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Maifische im RheinAuf den Spuren eines verschwundenen Poller Fischs

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Historische Aufnahme: Die Boot- und die Landkompanie bereiten für das Fangen der Maifische das Ausbringen der Netze vor. 

  • Bis zu ihrem Verschwinden wurde die alljährliche Ankunft der Wanderfische mit Festen gefeiert.
  • „Manchmal“, erzählt Maifisch-Aktivist Hans Burgwinkel, „gingen die Poller auch nur mit ein paar großen Eimern ans Wasser und schöpften den Maifisch einfach ab. Das Wasser war schwarz vor Fischen.“
  • Die Wiederansiedlung ist kompliziert.

Köln-Poll/Siegburg – An den Poller Rheinwiesen, ziemlich in der Mitte zwischen Rodenkirchener und Südbrücke, steht unterhalb des Ortskerns eine Schautafel zum Thema Maifisch. Ganz interessant: Wie groß? Bis 70 Zentimeter. Wie schwer? Drei , manchmal bis fünf Kilo. Aus dem Rhein verschwunden, vom Aussterben bedroht.

Hm, wer mehr wissen will, der fragt am besten Hans Burgwinkel. Der wohnt hier um die Ecke und hat den Text auf der Tafel verfasst. Burgwinkel ist Maifisch-Aktivist, Dorffaktotum und engagierter Heimatforscher zugleich. „Früher“, sagt er und zeigt auf den Ortseingang, „war das die Kuhgasse. Die Knechte und Mägde der umliegenden Höfe haben dort die Schweine und Kühe auf die Wiesen am Rhein getrieben. Heute ist das die Maifischgasse.“ Eine charmante Würdigung der zentralen Rolle, die der heringsartige Fisch für Wohl und Werden des Ortes Poll seit jeher gespielt hat.

300.000 Maifische in einer Saison verkauft

Warum Maifisch? Nun, die Geschichte reicht ein paar Jahrhunderte zurück. Früher war der späte Frühling – die Zeit, wenn die Felder bestellt waren, die Ernte aber noch in weiter Ferne lag – im Leben der heimischen Bauern eine Zeit ohne Einnahmen. Es gab nichts zu verkaufen. Da kam der Maifisch gerade recht. „Aus der Gruppe der Wanderfische mit Lachs, Stör und Aal war der Maifisch im Jahres-Kalender der erste, der vorbeizog“, erzählt Hans Burgwinkel.

Mitte, Ende April und manchmal bis in den Mai hinein machte sich der silberne Prachtfisch in unvorstellbaren Mengen aus der Nordsee kommend von Holland aus auf den Weg Richtung Oberrhein. Von Millionen von Fischen ist die Rede, verbrieft ist eine Aufzeichnung des Wochenmarkts im niederländischen Haarlem – 300.000 Maifische wurden dort in einer Saison verkauft.

„Das Wasser war schwarz vor Fischen“

Poll im Süden und – ein ähnlicher Fall – Worringen im Norden wurden so etwas wie die Fischläden der Großstadt Köln. Es wurden ausgeklügelte Fangtechniken entwickelt, Netze wurden quer durch den Fluss gespannt, bedient von je einer Land - und einer Bootskompanie. Harte Arbeit.

„Aber manchmal“, erzählt Burgwinkel, „gingen die Poller auch nur mit ein paar großen Eimern ans Wasser und schöpften den Maifisch einfach ab. Das Wasser war schwarz vor Fischen.“ Die Poller Milchmädchen, in frühen Zeiten eine Legende in Köln, brachten die frischen Fische bis zu den Ehrenfelder Märkten, um so den Ruhm des Örtchens Poll, seiner Mädchen und des Maifisches zu mehren.

Im überschaubaren Ereignis-Kalender eines spätmittelalterlichen Dorfes spielte das Auftauchen des Maifischs eine weitere zentrale Rolle: Es war Frühling, die jungen Menschen waren hormonbedingt auf Partnersuche und der Maifisch hatte allgemein ein bisschen Geld in die Taschen gespült.

Ein Grund zu feiern. Erste historische Erwähnung fanden die rauschenden Dorffeste im Jahr 1364, die speziellen Poller Gelage tauchen erstmals 1654 in den Chroniken auf, sie heißen immer noch so: „Poller Maigeloog“. Burgwinkel führt eine schillernde Homepage zu diesem Thema mit Geschichten und Anekdoten rund um den Fisch und die Tradition der Feiern. So hätte das immer weitergehen können.

Und dann war der Fisch weg

Die letzten ordentlichen Fänge sind vermerkt für die 20er/30er Jahre, in den 50er Jahren ist das letzte Maifischessen in Poll beschrieben, ziemlich sicher mit Fischen aus Wesel. In Poll gab es nichts mehr zu fangen. Seither gilt der Maifisch als aus dem Rhein und dem kompletten Flusssystem verschwunden, wie auch der Lachs und der Stör. Überfischung im niederländischen Rheindelta und die Industrialisierung im Ruhrgebiet und entlang der Flüsse gelten als entscheidende Faktoren.

