DLR in Köln sucht Teilnehmer60 Tage liegen für 16.500 Euro Entschädigung

Lesezeit 5 Minuten
Ein Probandin liegt in einer speziellen Position in einem Bett des DLR.

Ein Probandin liegt in einer speziellen Position in einem Bett des DLR.

  • Eine Studie des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Köln-Porz soll Erkenntnisse liefern, die die Zukunft der Raumfahrt bestimmen könnten.
  • An zwölf Probanden wird die Langzeitschwerelosigkeit simuliert. Dafür gibt es eine Entschädigung.
  • Für September werden noch Teilnehmer gesucht. Doch die Kriterien sind streng: Die meisten Interessenten muss das DLR ablehnen.

Köln – Mal ehrlich: Wochenlang im Bett liegen können und dafür auch noch bezahlt werden – klingt verlockend, vielleicht gar traumhaft. In Köln macht diesen Traum eine Studie des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) möglich. Sie soll Erkenntnisse liefern, die die Zukunft der Raumfahrt bestimmen könnten. Doch es lohnt der Blick ins Kleingedruckte.

Einen Moment brauchen die Augen, bis sie sich an das Licht an der Decke gewöhnt haben. Blut strömt pochend aus den Beinen in den Kopf, nach einigen Minuten beginnen die Schultern zu schmerzen. Um ganze sechs Grad ist das mit einem grauen Laken bespannte Krankenhausbett zum Kopf hin gekippt.

60 Tage in Kopftieflage in Köln-Porz

So verbringen die Probanden der sogenannten Agbresa-Studie 60 Tage in Kopftieflage in einem hellen, modern anmutenden Gebäude des stacheldrahtumzäunten DLR-Geländes. Ohne Kopfkissen, ohne Besuch von Freunden und Familie. Mindestens eine Schulter muss immer das Bett berühren, Beine aufstellen ist nicht erlaubt.

„Nach zwei Tagen hat man sich daran gewöhnt“, sagt Edwin Mulder, 44 Jahre alt, Hemd, Sakko, niederländischer Akzent. Er leitet die Bettruhe-Studien des DLR, die in sozialen Netzwerken immer wieder für Aufsehen gesorgt haben – vor allem wohl deshalb, weil die Forscher für die Teilnahme aktuell eine Aufwandsentschädigung in Höhe von 16.500 Euro ausloben.

Edwin Mulder leitet die Studie des DLR.

Edwin Mulder leitet die Studie des DLR.

Schon einige Male haben die Forscher in Köln solche Studien durchgeführt, die Versuchsanordnung über Jahre dabei im Detail immer wieder verändert, je nach wissenschaftlichem Schwerpunkt. Es ist Forschung, deren Ergebnisse wohl auch darüber entscheiden könnten, wie lange Astronauten in Zukunft im Weltall verbringen, wie tief sie also in bisher unentdeckte Gebiete vordringen können.

„Mit der Bettruhe-Studie können wir relativ genau die Schwerelosigkeit im All für den Körper simulieren und versuchen so, mögliche Gegenmaßnahmen gegen ihre negativen Effekte – zum Beispiel den Muskelabbau im All – zu finden“, sagt Mulder. Er spricht von einer „Monsterstudie“: 150 Experimente muss jeder Teilnehmer über sich ergehen lassen, 650 Stunden sind dafür insgesamt vorgesehen.

Gerade erst ist die Studie, an der auch die US-amerikanische Raumfahrtbehörde Nasa und die europäische Weltraumorganisation Esa mitwirken, wieder in eine neue Runde gegangen. Jetzt liegen wieder zwölf Probanden in den Betten – acht Männer und vier Frauen im Alter zwischen 24 und 54.

