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Eindringliche Warnungen aus Holzkunst

Lesezeit 4 Minuten
Die Kunst von Natalia Wehler verlangt ganz besonders aufmerksames Hinschauen.

Die Kunst von Natalia Wehler verlangt ganz besonders aufmerksames Hinschauen.

Zündorf –  Alles ist möglich in der zeitgenössischen Kunst, jedes Motiv, jedes Material, jedes Medium. Wer sich wie Natalia Wehler ganz bewusst für den Holzschnitt entscheidet, hat mit der Wahl des Mediums bereits eine inhaltliche Entscheidung getroffen. In den Werken der in Köln lebenden Künstlerin (Jahrgang 1970) zeigt sich nicht nur, welche bildlichen Möglichkeiten diese traditionelle Drucktechnik bietet, die zu den ältesten Verfahren überhaupt zählt, menschliche Bildvorstellungen festzuhalten. Zugleich wird darin seine Aktualität sichtbar, die entgegen dem flüchtigen entmaterialisierten digitalen Bildkonsum eine Art Zwang zu Materialität und Langsamkeit in die Wahrnehmung bringt.

Auf einen Blick ist in Wehlers Ausstellung nichts zu erfahren. Ihre vielfach aus zahlreichen Einzelbildern zusammengesetzten Bildtableaus zielen auf die Darstellung komplexer Zusammenhänge. Wer Unterhaltung sucht, ist fehl am Platze. Aufmerksames Hinschauen und Nachdenken sind gefragt, wenn die Künstlerin das Szenario der atomaren Bedrohung und ihre Verknüpfung mit politischen und ökonomischen Interessen vor Augen führt. „Nach der Katastrophe im japanischen Atomkraftwerk Fukushima habe ich mich künstlerisch verstärkt diesem Thema gewidmet. Die Tatsache, dass jederzeit und überall so etwas geschehen kann, während die Menschen die Gefahr noch immer verharmlosen, erschreckt mich“, erklärt Wehler.

Seitdem hat sie zahlreiche Bildserien geschaffen. Sie beschäftigt sich darin mit der Zerstörungen durch den Atombombenabwurf in Hiroshima, die Konflikte um den Atombombenbau in Nordkorea und im Iran und die US-amerikanische und die russische Hochrüstung. Thematisiert werden aber auch die absurden Aufklärungsfilme zum Verhalten bei Atombombenabwürfen zur Zeit des Kalten Krieges und die immer noch vorrätig gehaltene Atombunker in deutschen U-Bahnhöfen, Naturverseuchung durch atomaren Müll und die Demonstrationskultur.

Die Serien wachsen und verändern sich. Es sind keine festen Werke, sondern eine künstlerische Arbeit in einem Prozess, der auf aktuelle Entwicklungen in der globalisierten Welt ebenso reagiert wie auf gesellschaftlichen Tendenzen in Deutschland. Die Erschießungen von Menschen durch die Terrormiliz Islamischer Staat greift sie bildlich ebenso auf wie den Messestand des Waffenherstellers im scheinbar friedlichen Mitteleuropa.

Mit größter Sorgfalt schneidet Natalia Wehler die Bildmotive ins Holz, wohl wissend, dass das Grobe in der Darstellung ebenso ein Mittel zur Präzisierung des Bewusstseins sein kann wie Detailgenauigkeit. Im Holzschnitt ist nichts mal eben gemacht wie bei der expressiven Malerei, alles muss gut aufeinander abgestimmt sein. Für Wehler gehören geschickte Brüche entscheidend zur Bildwirkung. Sie druckt auf Papier und auf Holzplatten. Und sie kombiniert die Drucke mit Bildschirmen, auf denen sie dokumentarische Filmsequenzen zwischen die Holzschnitte platziert oder diese sogar mittels Filmprojektionen überlagert.

Das alles ist sehr komplex, jedoch keineswegs theoretisch überfrachtet. Vielmehr schlägt sie immer wieder die Brücke zum einfachen und alltäglichen Leben. Etwa wenn sie Fußball spielende Menschen zwischen den Elementen des atomaren Szenarios zeigt. „Alle reden über Fußball, aber kaum jemand über die dramatischen Bedrohungen im Land,“ stellt Wehler fest. Sie findet das merkwürdig. Und erläutert, dass sie durchaus verstehen könne, dass man sich nicht unaufhörlich mit Problemen beschäftigen will. „Und selbstverständlich kann ich auch schöne Landschaften im Holzschnitt darstellen. Aber das Thema des atomaren Geschehens erscheinen mir derzeit dringlicher“, sagt Wehler, „ich habe keinen Spaß, Kriegsbilder und Atomsprengköpfe in Holz zu schneiden, aber man kann nicht so tun, als sei das alles nicht da. Wir leben in Deutschland in einer vermeidlich friedlichen Gesellschaft, doch die Tendenzen der Welt erreichen uns.“

Von den detailreichen Holzschnitten Albrecht Dürers über die poetischen japanischen Farbholzschnitte eines Hiroshige und Hokusai bis zu den kraftvollen Vereinfachungen in den Drucken der Expressionisten greift sie in ihren Holzschnitten alle Aspekte auf, die dieses Medium seit jeher so eindringlich machen. Und wie die großen Künstler der Tradition, beharrt sie darauf, mit ihren Bildern eine Botschaft zu vermitteln, zu belehren und aufklären.

Museum Zündorfer Wehrturm, Hauptstraße 181, geöffnet. Mi, Sa 15-18 Uhr, So 14-18 Uhr, bis 9.6.

Künstlerin Natalia Wehler

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