Die Brennnessel – bestechend nützlich

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Pädagogin Agnes Meyer kennt sich mit Wildkräutern aus (Bild l.). Selbst erforschen und probieren erwünscht: Agnes Meyer (rechts) mit interessierten Teilnehmern.

Pädagogin Agnes Meyer kennt sich mit Wildkräutern aus (Bild l.). Selbst erforschen und probieren erwünscht: Agnes Meyer (rechts) mit interessierten Teilnehmern.

Porz – Von Unkraut kann eigentlich keine Rede sein. Auf Wiesen, Ackerflächen und im Wald entzücken Wildkräuter oft durch ihre hübsche Gestalt – nur in Rasenflächen und Beeten werden sie nicht gern gesehen und mit dem abwertenden Begriff bedacht. Dabei haben sie ein großes Potenzial bei der Verwendung in der Kräuterküche und Kräuterheilkunde – mitunter sind sie sogar „Zauberpflanzen“ und haben in früherer Zeit angeblich vor Blitzeinschlag und ähnlichem Ungemach geschützt. Was es mit den einzelnen Wildkräutern, ihren Nutzungsmöglichkeiten und ihrer Geschichte auf sich hat, erzählt Agnes Meyer auf ihrer Exkursion „Essbare Wildpflanzen – Delikatessen am Wegesrand“.

Erst vor kurzem hat sie ihre Ausbildung zur Kräuterpädagogin an der Gundermann-Naturerlebnisschule erfolgreich beendet und führt nun die etwa 15 interessierten Spaziergänger auf dem Gelände um Gut Leidenhausen von einem Wildkraut zum nächsten. Begeisterte Köchinnen wie Birgit Fink und Sigrid Becker profitieren von ihrem Wissen über die kulinarischen Verwendungsmöglichkeiten, Barbara Schmitz will sich im Erkennen und Benennen der Pflanzen üben. „Wie oft gehe ich spazieren und weiß nicht, was am Wegesrand steht. Das ärgert mich einfach.“

Schon bei der ersten Station, dem in voller Sonne gedeihenden Spitzwegerich, hält Agnes Meyer eine beeindruckende Fülle an Informationen bereit, erklärt Erkennungsmerkmale, spricht über Essbarkeit und Geschmack der weit verbreiteten Pflanze. Selbst als Champignonersatz eignet sich das eher unscheinbare Kraut; in einem Süppchen püriert, merke kein Mensch den Unterschied zum Pilz. In Salaten entfaltet es seinen typischen Geschmack, im Anschluss an die Exkursion werden die Teilnehmer mit den Blättern des Spitzwegerich und anderer selbstgepflückter Kräuter Quark, Pesto und eine Süßspeise zubereiten. Bärlauch ist den meisten als speisetauglich bekannt, bringt er doch jedes Frühjahr die Fans des nach Knoblauch duftenden Gewächses in euphorische Stimmung und lässt mit Körben ausgestattete Feinschmecker in die schattigen Bärlauch-Gründe ausschwärmen. Erlaubt sei aber nur, eine Handvoll für den eigenen Bedarf mitzunehmen, erklärt die Expertin; auf Privatbesitz, zu dem auch viele Ackerflächen gehören, solle der Sammler im Zweifelsfall um Erlaubnis fragen.

Auch aus den Blütenständen der Brennnessel lässt sich Köstliches machen.

Auch aus den Blütenständen der Brennnessel lässt sich Köstliches machen.

So einfach wie gedacht gestaltet sich die Beschaffung der Mineralstoff- und Vitaminlieferanten ohnehin nicht. Wer Beinwell & Co in freier Wildbahn „erbeuten“ will, muss einiges bedenken. Besonders Feldränder sind für die Wildkräuterernte ungeeignet, da sie oft durch Pestizide belastet sind. Weil die Peripherie landwirtschaftlich genutzter Flächen meist von Mähaktionen verschont bleibt, lagern sich die giftigen Stoffe dort längerfristig ab. „Am sichersten ist die Ernte im eigenen Garten“, gibt Agnes Meyer zu bedenken.