Studienteilnehmer träumten vom Weltraum

„Mindestens die Hälfte unserer Studienteilnehmer wollte schon als Kind Astronaut werden. Sie finden das Thema hyperinteressant, doch wissen sie, dass sie ihren Kindheitstraum nie realisieren könnten – mit diesem Experiment kommt man dem aber plötzlich ziemlich nahe.“ Während Mulder spricht, schieben Mitarbeiter immer wieder Probanden auf Liegen in Schieflage an der Tür vorbei, sie müssen zur nächsten Untersuchung.

Ihr Alltag ist genau getaktet: Auf einem der Gänge ist eine Excel-Tabelle auf einen Bildschirm geworfen, die in bunten Farben den Zeitplan der Studienteilnehmer zeigt. Es ist 12.05 Uhr. Proband G isst seit fünf Minuten zu Mittag, Proband E ist bei einem Muskeltraining, Proband A liegt in der Kurzarmzentrifuge in der Mitte des Gebäudes.

In einem Kontrollraum beobachten ihn dabei mehrere Mitarbeiter auf kleinen Bildschirmen. Kurz sieht man Probanden A gähnen, als ihn die Zentrifuge mit einer halben Umdrehung pro Sekunde im Kreis dreht.

Von den Experimenten in der Zentrifuge, die ein Teil der Teilnehmer täglich absolvieren muss, erhoffen sich die Forscher um Mulder wichtige Ergebnisse: Kann so die Zirkulation des Blutes, das nicht nur in der Bettruhe-Studie, sondern auch in der Schwerelosigkeit in Richtung Kopf strömt und dort dauerhaft zum Beispiel für Augenprobleme sorgen kann, wieder normalisiert werden?

Wenn dieser Plan aufgeht, könnte vielleicht sogar bald eine solche Zentrifuge zu den Astronauten ins All geschickt werden, meint Mulder. Wieder wird ein Proband an der offenen Tür vorbeigeschoben. Er und der Forschungsleiter winken, lächeln sich zu. Die Atmosphäre in Gebäude 10 des DLR-Zentrums wirkt vertraut, fast familiär. „Das darf natürlich nicht Überhand nehmen, ich trage als Forschungsleiter ja eine Verantwortung gegenüber den Teilnehmern“, sagt Mulder. „Aber klar, man wächst bei so einer intensiven Studie zusammen.“

18.000 Bewerber laut DLR

Circa 18000 Menschen haben sich laut DLR für die aktuelle Studie beworben. Ein großer Anteil der Anfragen kommt aus dem Ausland, manche sogar aus Mexiko, Indien, Bolivien oder China. Die meisten dieser Interessenten muss das DLR ablehnen, es sind Teilnehmer mit guten Deutschkenntnissen gefragt. „Und für die Studie braucht man ohnehin fast schon Übermenschen“, sagt Mulder.

Dauerhafte Kopf- oder Rückenschmerzen sind ebenso ein K.o.-Kriterium wie Schlafstörungen oder Allergien – selbst Vegetarier oder Veganer sind nicht gewünscht. Die Ausschlusskriterien passen auf nicht weniger als drei Seiten, erzählt Mulder, der zu jeder Frage die passende Antwort auf der Zunge hat. Nur einmal sagt er mehrere Sekunden nichts, bevor er antwortet.

Ein Proband liegt in einer Zentrifuge, die erstmals eingesetzt wurde.

Ein Proband liegt in einer Zentrifuge, die erstmals eingesetzt wurde.

Ob er sich vorstellen könne, jemals selbst an dieser anspruchsvollen Studie teilzunehmen? Es sei tatsächlich schwer vorstellbar, eine solch lange Zeit im Bett zu verbringen, auch für ihn, der sich freue, wenn er abends nach Hause fahren könne. „Doch die Teilnehmer, die durchhalten – und das sind nahezu alle – haben eine Erfahrung fürs Leben gemacht. Wir haben am Ende der Studie eher Probleme, die Leute loszuwerden.“

Im September wird die Agbresa-Studie erneut durchgeführt werden. Noch sucht das DLR Teilnehmer, vor allem Frauen. Weitere Informationen unter www.dlr-probandensuche.de

KStA abonnieren