Die reisefreudige Hornmilbe

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Martin Becker erklärt, wie Grüne Gentechnik 2.0 funktioniert – anhand eines nicht ganz ernst gemeinten Beispiels.

Martin Becker erklärt, wie Grüne Gentechnik 2.0 funktioniert – anhand eines nicht ganz ernst gemeinten Beispiels.

Mülheim –  Die junge Wissenschaftlerin Meike Schuppenhauer steht auf der Bühne im Gebäude 9 und zeigt mit einem Lächeln auf die Leinwand hinter sich: Die Biologin, wie sie eine Anglerhose anzieht, wie sie sich mit einem Spagat für ihre Forschung aufwärmt. Die Biologin, wie sie fröhlich in einem Bach steht und mit einem Kescher versucht, Milben zu fangen. Schuppenhauer ist eine von sechs jungen Wissenschaftlern an diesem Abend, die beim 38. Kölner Science Slam ihre Forschungsprojekte vor Publikum vorstellen – und das möglichst interessant. Ähnlich wie beim Poetry Slam haben die Slammer jeweils zehn Minuten Zeit, den Zuschauern ihre Projekte näherzubringen. Der einzige Unterschied: Hilfsmittel wie PowerPoint-Präsentationen, Requisiten und Live-Experimente sind ausdrücklich erlaubt. Komplexe Themen sollen die Forscher möglichst kompakt, knackig und trotzdem wissenschaftlich korrekt vorstellen. Nach jedem Vortrag darf das Publikum zwei Minuten untereinander diskutieren und Punkte vergeben. Gewinner ist, wer am Ende des Abends die meisten erhält.

Schuppenhauer darf als erstes auf die Bühne und das Thema ihrer Doktorarbeit vorstellen: Hornmilben. Die Reihenfolge hatte Moderator Andreas Maier zuvor zufällig auslosen lassen. Anders als andere Milbenarten gehören die Hornmilben eigentlich zu den Guten, findet Schuppenhauer. Sie ernähren sich von Pilzen im Boden und machen ihn im Anschluss wieder fruchtbar. In ihrer Arbeit wollte Schuppenhauer herausfinden, wie schnell sich die Tierchen mit Hilfe von Fließgewässern fortbewegen können. Ein Jahr lang hat sie täglich beobachtet, wie weit die Hornmilben im Wasser kommen. Insgesamt 3000 Kilometer legten sie zurück, was einer Strecke von Köln nach Grönland entspricht. Nach ihrem Vortrag diskutieren die Zuschauer lautstark: Wie viele Punkte soll die Biologin bekommen? Genau das, was die Organisatoren des Science Slams erreichen wollen. „Es geht um Wissenschaftskommunikation“, betont Moderator Maier. Das Publikum solle etwas lernen und sich miteinander über Wissenschaft unterhalten. Schließlich erhält Schuppenhauer 75 von 100 möglichen Punkten. Ganz ähnlich schneidet Bauingenieur David Jawork ab, der sich an der RWTH Aachen näher mit Gorillaglas beschäftigt hat. Locker erklärt er vor ausverkauftem Haus, wie verschiedene Ionen ausgetauscht werden und beispielsweise das Handydisplay stabiler machen.

Teilnehmer Dominik Kozanda hingegen spricht von Mehrsprachigkeit und Lispeln. Wissenschaftler Martin Becker vergleicht Gentechnik 2.0 in seinem Vortrag mit einem Sniper, der nur zielgerichtet Gene ausschalte ohne unerwünschte Nebenwirkungen auszulösen und Harshita Kaul referiert zur Altersforschung an Mäusen.

Das Ziel der Veranstalter ist erreicht: Wissenschaft verständlich machen. Viele müssten Organisatorin Janina Gellenbeck zufolge noch lernen, ihre Erkenntnisse für die Gesellschaft zugänglich zu machen. Einen Tipp hat Gellenbeck allerdings: „Es geht ums Geschichten erzählen.“ Es helfe ungemein, sich in die Situation der Zuhörer zu versetzen und die Forschungsgebiete anhand alltäglicher Dinge zu erklären.

Das hat wohl die Siegerin des Abends, Shambhavi Priyam, besonders gut verstanden. Die Sozialökonomin arbeitet an einem Feldexperiment in Indien, um mit Hilfe von sozialen Normen auf die Gefahr von Arsen im Grundwasser hinzuweisen. Ist etwas erst als soziale Norm in der eigenen Umgebung verankert, hielten sich die Menschen eher daran. Auch in Zeiten von Corona sei dieser Effekt zu beobachten. „Jetzt, wo alle sich die Hände waschen, mache ich das auch. Früher habe ich das nicht gemacht“, scherzt die Forscherin auf Englisch. Sie hofft, mit einem Video auf die Gefahr von Arsen im Grundwasser aufmerksam machen zu können und will untersuchen, wann die Menschen vor Ort es am ehesten auch wirklich nicht mehr trinken.

Priyam brachte gleich eine Idee mit, wie sie am besten Informationen über Arsen vermitteln könnte. Sie sang ihre eigene Version des Pop-Klassikers „Toxic“ von Britney Spears. Damit schien die Siegerin des Abends einen Nerv der Zuschauer getroffen zu haben. Ganze 91 Punkte gab es für den Auftritt.

Janina Gellenbeck,

Organisatorin

Meike Schuppenhauer vor einem vergrößerten Bild ihres Forschungsobjekts: der Hornmilbe. Fotos: Lisa Oder

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