Für den Verzehr der Schafgarbe empfiehlt sie die zarten jungen Blättchen. Wegen des intensiven Geschmacks wandern aber nur kleine Mengen in die Salatschüssel. Als Zauberpflanze in allen Kulturen bekannt, ist die Schafgarbe in China zum „Orakeln“ genutzt worden. Auch der Gundermann hat einen eindeutigen Ruf in der Zauberei. Ein Kränzchen davon auf dem Dach sollte die Hausbewohner vor Blitzeinschlag bewahren. Aufgrund seines hohen Gehalts an ätherischen Ölen machte er Milch länger haltbar. Heute wird der frühzeitliche Blitzableiter und Konservierungshelfer gern in der Gewürzküche verwendet.

Eine der vielseitigsten Pflanzen unter den Wildkräutern ist die Brennnessel. Die „Zeigerpflanze“ weist auf einen hohen Stickstoffgehalt im Boden hin, in Form von Tee hat sie eine stark entwässernde Wirkung. Ihre Stängel enthalten Fasern für die früher geläufigen Nesselstoffe, im Kampf gegen Unwetter „bewies“ sie ihre Zauberkraft. Deutlich effektiver als Spinat setzt das widerborstige Gewächs seinen Eisengehalt im menschlichen Körper frei, in der Nachkriegszeit leistete es als Spinatersatz gute Dienste – selbst roh ist die Brennnessel genießbar. Allerdings macht der Verzehr in ungekochtem Zustand eine Vorbehandlung der Blätter unumgänglich. „Man kann mit dem Nudelholz drüber gehen, wenn man sie roh essen will“, erklärt Agnes Meyer.

Pädagogin Agnes Meyer kennt sich mit Wildkräutern aus (Bild l.). Selbst erforschen und probieren erwünscht: Agnes Meyer (rechts) mit interessierten Teilnehmern.

Pädagogin Agnes Meyer kennt sich mit Wildkräutern aus (Bild l.). Selbst erforschen und probieren erwünscht: Agnes Meyer (rechts) mit interessierten Teilnehmern.

Für den unmittelbaren Genuss hat sie einen einfachen, aber wirkungsvollen Tipp parat: „Zur Spitze hin ausstreichen, falten, zusammenrollen und essen!“ Dann bleibt die schmerzhafte Begegnung mit den Nesselhärchen an der Blattunterseite aus, der die Brennnessel ihren Namen verdankt.

Trotz aller Begeisterung für die essbaren Wildkräuter, deren Gehalt an Inhaltsstoffen dem gezüchteter Pflanzen weit überlegen ist, rät Agnes Meyer zum vorsichtigen Einstieg in die Materie. Wer plötzlich intensiv auf die gesunde Alternative umsteigt, kann sein Verdauungssystem überfordern. Schwangere dürfen viele der hochpotenten Superfoods gar nicht zu sich nehmen – mitunter lösen sie Kontraktionen aus.

Barbara Schmitz

Abwechslungsreiches Programm

Ab September 2019 bis September 2020 führt die Gundermann-Naturerlebnisschule den Qualifizierungskurs zum Kräuterpädagogen auf Gut Leidenhausen durch. An elf zweitägigen Wochenendseminaren werden Themen wie botanisches Grundlagenwissen, Artenkenntnis, Pädagogik, Medienarbeit und Rechtskunde behandelt. Weitere Informationen gibt es im Internet.

www.gundermannschule.com www.kraeuter-akademie.com Die nächste Exkursion „Essbare Wildpflanzen – Delikatessen am Wegesrand“ findet am heutigen Dienstag, 20. August, von 17.30 Uhr bis 20.30 Uhr statt. Treffpunkt ist die Linde im Innenhof des Gut Leidenhausen. Weitere Informationen sind telefonisch (02203/35 76 51) oder im Internet erhältlich. Anmeldungen erfolgen per E-Mail.

info@gut-leidenhausen.de www.gut-leidenhausen.de Wer sich für Fledermäuse interessiert, kann ihren Spuren am Freitag, 23. August, von 20 Uhr bis 22 Uhr folgen. Mit Fledermausdetektor und Taschenlampe ausgestattet, führt Susanne Roer durch die Wanderung auf und um Gut Leidenhausen. Informationen und Anmeldung genau wie oben. (clm)

Agnes Meyer über den Verzehr von Brennnesseln

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