Ein Turm voller Narren

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Porz –  Was passiert, wenn aus einem Wehrturm ein Narrenturm wird? Rund 20 Künstler des Kunstvereins 68elf haben sich mit dieser Frage beschäftigt und dazu im alten Gemäuer des Museums Zündorfer Wehrturms einen vielgestaltigen Parcours aus Gemälden, Zeichnungen, Objekten, Fotoarbeiten, Video- und Installationswerken geschaffen. So wird der Versuch gemacht, künstlerisch nicht nur an die historische Bedeutung des Narren zu erinnern, sondern zugleich seine gegenwärtigen Wirkungsmöglichkeiten auszuloten. Neben der Rolle des Narren als widerständigem Kritiker bringen zahlreiche Beiträge seine Beziehung zu Wahnsinn und Heilkunst in den Blick.

Dass die Haltung des Narren stets darin besteht, die herrschenden Verhältnisse zu unterlaufen und sich dabei gleichermaßen auf den Kopf zu stellen, führt gleich zu Beginn Georg Schnitzler mit einem großen Akt-Gemälde vor Augen. Er deutet an, worauf man sich einstellen sollte in der Ausstellung: Die gewohnte Welt aus einer anderen Perspektive zu betrachten.

Wilda Wahnwitz zeigt nicht nur mit ihrem Namen, sondern auch mit einem Video, wie sich mit verrücktem Verhalten der scheinbar sichere Alltag in Windeseile durcheinander bringen und in Frage stellen lässt. Mit einer Liste von psychischen Verhaltensstörungen und nepalesischen Masken schlägt Georg Petermann in einer komplexen malerisch-objekthaften Vitrine eine Verbindung von Narren und Schutzgeistern, Wahnsinn und Heilungsprozessen.

Mit wenigen Fotos führt Susanne Heider in einen ähnlichen Themenkomplex. Ist der Narr ein Heiliger? Das Fotos eines Mannes, der in religiöser Entrückung dreißig Kilometer über den Boden gekrochen ist, um den Gott des Schicksals zu beeinflussen, soll zur Klärung dieser Frage führen. „Wir sind alle Narren, wenn wir die Vernunft ausschalten“, gibt die Künstlerin selbst zur Antwort. Kein Zweifel, manchmal hilft das Verrücktsein als Ausweg aus den Zwängen der Gesellschaft.

Mit diesem Szenario beschäftigte sich der aus Düren stammende Künstler Norbert Stockheim in vielen Performances, Installationen, Zeichnungen und Objekten in den 1970er- und 1980er-Jahren. An den im Jahr 1994 im Alter von 57 Jahren verstorbenen Künstler erinnert eine eindrucksvolle Präsentation unter dem Dach des Wehrturms. Das Ensemble aus Texten und Skulpturen ist fraglos der Höhepunkt der Ausstellung, bündelt es doch die ganze Radikalität und Unheimlichkeit, die mit dem Erscheinungskomplex von Narretei und Wahnsinn einhergeht.

Stockheim hatte in seiner künstlerischen Arbeit auch mit den Insassen psychiatrischer Anstalten zusammen gearbeitet und stets nicht nur eine Idee, sondern seinen ganzen Körper in die Bresche geworfen.

Gegenüber soviel Entschlossenheit, die herrschenden Grenzen zu attackieren, erscheinen die zeitgenössischen Beiträge nahezu zahm. Auch wenn sie, wie Ruth Knecht, den „Wahn-Sinn“ des Todes thematisieren. Oder wie Etienne Szabo die Geistes-Akrobaten ins Bild bringen, die versuchen die Gesetze der Schwerkraft und Normalität zu überwinden. Das Bedürfnis, sich auch in einer Gesellschaft, die das Verrücktsein in vielen Bereichen als Teil ihres Funktionierens zur Normalität gemacht hat, durch närrisches Verhalten abgrenzen zu wollen, scheint ungebrochen. Aber ist das überhaupt noch möglich?

Der Narr, auf den sich die Künstler der Ausstellung beziehen, war einst im Mittelalter eine äußerst komplexe Gestalt. Unweigerlich drängt sich die Frage auf, ob der Künstler heutzutage in die Rolle des Narren geschlüpft ist. Wir erinnern uns: Der Narr sollte seinerzeit als Spaßmacher für Unterhaltung und Belustigung sorgen und dabei meist auffällig gekleidet sein. Als Tor oder Narr galten seinerzeit auch Personen, die sich sehr unreif, dumm oder tollpatschig verhielten und die sich auf Basis ihrer Unwissenheit als Gelehrte aufplusterten, ohne ihre Unwissenheit zu erkennen. Sie hielten ihre Unwissenheit sogar für ein großes Wissen.

Darüber hinaus galt auch der einfältige Mensch, der „närrische“, verdrehte, unsinnige Dinge tat, halb mutwillig und halb wahnsinnig, als ein Narr. So zeigten vor allem die bewussten Narren in ihrer Maskierung ein schwer zu bestimmendes Verhalten zwischen Anpassung und Widerstand, kritischer Distanz und geschicktem Kalkül, Mut und Verstellung. Und während sie darin gleichermaßen bewundert, verunglimpft oder belächelt wurden, gibt es tatsächlich verblüffende Ähnlichkeiten zwischen der Rolle des einstigen Narren und der des heutigen Künstlers.

Zündorfer Wehrturm, Hauptstraße 181, geöffnet Mi,Sa 15-18 Uhr, So 14-18 Uhr, bis 4.11.

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