Seit Jahren wird darum gerungen, den Maifisch wieder anzusiedeln. Burgwinkel ist womöglich Urheber der ganzen Idee und hat schon einige Umweltpreise dafür erhalten. Andreas Scharbert ist ein anderer eiserner Kämpfer für die gute Sache. Er ist Biologe, arbeitet für den Rheinischen Fischereiverband in Siegburg und beackert das Thema, das inzwischen internationale Unterstützung und Kooperation erfährt. Regelmäßig findet Besatz im großen Stil statt, jüngst wurden wieder ein paar Hunderttausend Maifischlarven in die Sieg entlassen. Aber die Sache ist kompliziert.

Eigentlich sollte man meinen, sind die Bedingungen doch gar nicht schlecht. Der Rhein ist so sauber wie nie seit dem Beginn der Industrialisierung, und europaweit befassen sich Forscher mit dem Thema den Gewohnheiten und Bedingungen des Maifischs.

Die Wasserqualität ist nur ein Faktor, sagt Scharbert, „das Zusammenspiel von vielen Faktoren muss stimmen: Temperatur des Wassers, die Gegebenheiten am Laichgrund, die Strömungsverhältnisse und -geschwindigkeit“, sagt er.

„Und wenn alles stimmt in einer lauen Maiennacht“, sagt Scharbert, „dann laichen die Maifische.“ Ein wüstes Spektakel ist das, wenn Tausende Fische, Männchen und Weibchen auf Sandbänken im flachen Uferwasser wilde Paarungstänze aufführen – „das ist ein Lärm wie wenn Schweine durchs Wasser getrieben werden“, sagt Scharbert.

Viele Maifische schaffen das nicht

Wenn alles gutgeht, dann wandern die Larven Richtung Meer, dort – im Großraum Nordsee/Nordatlantik – treibt sich der Maifisch drei, vier Jahre rum, bevor er den Weg zurück sucht in die Flüsse. Anders als der Lachs ist er nicht standorttreu, ihn zieht es nur ungefähr zurück in sein Ursprungsflusssystem.

Wenn er auf dem Weg zu seinem Geburtsort irgendwo anders zur rechten Zeit eine schöne Sandbank findet, dann bleibt er dort. Bei der Rückkehr in den Rhein gibt es einige Hindernisse: Früher hatte der aus der Nordsee zurückkehrende Maifisch die Wahl zwischen fünf Deltaarmen des Rheins. Inzwischen gibt es – die Holländer haben dort ihre fantastischen Damm-Systeme errichtet – nur noch einen Zugang.

Hin und wieder wird der jetzt geöffnet, auch damit ein Wasseraustausch zwischen Meer- und Flusssystemen stattfinden kann. Doch zuvor auf hoher See und bei der Rückkehr in die Flüsse warten Fischereiflotten – daran muss der Maifisch vorbei. Und obwohl der Maifisch nicht der Zielfisch der Industriefischer ist – viele Maifische schaffen das nicht.

Immerhin: Es wurde jüngst am Oberrhein bei Iffezheim eine einigermaßen belastbare Population von Maifischen registriert. Das ist interessant für die Forscher – denn deren Larven sind womöglich noch besser geeignet für einen Besatz als die bislang gerne genutzten Larven aus Frankreich.

Rund um den Maifisch

Hans Burgwinkel ist Autor der Website zu den Poller Maibräuchen und zur Bedeutung des Maifischs. Dort gibt es Geschichten, Tratsch und Rezepte.

Andreas Scharbert und andere Wissenschaftler sind seit langem befasst mit der Aufgabe, den Maifisch im Rheinsystem wieder anzusiedeln.

Der Rheinische Fischereiverband informiert über den Stand der Maifisch-Dinge.

Die kritische Menge für einen gesicherten Bestand beziffert Scharbert auf 10000 bis 20000 Fische, die ohne regelmäßigen Neubesatz sicher aus den Meeren in den Rhein zurückkehren. „Das ist realistisch, wir sind auf einem guten Weg“, sagt er, „aber es braucht einen langen Atem.“

An den Poller Rheinwiesen, ziemlich zentral zwischen Rodenkirchener und Südbrücke, werden in der nächsten Woche wieder ein paar Zigtausend Maifischlarven ausgesetzt. Die Aktion ist Teil des internationalen Artenschutzprojektes mit Partnern aus Deutschland, Niederlanden, Frankreich und der Schweiz.

Burgwinkel wird dort sein, Scharbert wird da sein, NRW-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser wird da sein und ein ausgewachsener Maifisch – Kampfgefährten aus der spanisch-portugiesischen Grenzregion haben der Poller Initiative ein Exemplar von 4,18 Kilo aus dem Rio Minho zur Verfügung gestellt. Wer weiß – vielleicht ein gutes Omen.

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