GS Hohe Straße in Ensen-WesthovenWenn Behinderung zu Normalität wird

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Die Station „Orientierung mit dem Blindenstock“ führt die Schüler auf unbekanntes Terrain. „Fortbewegen mit Hilfe eines Rollstuhls“ heißt die Station, die in der Sporthalle absolviert wird.

Die Station „Orientierung mit dem Blindenstock“ führt die Schüler auf unbekanntes Terrain. „Fortbewegen mit Hilfe eines Rollstuhls“ heißt die Station, die in der Sporthalle absolviert wird.

Ensen-Westhoven – Wie es sich anfühlt, nicht sehen, hören oder gehen zu können, ist für Menschen ohne diese Einschränkungen kaum nachvollziehbar. Oft ist die Einschränkung selbst aber nicht das größte Problem im Leben derer, die mit ihr zurecht kommen müssen. Mehr Unbefangenheit wünschen sich Betroffene von Seiten Nicht-Gehandicapter – mehr Normalität und Offenheit im alltäglichen Miteinander.

Vor Jahren traf Bernhard Weik einen jungen Mann, der ihm genau diesen Wunsch nach Normalität vermittelte. Durch den Verlust eines Beines körperlich eingeschränkt, litt er nicht in erster Linie an seinem physischen Defizit, sondern an den Hänseleien seiner Mitmenschen. Aus dem einschneidenden Erlebnis erwuchs die „Elisabeth und Bernhard Weik-Stiftung“, die es sich zum Ziel gesetzt hat, Barrieren zwischen Menschen mit und ohne Einschränkungen abzubauen.

„Ein ganz normaler Tag“ oder kurz „GNT“ heißt das 2006 ins Leben gerufene Projekt, bei dem die ehrenamtlichen Helfer der Stiftung in Schulen kommen, um mit Kindern aktiv an ihrem Verständnis und Umgang mit Handicaps zu arbeiten. Bisher haben 20.000 Schülerinnen und Schüler von den jährlich 20 Projekttagen profitiert.

Die Station „Orientierung mit dem Blindenstock“ führt die Schüler auf unbekanntes Terrain. „Fortbewegen mit Hilfe eines Rollstuhls“ heißt die Station, die in der Sporthalle absolviert wird.

Die Station „Orientierung mit dem Blindenstock“ führt die Schüler auf unbekanntes Terrain. „Fortbewegen mit Hilfe eines Rollstuhls“ heißt die Station, die in der Sporthalle absolviert wird.

Den Kindern der Städtischen Gemeinschaftsgrundschule Hohe Straße in Ensen-Westhoven widmete das Stiftungsteam aufgrund der großen Schülerschaft sogar zwei Tage, die unerwartete Perspektiven eröffneten. Zwar ist die Schule seit 20 Jahren inklusiv unterwegs – Erfahrungen mit gehörlosen, blinden oder Mitschülern im Rollstuhl hatten die Kinder trotzdem noch nicht gemacht. Begeistert vom Angebot der Weik-Stiftung initiierte das sonderpädagogische Team die Teilnahme am „ganz normalen Tag“. Der Stundenplan trat an den beiden Aktionstagen ganz außer Kraft, Kollegium und Offener Ganztag richteten sich ganz nach der Struktur des Projekts.

Acht Stationen durchlaufen die Schüler meist auf dem Außengelände der Gemeinschaftsgrundschule, es geht beispielsweise um „Orientierung mit dem Blindenstock“, „Fortbewegen mit Hilfe eines Rollstuhls“ oder „Gebärdensprache“. Mit verbundenen Augen bewältigen sie einen Blindenparcours oder steigen Treppen mit einer Gehhilfe. Die Gemüse- und Obststation lässt die jungen Probanden schnell spüren, was der Wegfall eines Sinnes bewirkt. „Wichtig ist, dass die Kinder merken, dass es nicht immer negativ ist, mit einer Einschränkung zu leben“, meint Sonderpädagogin Ute Rathschlag, „weil sie am eigenen Leib erfahren, wie es ist, wenn ein Sinn ausgeschaltet ist.“ Dann nämlich würde man sich automatisch auf einen der anderen Sinne konzentrieren.

Eine der schwierigsten Stationen, die „Tandem“ Vertrauensbildung, zielt auf ein dominantes Thema im Leben blinder Menschen ab. Von einem sehenden Piloten gelenkt, müssen sich die Beifahrer mit verbundenen Augen auf diesen einlassen. Die Kontrolle abzugeben und „blindes Vertrauen“ zu fassen, verlangt von den Kindern die Auseinandersetzung mit ihren Ängsten. Bei dieser Übung mache man die verschiedensten Erfahrungen, stellt Ute Rathschlag fest. Das schönste Erlebnis an diesem Tag sei gewesen, als ein Kind nach der Tandemfahrt meinte: „Jetzt habe ich gar keine Angst mehr!“

Mehrere Ehrenamtliche, die selbst ein Handicap haben, stellen sich mit Geduld und Engagement den Fragen der Kinder, hinterlassen durch ihre besonderen „skills“ einen tiefen Eindruck bei der Schülerschaft der GGS Hohe Straße. Die blinde Marisa imponiert mit geschärften Sinnen, ein „echter“ Rollstuhlfahrer weist die Kinder in die Kunst des Rollstuhlfahrens ein. „Behinderte wollen einfach behandelt werden wie Menschen“, weiß Ehrenamtler Michael Longerich, der mit diesem Satz auch die Kernbotschaft der Weik-Stiftung ausspricht.

Beim gemeinsamen Abschlussessen, das die Stiftung zum Ende jeder „GNT“-Veranstaltung ermöglicht, lassen alle Beteiligten das Projekt noch einmal Revue passieren. Ute Rathschlag ist begeistert von der Sensibilität, mit der die Kinder auf den Tag reagiert haben. Unsicherheiten im Umgang mit körperlichen Einschränkungen dürfte es für diese Teilnehmer nicht mehr geben.

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