haben die Bürgervereine in den vergangenen zehn Jahren eine solche Bedeutung erlangt und vor allem durch die Vernetzung über den gesamten Stadtbezirk an Einfluss gewonnen. Wir vertreten eine sehr große Zahl von Menschen, haben in unseren Themen erheblichen Sachverstand erworben und bleiben konsequent am Ball.

Für welche Themen vorrangig?

Für die Lösung der Verkehrsprobleme – eine Entlastung entlang der Rheinschiene, die Verknüpfung der Stadtbahnlinie 7 mit der künftigen Straßenbahnverbindung im Rhein-Sieg-Kreis bis Lülsdorf und eine Busverbindung über die Rodenkirchener Brücke. Wir engagieren uns für eine gute Führung aktueller Projekte, arbeiten mit dem Bündnis für Porz-Mitte an der bürgernahen Gestaltung der Neuen Mitte Porz. Wir sind aktiv für Bildung und soziale Aufgaben. Das ist mit viel Arbeit verbunden – in Porz muss man für alles kämpfen.

Dieses Engagement haben Ihnen gewählte Politiker auch schon übelgenommen und Konkurrenz gewittert. 

Konkurrenz ist nicht unsere Absicht, wir sollten uns vielmehr ergänzen, um mehr zu erreichen. Weil die Vernetzung der Bürgervereine sich nicht um alle politischen Angelegenheiten kümmern will und muss, können wir bei „unseren“ Themen punkten. Es ist ein großer Schritt im Kampf gegen Müll und Dreck, dass wir nicht nur mit Putzmunter-Einsätzen in den Veedeln aktiv sind, sondern auch die Oberaufsicht der Abfallwirtschaftsbetriebe an Ort und Stelle auf Dauerprobleme aufmerksam machen konnten. Dieses Zuständigkeits-Wirrwarr bei Reinigungsaufgaben, zum Beispiel. Es kann doch nicht Aufgabe der Bürger sein, bei Müllproblemen zu ermitteln, wer in der Verwaltung wo und wofür zuständig sein könnte.

In einer Millionenstadt sind Verwaltungswege oft weit. Wünschen Sie sich die Porzer Selbstständigkeit zurück? Ein kleineres Gemeinwesen hat natürlich Vorteile, da könnte manches über den kleinen Dienstweg gelöst werden. Aber seit den 1970er Jahren haben sich auch die Zeiten sehr geändert. Wie im alten Porz würde das Leben hier auch unabhängig von Köln nicht mehr laufen. Von der Kölner Stadtspitze und Verwaltung wünsche ich mir dennoch mehr Unterstützung für den rechtsrheinischen Süden. Das Trennende in der Beziehung Porz/ Köln geht aus meiner Sicht nicht vorrangig von Porz aus. Manchmal habe ich das Gefühl: Die Kölner wollen uns gar nicht.

Trotz der Widerstände hat die Vernetzung der Bürgervereine schon einiges erreicht. Worauf sind Sie stolz? Auf das Geschwindigkeitskontrollsystem, das wir mit langem Atem durchgesetzt und ohne städtische Mittel angeschafft haben. Mein Vorstandskollege Hans Baedorf und ich installieren das seit Jahren alle vier Wochen an neuen Orten – es erhöht die Sicherheit. Auf Verschönerungsaktionen, damit Porz auch seine vielen guten Seiten zeigen kann. Und darauf, dass unsere Arbeit inzwischen deutlich wahrgenommen wird.

Wie zeigt sich das? Durch unsere enge Zusammenarbeit haben wir Respekt gewonnen. Es passiert nicht mehr so oft, dass die Verwaltung dem Vertreter des einen Bürgervereins dies und dem nächsten etwas anderes erzählt. Wir können Porzer Dauerthemen voranbringen, bei denen es – wie bei der Verkehrsentlastung – seit Jahrzehnten einfach nicht weiter geht. Weil wir politisch unabhängig arbeiten, werden wir nicht von Parteivorgaben eingeschränkt. Zu unserem sehr gut vorbereiteten Runden Tisch in Sachen Verkehrspolitik sind vor fünf Jahren Fachleute gekommen, die Parteien zuvor so nicht gemeinsam an den Tisch bekommen hatten. Seither schätzt man die Arbeit der Vernetzung auch in Gremien des Landes und des Bundes – bei neuen Anfragen hilft das enorm.

Hat Ihr Einsatz für die Schwächeren in Stadtteilen mit hohem Migrationsanteil mit Ihrer eigenen Lebensgeschichte als sehr gut integrierte Tochter eines iranisch-stämmigen Porzer Arztes zu tun? Natürlich! Meine Schwestern und ich wurden sehr liberal erzogen und mir persönlich ist hier nie Fremdenfeindlichkeit begegnet. Diese Offenheit ist eine der ganz großen Stärken von Porz. Ich wünsche mir sehr, dass auch Kinder aus weniger privilegierten Familien hier eine gute Zukunft finden, dafür lohnt sich der intensive Einsatz.

Das klingt jetzt sehr politisch. Haben Sie mal daran gedacht, in die Politik zu gehen? Tatsächlich haben schon mehrere Parteien mit dieser Frage bei mir angeklopft. Aber nach reiflicher Überlegung habe ich das abgelehnt. In der Unabhängigkeit der vernetzten Bürgervereine und mit dem hoch engagierten Team können wir einen eigenen, durchaus streitbaren Weg gehen. Wenn dieser Kampfgeist dem einen oder anderen in Politik und Verwaltung Angst macht, ist das vielleicht gar nicht so schlecht.

Das Gespräch führten Beatrix Lampe und Peter Limbach

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